Frauen an der Macht

Von Norbert Pangerl
Hope Powell -hier noch mit Rastamähne- gibt bei der englischen Nationalmannschaft den Ton an
© Getty

Geht es darum, wer bei der Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft den buntesten Vogel auf der Bank sitzen hat, gehört Mexiko mit seinem National-Coach Leonardo Cuellar sicherlich zu den Favoriten. Weibliche Trainer haben es dagegen schwer im Fußball-Business und müssen sich die Anerkennung hart erarbeiten. Trotzdem setzen sechs der sechzehn Mannschaften ab Sonntag (15 Uhr im LIVE-TICKER) lieber auf Östrogen statt Testosteron an der Seitenlinie.

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Wer sich alte Fotos von Leonardo Cuellar ansieht, kann sich kaum vorstellen, dass der heute 59-Jährige bereits seit 1998 als Nationaltrainer der mexikanischen Frauen-Fußball-Nationalmannschaft arbeitet. Der 44-malige Nationalspieler und WM-Teilnehmer von 1978 erlangte allein durch sein markantes Äußeres weltweite Aufmerksamkeit und sein Bildchen fehlt in keiner Best-of-Panini-Aufzählung.

Rein optisch hat der sympathische Mexikaner im Jahr 2011 nichts mehr mit dem menschlichen Wollknäuel von damals gemein.

Gleichwohl ist er bei der am Sonntag beginnenden Weltmeisterschaft der prominenteste männliche Vertreter seiner Zunft. Im Eröffnungsspiel der Gruppe B treffen seine Mexikanerinnen auf die von Hope Powell trainierten "Three Lionesses". Powell ist eine von nur sechs Trainerinnen im Turnier.

Institution im englischen Frauen-Fußball

Die 44-jährige Engländerin ist genauso wie ihr mexikanischer Pendant bereits seit 1998 im Amt. In dieser Zeit hat die ehemalige Nationalspielerin, die in ihrer aktiven Zeit für ihre Rastamähne bekannt war, den Frauen-Fußball in England entscheidend mitgestaltet. Junioren-Nationalmannschaften wurden unter ihrer Ägide ebenso etabliert, wie die FA-Women's-Super-League, welche am 13. April ihren ersten Anstoß erlebte.

Unter den Experten gilt die englische Mannschaft bei der WM als Geheimfavorit. So weit will Powell nicht gehen: "Die Erwartungen sind hoch, sowohl innerhalb des Teams als auch von außen, aber wir werden nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen." Es gelte die Gruppenphase zu überstehen, "weiter blicke ich noch nicht voraus", sagte die Schwester von Libertines-Drummer Gary Powell bei der Vorstellung des 21er-Kaders für die WM.

Homosexualität bei Top-Teams kein Tabu mehr

Hope Powells Meinung ist jedoch nicht nur in der englischen FA sehr gewichtig. Als offen homosexuelle Trainerin führte die "Independent on Sunday" sie 2010 auf Platz 68 der Pink List mit den einflussreichsten Schwulen und Lesben Großbritanniens. Damit steht sie in einer Reihe mit der US-amerikanischen Cheftrainerin Pia Sundhage, welche seit Jahren in einer Beziehung mit einer Frau lebt und daraus auch keinen Hehl macht. "Das ist meine Art, damit umzugehen. Ich möchte ein Vorbild sein, und das hat nichts mit sexueller Orientierung zu tun", erklärte Sundhage in einem Interview mit dem Fußballmagazin "ballesterer".

Die Schwedin, die in ihrer Heimat bereits auf einer Briefmarke verewigt wurde, trainiert aktuell die Nationalmannschaft der USA. Im letzten Jahr gestand sie, dass es "nicht immer einfach ist, in den USA zu leben, weil mich meine Partnerin auf den vielen Reisen nicht begleiten kann." Darüber hinaus habe sie in den sonst sehr prüden USA aber keinerlei negative Erfahrungen gemacht. "Es hat in den USA keinerlei Probleme gegeben für mich als offen lesbische Cheftrainerin", erklärte die 51-jährige, der man in ihrer Kindheit den Männernamen Pelle verpasste, um sie unerkannt bei den Jungs mitkicken zu lassen.

Religion statt taktischer Finesse

Von dieser Liberalität weit entfernt ist Eucharia Uche. Die Trainerin, die bei der WM mit der nigerianischen Nationalmannschaft als erstes Team vom afrikanischen Kontinent das Halbfinale erreichen will, äußerte sich in der Vergangenheit immer wieder abschätzig über Homosexualität im Frauen-Fußball und sieht in lesbischen Nationalspielerinnen eine "besorgniserregende Erfahrung."

Uche, die den Deutschen Thomas Obliers als technischen Berater an ihrer Seite hat, geißelt homosexuelles Verhalten als "schmutzige Angelegenheit" und "seelisch und moralisch falsch." Mit Religion will sie gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen in ihrem Team vorgehen. In ihrer Heimat steht die 38-jährige Ex-Nationalspielerin bereits vor der WM gehörig unter Druck. Als erste Frau auf dem Posten des Nationalcoachs, muss sie sich immer wieder taktische Mängel vorhalten lassen. Demonstrativ betont sie im Vorfeld der WM die Einheit der Mannschaft. Sollte Nigeria aber in der starken Gruppe A bereits in der Vorrunde an Deutschland, Kanada und Frankreich scheitern, sind die Tage von Eucharia Uche wohl gezählt. Ob mit ihr auch die Homophobie verschwindet, ist aber fraglich.

Auch Norwegen setzt erstmals auf Trainerin

An Norwegens Seitenlinie hat seit 2009 Eli Landsem das Sagen. Die 49-Jährige arbeitete davor jahrelang erfolgreich als Vereinstrainerin in Norwegen und Dänemark und soll mit den "Gresshoppene" wieder an alte Erfolge anknüpfen. In den 1990er Jahren waren die Skandinavierinnen auf Titel in allen Bewerben abonniert, doch mit dem Olympiasieg 2000 in Sydney endete diese Erfolgsserie. Seitdem wartet man auf einen Titel.

In der Gruppe D treffen die Norwegerinnen auf Brasilien mit Weltfußballerin Marta. Vor der hat Landsem aber keine Angst. "Sie ist die weltbeste Fußballerin momentan, aber sie wird im Spiel gegen uns gegen Mauern anlaufen", verkündete sie in einem Interview mit "Womansoccer". Neben Hauptkonkurrent Brasilien gilt die aufsteigende Frauen-Fußball-Nation Australien als schärfster Konkurrent im Kampf um das Viertelfinal-Ticket. Landsem jedenfalls erwartet ein "hartes Stück Arbeit" für ihr defensivstarkes Team.

Neid gegen Morace im Eröffnungsspiel

Viertelfinalpflicht besteht auch für die beiden Mannschaften, die am Sonntag das offizielle WM-Eröffnungsspiel bestreiten. Das Duell Deutschland gegen Kanada ist jedoch nicht nur ein Frauen-Fußball-Klassiker. Vielmehr treffen mit Silvia Neid und Carolina Morace auch die wohl bekanntesten weiblichen Chefanweiserinnen aufeinander.

Kanadas Nationaltrainerin im Porträt: Die unangenehme Signora Morace

Die Italienerin Morace machte 1999 weltweite Schlagzeilen, als sie mit dem italienischen Drittligisten AS Viterbese als erste Frau ein männliches Profiteam übernahm. Dieses Intermezzo dauerte jedoch nur zwei Spiele und Morace coachte danach das italienische Frauen-Nationalteam bis ins Jahr 2005. Seit 2009 dirigiert sie nun die kanadische Auswahl. Nach Differenzen mit dem Verband über die langfristige Ausrichtung und angekündigter Vertragsauflösung haben sich beide Parteien aber rechtzeitig vor der WM geeinigt. Mindestens bis zu den olympischen Spielen 2012 wird Morace in Kanada bleiben. Eine Verlängerung bis zur Heim-WM 2015 scheint wahrscheinlich. "Es gibt nichts, was für uns die Türen verschließt, um auch 2015 noch zusammen zu sein", sagte die Venezianerin, die bei ihren Spielerinnen große Wertschätzung genießt.

Titel-Garantin verlängert bis 2016

Groß war die Freude auch bei DFB-Präsident Theo Zwanziger, als er in dieser Woche die Vertragsverlängerung von Bundestrainerin Silvia Neid verkünden konnte. Neid, die 2005 das Amt von ihrer Vorgängerin Tina Theune übernahm, weitete ihren Vertrag vorzeitig bis ins Jahr 2016 aus und kann so dem eingeschlagenen Weg mit ihrem Team weiter folgen.

Die heute 47-Jährige war als Spielerin oder Trainerin an bisher allen Titeln der DFB-Mädels beteiligt und hat auch in der Zukunft einiges vor. "Unser Ziel ist es, uns dauerhaft in der Weltspitze zu halten. Um das zu erreichen, kann man nicht nur auf Altbewährtem aufbauen. Wenn man oben steht und oben bleiben will, muss man über den Tellerrand schauen, innovativ sein, Vorreiter sein", skizzierte sie bereits im März im SPOX-Interview.

Trainerinnen im Männerfußball - warum nicht?

Dass Powell, Sundhage, Neid und Co. über den Tellerrand hinausschauen können, haben sie bewiesen. Ob auch die Männerseite dazu in der Lage ist, wird sich noch herausstellen. Sundhage, die selbst kurzzeitig als Trainerin der schwedischen Männernationalmannschaft im Gespräch war, jedenfalls bedauert, dass es für eine Frau "noch immer schwer ist, einen Job im Trainergeschäft zu finden." Im Interview mit der "FAZ" aber zeigte sie sich zuversichtlich, dass sich dies in Zukunft ändern wird: "Ich denke, dass der Fußball herausfinden wird, dass da sehr viele gute Trainerinnen im Frauenfußball sind, die den Männerfußball voranbringen können."

Ins selbe Horn stößt auch Brandi Chastain. Für die Ex-Nationalspielerin, die die USA 1999 mit dem entscheidenen Elfmeter zum WM-Titel schoss und durch ihren als "Bra incident" bekannt gewordenen Jubel weltweite Schlagzeilen machte, ist der Männerfußball kein Tabu mehr. "Ich will eine professionellere Trainerin werden, neben dem Frauen-Nationalteam interessiert mich dabei auch der Profibereich der Männer. Nicht, um jemand anderem etwas zu beweisen, sondern weil ich den Anspruch habe, mich auf dem höchstmöglichen Level durchzusetzen", formulierte sie im "ballesterer"-Interview ihre langfristigen Ziele.

Ob diese letzte ausschließlich männliche Bastion noch fällt oder nicht, eines ist klar: Bei der WM werden sich Leonardo Cuellar und seine Kollegen warm anziehen müssen, wenn sie als erste männliche Trainer seit 1999 wieder mit ihren Mannschaften den Pokal in die Höhe recken wollen. Die Frauen jedenfalls werden alles tun, um das zu verhindern.

Der Spielplan der Frauen-WM 2011

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