Um circa 22.45 Uhr Ortszeit brachen im Kopenhagener Parken alle Dämme. Die dänische Nationalmannschaft hatte soeben dank eines 4:1-Erfolg gegen Russland und des 2:0 der Belgier gegen Finnland im Parallelspiel nach zwei Niederlagen doch noch das Ticket für das EM-Achtelfinale gelöst.
"Es herrschte eine begeisternde Atmosphäre", erzählt der frühere dänische Angreifer Flemming Povlsen, der 1992 mit den Skandinaviern im Finale gegen Deutschland Europameister wurde und das gestrige Duell als TV-Experte vor Ort begleitete, im Gespräch mit SPOX und Goal: "Man hat richtig gemerkt, dass weder das Team noch die Zuschauer das Stadion verlassen wollten. Die Spieler haben drei, vier Runden gedreht. Auch außerhalb des Stadions stieg eine riesengroße Party."
Im Vergleich zum EM-Triumph vor 29 Jahren in Schweden erlebe die aktuelle Mannschaft die Euphorie hautnah. "Wir haben das damals nicht wirklich mitbekommen, es gab ja auch keine sozialen Medien", erinnert sich der 54-Jährige: "Die Jungs spüren das gerade vor Ort, das beflügelt sie natürlich. Wenn sie ins Stadion aufbrechen oder zurück ins Teamlager fahren, werden sie stets mit Bengalos auf die Reise geschickt."
Flemming Povlsen: "... das macht das Ganze einzigartig"
Die Geschichte rund um die Mannschaft sei für Povlsen einmalig. "Die Ausrichtung der Europameisterschaft im eigenen Stadion, der Vorfall um Christian Eriksen und das damit verbundene Gefühlsleben der Spieler und aller Dänen macht das Ganze einzigartig", führt er aus. Die Mannschaft habe sich nach der "Tristesse, die nach dem ersten Spiel herrschte, gegen Belgien freigespielt und gestern noch einmal einen draufgesetzt."
Die Euphorie und die Leistungen auf dem Platz allein auf die Ereignisse rund um Eriksen zurückzuführen kommt für Povlsen jedoch nicht in Frage: "Die Stimmung wäre auch ohne den Vorfall im Hinterkopf so gewesen. Finnland hätten wir sicherlich geschlagen, die Belgier sind immer schwer zu bespielen und gegen Russland hätten wir auch so gewonnen." Die Mannschaft habe die Thematik zwar nicht vergessen, es jedoch geschafft, "die Situation einzuordnen. Nun kann sie sich voll und ganz auf das Achtelfinale gegen Wales konzentrieren."
Gleichzeitig habe die Tragik um Eriksen dazu beigetragen, dass sich noch mehr Menschen für die Nationalmannschaft begeistern. "Die gesamte Nation steht hinter dieser Truppe", betont Povlsen: "Seit dem Unfall verfolgen noch mehr Menschen die Nationalmannschaft, das merkt man auch an den Einschaltquoten. Viele konnten aufgrund von ähnlichen Erfahrungen in ihren Familien mitfühlen."
Povlsen schwärmt von "außergewöhnlichem" Talent
Durch dem Ausfall des Inter-Stars "mussten andere Spieler in Erscheinung treten. Sie haben eindrucksvoll bewiesen, dass sie eine gute Truppe sind." Vor allem Linksaußen Mikkel Damsgaard, dem gegen die Sbornaja der sehenswerte Treffer zur Führung gelang, stach für Povlsen heraus. "Damsgaard hat bereits gegen Belgien ein großartiges Spiel gemacht. Gegen Russland hat er dem Spiel seinen Stempel aufgedrückt und erneut bestätigt, dass er ein außergewöhnliches Talent ist. Er kommt bei den Dänen sehr gut an", schwärmt der ehemalige Stürmer des 1. FC Köln und Borussia Dortmund (187 Bundesligaspiele, 39 Tore).
Insgesamt seien zahlreiche Akteure in ihren Rollen gewachsen. "Pierre-Emile Höjbjerg ist absoluter Chef im Mittelfeld, Thomas Delaney hat sich gesteigert. Joakim Maehle, Vereinskamerad von Robin Gosens bei Atalanta Bergamo, spielt ähnlich wie Gosens und rennt die Außenbahn rauf und runter", ergänzt Povlsen.
Sorgt Dänemark für die nächste Sensation? "Alles ist möglich"
Gegen die Überraschungself aus Wales können die Mannen von Cheftrainer Kasper Hjulmand am kommenden Samstag in der Runde der letzten 16 für die nächste Gefühlsexplosion sorgen - und möglicherweise eine Sensation einleiten.
"Der Weg nach oben ist offen", sagt Povlsen schmunzelnd: "Vor der EM wurde die Titelwahrscheinlichkeit auf knapp drei Prozent beziffert. Diesen drei Prozent schließe ich mich an."
Die dänische Elf sei schwer zu bespielen. Viele Nationen "sind zwar individuell qualitativ besser und breiter aufgestellt, aber wenn die Dänen einen Lauf haben, ist alles möglich", sagt er.