EM

"Die Alarmglocken schrillen nicht"

Von Aufgezeichnet von Jochen Tittmar
DFB-Präsident Niersbach steht auch nach dem schwachen Abschneiden zu Trainer Adrion
© getty

Das Ausscheiden der deutschen U-21-Auswahl bei der EM in Israel hat einige Fragen aufgeworfen. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hat nun in Tel Aviv Stellung dazu bezogen. Niersbach spricht im Interview über die weitere Vorgehensweise des Verbandes, die Kritik an Trainer Rainer Adrion und den zu vergebenden Posten des Sportdirektors.

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Frage: Herr Niersbach, die deutsche U 21 ist bei der EM in Israel vorzeitig ausgeschieden. Sie waren bei der Niederlage gegen Spanien im Stadion. Wie lautet Ihr Fazit?

Wolfgang Niersbach: Wir sind natürlich enttäuscht. Wir hatten uns von dieser Mannschaft, die die Qualifikation glänzend geschafft hat, mehr erwartet. Gerade nach dem Champions-League-Finale hieß es ja hier und dort - nicht unbedingt bei uns selbst -, dass wir die Spanier nun nicht nur eingeholt, sondern auch überholt hätten. Das war der Beweis dafür, dass dem nicht so ist. Die spanischen Junioren haben wie ein Abziehbild der A-Mannschaft gespielt. Nicht nur von der individuellen Klasse her, sondern auch als Mannschaft. Man kann fast sagen, das war ein schöner Anschauungsunterricht.

Frage: Vor ein paar Tagen hat auch die U 19 die EM-Endrunde verpasst. Ist das nicht besorgniserregend?

Niersbach: Von Panik oder Sorge kann keine Rede sein, auch die Alarmglocken schrillen nicht. Es kann uns aber nicht gefallen. Bei all den Anstrengungen, die wir im Jugendbereich unternehmen, kann das nicht der Anspruch des DFB sein. Wenn ich nur das Duell Deutschland gegen Holland nehme, dann haben wir jetzt zum vierten Mal innerhalb kürzester Zeit gegen sie verloren: Zweimal bei der U 17, und nun die U 19 sowie die U 21. Garniert damit, dass diese Niederlagen jeweils in der letzten Minute passierten. Der Spruch von Gary Lineker ("Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten hinter einem Ball her und am Ende gewinnen immer die Deutschen.", Anm. d. Red.) muss möglicherweise einmal neu geschrieben werden. Ich wäre froh, wenn die Bestätigung seiner Aussage mal wieder käme.

Frage: Worin liegt das aktuelle Problem?

Niersbach: Es gibt sicherlich nicht den einen zentralen Grund. Für die Fragen, die jetzt gestellt werden, haben wir die sportlich Verantwortlichen. Ich behaupte, in der Betreuung der Mannschaften geht es nicht besser. Das ist perfekt. Da begegnen wir hingegen immer mal wieder dem Vorwurf der Überversorgung. Den weise ich aber zurück. Wir stehen zu dieser Systematik. Auch in Zukunft wird es im medizinischen oder im Betreuungsbereich an nichts mangeln. Ich bin auch ein Stück weit überfragt, warum es zuletzt nicht geklappt hat. Es soll keine Phrase sein, aber wir werden das intern aufarbeiten. Das ist der ganz natürliche Ablauf.

Frage: Wie wird man nun ganz zeitnah beim DFB mit diesen Rückschlägen umgehen?

Niersbach: Es gehört zu jedem Turnier, dass man sich anschließend mit den sportlichen Köpfen zusammensetzt und die Frage diskutiert, ob wir etwas ändern müssen. Seit den drei Titeln der U-Mannschaften 2009 sind wir nur noch zweimal im Finale gestanden - mit der U 17. Andere unserer Teams haben ihre Endrunden verpasst und damit auch schon die Qualifikation für die Nationalmannschaft. Wir sind nicht so arrogant zu sagen, wir müssen bei jedem Turnier dabei sein oder bei den Turnieren den Titel holen. Aber die Teilnahme bei einer Endrunde muss immer als ein Ziel definiert werden. Deshalb kann ich nur wiederholen: Das kann, darf und wird nicht der Anspruch des DFB sein.

Frage: War es richtig, einige Spieler bei der A-Nationalmannschaft zu belassen und sie nicht mit zur U-21-EM zu nehmen?

Niersbach: Das wird ganz klar immer eine Entscheidung der sportlich Verantwortlichen bleiben. Unser Präsidium wird da auch in Zukunft nie eingreifen. Ich würde die aktuelle Situation auch nicht an einzelnen, nicht berücksichtigten Spielern festmachen. Tatsache ist, dass Andre Schürrle, Ilkay Gündogan und Julian Draxler zu Anfang einige Spieler bei der U 21 absolviert haben, ehe sie dann nach oben geschickt wurden. Das ist immer ein Abwägen.

Frage: Aber diese Spieler hätten den Kader doch deutlich verstärkt, oder nicht?

Niersbach: Es gibt auch Beispiele, bei denen ein Mannschaftsgefüge Schaden genommen hat, wenn auf einmal jemand auftaucht, der die gesamte Qualifikation nicht mitgemacht hat. Aber: Diese Frage gehört auf den Prüfstand. Und sie lässt sich ja auch weiterführen. Bei der U 21 gehörten mit Emre Can und Matthias Ginter zwei Spieler zum Kader, die nun bei der U 19 gefehlt haben.

Frage: Welche Meinung vertreten Sie denn ganz persönlich bei dieser Thematik?

Niersbach: Da habe ich eine klare Einstellung: Die Entscheidung, die getroffen wird, werde ich immer mittragen und unterstützen. Sonst wäre der nächste Schritt ja nur noch, sich auch in die Aufstellungen einzumischen.

Frage: Es läuft also darauf hinaus, dass dies letztlich eine Frage der Philosophie ist.

Niersbach: Genau. Man muss entscheiden, ob man auf die individuelle Entwicklung der Spieler oder den frühen Mannschaftserfolg setzt. Ich bin da der Meinung Matthias Sammers, dass dies kein Widerspruch sein muss. Wenn man mit den Mannschaften Erfolg hat, entwickelt man sich auch als Persönlichkeit. Es hat aber in den unteren Jahrgängen zuletzt die Teilnahme an der Weltmeisterschaft und somit die Konfrontation mit dem Spiel aus Südamerika oder Afrika gefehlt.

Frage: Sie sagen, diese Entscheidungen lägen in der Hand der sportlichen Leitung. Ist das wirklich so oder scheitern solche Debatten auch auf ganz anderen Ebenen wie beispielsweise bei den Vereinen, den Beratern oder den Spielern selbst?

Niersbach: Es gehört dazu, mit den Vereinstrainern darüber zu sprechen. Ich würde es als einen Fehler ansehen, wenn man das nicht tun würde. Fragen Sie einmal Jürgen Klopp, wie kaputt die Dortmunder Spieler nach dieser Saison waren.

Frage: Es ist normal, dass nach einem solchen Abschneiden der U 21 auch Kritik am Trainer aufkommt. Stehen Sie zu Rainer Adrion?

Niersbach: Ja. Auch diese Entscheidung ist klar gefallen, sie war perspektivisch und wurde auch schon von Robin Dutt eingeleitet. Wir haben die Verträge mit allen Trainern um ein weiteres Jahr verlängert. Und zwar deshalb nur ein Jahr, weil bei Dutt noch ein paar andere Ideen im Raum standen. Beispielsweise, dass uns weitere Spezialisten verstärken oder auch eine insgesamt etwas andere Aufteilung der U-Trainer. Da müssen wir nun schauen, was davon übrig bleibt und ob wir seinen Kurs weiterfahren oder nicht.

Frage: Zu den sportlichen Köpfen, die Sie ansprechen, zählt eigentlich der DFB-Sportdirektor. Dieser Posten ist derzeit jedoch unbesetzt. Wie soll dieses Vakuum gefüllt werden?

Niersbach: Die Maßnahmen, wie sie hier in Israel über die Bühne gingen, waren natürlich alle noch mit Dutt abgesprochen. Bis hin zu der Frage nach den Abstellungen. Es war geplant, dass Dutt hier dabei gewesen wäre. Wir stehen zu der Aussage, die wir nun schon mehrfach getätigt haben: Wir werden nicht in Zeitdruck einen neuen Sportdirektor präsentieren.

Frage: Sondern?

Niersbach: Wir arbeiten daran herauszufinden, ob das Anforderungsprofil, das bei Dutts Anstellung noch Prämisse war, weiterhin verfolgt wird. Ich glaube nach wie vor, dass es richtig ist, in dieser Position jemanden zu haben, der sportfachliche Inhalte vermittelt - also mehr als einen in Anführung Koordinator oder Steuerer. Das wird nach meiner Einschätzung ein zentrales Anforderungsprofil bleiben. Diese nächste Personalentscheidung muss aber sitzen und langfristig halten.

Frage: Der ehemalige Sportdirektor Matthias Sammer sagte, die Position des Sportdirektors gehöre gestärkt. Stimmen Sie ihm zu?

Niersbach: Es ist bereits eine starke und hochwertige Position. Wenn ich verraten würde, wer sich dafür interessiert und bereits bei uns gemeldet hat, ohne dass wir irgendwo eine Anzeige geschaltet hätten, dann würde man sich wundern. Es ist eine reizvolle Position, aber auch eine andere als die eines erstklassigen, exponierten Trainers im Verein.

Frage: Bringen Sie dann für Dutts Abgang Verständnis auf?

Niersbach: Ich kann seine Entscheidung ein Stück weit nachempfinden. Er war 18 Jahre lang Trainer, von unserem Angebot begeistert und hat dann aber auf dem Weg gemerkt, dass ihm etwas fehlt. Das hat er mir bereits letztes Jahr im November das erste Mal mitgeteilt. Es ist kein total anderer Job, aber es ist etwas anderes, als jeden Tag auf dem Platz zu stehen.

Die U-21-EM in der Übersicht