Kai Havertz von Bayer Leverkusen: FC Bayern vor der Brust, Real Madrid im Kopf?

Von Dennis Melzer
Kai Havertz trifft mit Leverkusen im Pokal-Finale auf den FC Bayern.
© imago images/Bernd König

Kai Havertz schwächelte im Herbst, trumpfte nach der Winterpause aber groß auf. Sein Wunschziel ist wohl Spanien, auch ein Verbleib scheint realistisch. SPOX und Goal haben mit Reiner Calmund gesprochen und beleuchten vor dem DFB-Pokal-Finale zwischen Bayer Leverkusen und dem FC Bayern (20 Uhr im LIVETICKER) die Situation des 21-Jährigen.

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Am 18. Dezember vergangenen Jahres wurde es plötzlich ungemütlich für Kai Havertz. Nicht etwa, weil Minusgrade oder übermäßige Niederschläge die BayArena heimgesucht hatten. Nein, der Leverkusener Youngster war von den eigenen Fans mit einem Pfeifkonzert bedacht worden, als er nach einer tristen Vorstellung gegen Hertha BSC in der 73. Spielminute durch Paulinho ersetzt wurde. Eine neue Situation für den sichtlich getroffenen Havertz, dessen Karriere nach dem Bundesliga-Debüt 2016 bis dato kometenhaft verlaufen war.

Er, der gerade einmal 20-Jährige, wurde vom Bayer-Anhang nicht bloß als Sündenbock für das zwischenzeitliche Tief der Werkself ausgemacht, das sich in drei Niederlagen binnen sieben Tagen geäußert hatte, Havertz stand sinnbildlich für die wenig zufriedenstellende Leverkusener Hinrunde im Allgemeinen. In der Liga rangierte das eigentlich so hoch veranlagte Team von Trainer Peter Bosz auf Platz sechs, die Champions-League-Gruppenphase hatte es zudem nicht überstanden.

Auch, weil Havertz, in der Vorsaison mit 27 Scorerpunkten in 42 Pflichtspielen noch überragender Mann, nicht vollumfänglich zu glänzen vermochte und in der Bundesliga lediglich zweimal als Torschütze sowie einmal als Vorlagengeber in Erscheinung getreten war. Von Medien und Fans wurde das Formtief des gebürtigen Aacheners als Hinweis gewertet, dass er den Hype um seine Person wohl doch nicht so gut weggesteckt habe, vielleicht sogar mit dem Kopf schon bei einem anderen, viel größeren Verein sei.

Jonathan Tah zu Pfiffen gegen Havertz: "Ich find's scheiße"

"Ich find's scheiße", sagte Jonathan Tah, als er im Anschluss besagter Partie mit den Pfiffen gegen seinen Teamkollegen konfrontiert wurde. Der Abwehrspieler schob nach: "Das bringt nichts. Und es wird auch nicht dazu führen, dass er motivierter ist. Der Junge ist 20 Jahre alt. Das ist nicht schön für ihn."

Auch Trainer Bosz zeigte sich angefressen von den Unmutsbekundungen der eigenen Zuschauer: "Ich verstehe nicht, warum die Menschen ihn ausgepfiffen haben. Wir reden hier immer von der Bayer-04-Familie, dazu gehören die Fans, Spieler, Mitarbeiter - alle zusammen. Auch wenn es nur von ein paar Menschen kam - ich würde meine Familie nie so beschimpfen", wetterte der Niederländer.

Bayer-Trainer Peter Bosz: "Er darf mal schlecht spielen"

Bosz stärkte seinem Schützling darüber hinaus den Rücken: "Er darf mal schlecht spielen, das wird in Zukunft auch öfter passieren. Ich hoffe, dass er morgen anfängt, wieder gut zu spielen."

Bosz' Hoffnung sollte erhört werden. Nach der Winterpause präsentierte sich das Eigengewächs stark formverbessert, steuerte in den ersten beiden Spielen zwei Treffer und eine Vorlage bei und egalisierte damit seine Statistik aus der Hinrunde. Zwischen Mitte Februar und Anfang März, ehe die Bundesliga wegen der globusumspannenden Corona-Pandemie pausieren musste, legte er fünf weitere Pflichtspieltreffer und satte sechs Assists nach.

"Havertz macht Tore mit links, mit rechts und per Kopf. Das ist eine außergewöhnliche Qualität", sagt Reiner Calmund, langjähriger Manager und Geschäftsführer bei Bayer, im Gespräch mit SPOX und Goal . "Zudem ist er flexibel, passsicher, technisch stark und schnell. Er ist ein absoluter Ausnahmekönner."

Nachdem Deutschlands Beletage den Spielbetrieb wieder aufgenommen hatte, knüpfte Havertz in der Tat nahtlos an seine starken Leistungen an und unterstrich obendrein seine enorme Flexibilität.

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Achter, Neuner, Zehner: Kai Havertz spielt überall - und ragt heraus

Der Nationalspieler, der in der Rückrunde bereits als Achter, Zehner, Rechtsaußen und kurz vor der Corona-Zwangspause sogar als Mittelstürmer für Bayers etatmäßigen Angreifer Kevin Volland zum Einsatz gekommen war, fand sich gegen Werder Bremen erneut auf ebenjener Position wieder und brachte Leverkusen mit zwei Kopfballtoren auf die Siegerstraße, nur um am darauffolgenden Wochenende mit einem weiteren Doppelpack in Mönchengladbach abermals zum Matchwinner zu avancieren.

Am Ende der zweiten Saisonhälfte standen im Vergleich zur Hinrunde schließlich zehn Tore und fünf Vorlagen mehr auf der Habenseite.

Doch nicht nur zahlentechnisch hatte Havertz zurück zu alter Stärke gefunden, generell beeindruckte der Allrounder mit seiner Technik, Beidfüßigkeit und physischen Präsenz. Havertz ließ sich wahlweise fallen, um sich die Bälle im Mittelfeld zu holen, nur wenige Augenblicke später hebelte er mit seinem Laufweg die gegnerische Abwehrkette aus oder leitete mit einem punktgenauen Pass den nächsten Leverkusener Angriff ein.

Reiner Calmund vergleicht "Ausnahmekönner" Havertz mit Ex-Bayer-Stars

Calmund stellt angesichts der Fähigkeiten von Havertz den Vergleich mit drei einstigen Größen im Leverkusener Mittelfeld an. "Wir hatten bei Leverkusen zu meiner Zeit mit Michael Ballack, Emerson und Bernd Schuster drei absolute Ausnahme-Mittelfeldspieler, deren Karrieren ich von Beginn an intensiv verfolgt habe. Ballack war der Torgefährlichste, Emerson glänzte mit seiner Vielseitigkeit und Schuster hatte seine große Stärke im strategischen Bereich", weiß der mittlerweile 71-Jährige.

"Wenn man diese Jungs, als sie 21 Jahre alt waren, mit Kai Havertz heute vergleicht, ist Kai allen Dreien qualitativ überlegen. Die Einschätzung, dass keiner der drei in diesem Alter über solche Fähigkeiten verfügt hat, teilt übrigens auch Rudi Völler.", sagt Calmund weiter. "Er hat mir in einem Gespräch sogar klar und deutlich erklärt, dass Kai Havertz auch mittelfristig der bessere Ausnahmespieler sei." Daran ändere auch die herbstliche Talsohle nichts.

Diese hat Havertz ohnehin gänzlich durchschritten und damit seine psychische Reife unter Beweis gestellt. Im Mai wurde er von den Fans folgerichtig zum Bundesliga-Spieler des Monats gewählt, beim Fan- und Experten-Votum zum besten Akteur der gesamten Saison belegte er hinter Bayerns Torjäger Robert Lewandowski und Dortmunds Shootingstar Jadon Sancho den dritten Platz.

Grund genug, dass seit geraumer Zeit wieder über Havertz' Zukunft spekuliert wird. Neben dem deutschen Klassenprimus FC Bayern sollen zahlreiche internationale Schwergewichte um die Gunst des Offensivmannes buhlen. Unter anderem der FC Chelsea, der FC Barcelona und Real Madrid werden immer wieder als mögliche Abnehmer gehandelt.

Calmund: "Aus seinem Umfeld ist zu vernehmen, dass Spanien sein Wunschziel ist"

Calmund zufolge könne sich Havertz einen Wechsel auf die iberische Halbinsel durchaus vorstellen. "Aus seinem Umfeld ist zu vernehmen, dass Spanien sein Wunschziel ist", sagt er und gibt eine Einschätzung ab: "Barcelona ist aktuell nicht in der Lage, einen Transfer in dieser Größenordnung finanziell zu stemmen. Ich würde ihm einen Wechsel zu Barca auch nicht empfehlen, er würde dort immer mit dem mehrfachen Weltfußballer Lionel Messi verglichen werden, die Medien und auch die Fans würden sich dabei gerne nur an die ganz überragenden Leistungen von Messi erinnern."

Während das Interesse der Blaugrana, die zuletzt Miralem Pjanic von Juventus in die katalanische Metropole lotsten und im Gegenzug Arthur Melo zur Alten Dame abgaben, ohnehin nicht allzu konkret erscheint, soll Erzrivale Real Anfang Juni laut Informationen der Bild ein Angebot über 80 Millionen Euro bei Bayer hinterlegt haben.

Die von Carro angesprochenen Bedingungen wurden in der jüngeren Vergangenheit tatsächlich einigermaßen deutlich kommuniziert: Leverkusen hofft auf einen dreistelligen Millionenbetrag und ist, obwohl die Coronakrise bei sämtlichen Vereinen Europas eine erhebliche finanzielle Lücke gerissen hat, nicht gewillt, von seiner Forderung abzurücken, weshalb wohl auch die kolportierte Offerte vonseiten des spanischen Rekordmeisters keine Früchte trug.

Havertz: 100 Millionen Euro als Verhandlungsbasis

"Die beiden Bayer 04 Geschäftsführer Fernando Carro und Rudi Völler haben sich genau wie der Bayer 04 Aufsichtsrats-Chef Werner Wenning, auch lange Vorstands- und Aufsichtsrats-Vorsitzender der Bayer AG, auf 100 Millionen Euro als Verhandlungsbasis festgelegt. Von diesem Betrag werden die drei Bayer-Bosse nicht wesentlich abrücken", verrät Calmund, der sich über einen Bundesliga-Verbleib des Top-Talents freuen würde.

"Natürlich ist auch der FC Bayern an ihm interessiert. Aber, dass die Münchner nach der Verpflichtung von Leroy Sane noch einmal um die hundert Millionen Euro in die Hand nehmen, kann ich mir nicht vorstellen", sagt der Rheinländer. "Ich würde Kai gerne weiterhin in Deutschland spielen sehen und da kommt sicher nur der FC Bayern in Frage. Vielleicht ist ein Deal für das nächste Jahr möglich." Eine Aussage, die Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge am Freitagabend bestätigte, als einen Havertz-Transfer an die Isar für 2020 ausschloss.

Da Havertz' Vertrag, der bekanntermaßen keine Ausstiegsklausel beinhaltet, in der Farbenstadt noch bis 2022 gültig ist, befindet sich Bayer in einer wahrlich angenehmen Situation. Entweder, ein Klub bringt die gewünschte Summe auf oder er kickt noch ein weiteres Jahr unterm Bayer-Kreuz.

DFB-Pokalfinale: Alle Augen auf Havertz

Bevor aber eine endgültige Entscheidung in der Causa Havertz fällt, stehen für Leverkusen noch prestigeträchtige Aufgaben an. Im August wird quasi vor der eigenen Haustüre die restliche Europa-League-Saison ausgetragen, in der die Bosz-Truppe nach einem 3:1-Erfolg bei den Glasgow Rangers bereits mit einem Fuß im Viertelfinale steht. Zuvor kämpft der SVB allerdings nach elf Jahren Endspiel-Abstinenz in Berlin um den DFB-Pokal.

Aufgrund der sich hartnäckig haltenden Gerüchte um einen möglichen Wechsel zum Finalgegner FC Bayern, werden dabei alle Augen auf Havertz gerichtet sein, der in der laufenden Saison sein erstes Spiel gegen die Münchner bestreiten dürfte (im Hinspiel blieb er 90 Minuten auf der Bank, beim letzten Duell vor wenigen Wochen fiel er aufgrund muskulärer Probleme aus). Pfiffe gegen ihn wird es dabei definitiv keine geben. Das Olympiastadion bleibt am Samstagabend leer.

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