Für Joachim Löw war es viel zu früh. Der Trainer der deutschen Nationalmannschaft tritt normalerweise erst einen Tag vor einem Länderspiel auf das Podium der Pressekonferenz.
Dann hat er seine Mannschaft schon ein paar Tage um sich, hat sie trainieren sehen und sich Eindrücke verschafft. Dann kann er über die sportlichen Belange reden, die vor einem Spiel auch wirklich interessieren.
Dieses eine Mal wollte er eine Ausnahme machen. Oder besser: er musste. Also setzte sich Löw in die Mitte der Bühne, Philipp Lahm nahm vergleichsweise in der Peripherie Platz. Dazwischen blieb ein Stuhl leer.
Nebenkriegsschauplatz für Löw
Der Bundestrainer und sein Kapitän. Die beiden Exponate einer Mannschaft, die eigentlich über Aufstellung, Umstellung, Einstellung parlieren sollten. Jetzt ging es im ausschweifenden Zeitalter von Facebook und Twitter, wo Spieler 24 Stunden am Tag beinahe unkontrollierbar Wichtiges und Nichtiges erklären können, fast ausschließlich um ein profanes Buch.
Allein diese Tatsache hat Löws Gestik und Mimik Schärfe verliehen, seiner Stimme mehr Biss. Nicht zum ersten Mal eröffnete sich ihm ein Nebenkriegsschauplatz, den sich in der Form keiner gewünscht haben dürfte. Noch nicht mal Hobby-Literat Lahm.
Für Löw führen Auftritte wie diese immer einer Art Grundsatzfrage: Spricht er seine Sanktionen zu streng aus, wird ihm fehlendes Feingefühl vorgeworfen. Zumal es sich in der derzeitigen Debatte um ein eher belangloses Werk handelt, das eher einer wohlfeilen Plauderei gleichkommt als einer Abrechnung.
Oder aber er mimt den großzügigen Souverän. Dann wird sein Handeln aber schnell als zu lasch und inkonsequent empfunden. Also wählte der Bundestrainer in der Causa Lahm einen Mittelweg. Natürlich sei es für ihn nie zur Disposition gestanden, Philipp Lahm von dessen Amt als Kapitän zu entheben.
Wie Schüler und Lehrer
Dafür sind sich beide in ihrer Auffassung von Fußball zu ähnlich, gehört Lahm auch in den nächsten Jahren noch als Fixpunkt zur Mannschaft und: es gäbe auch nicht annähernd einen adäquaten sportlichen Ersatz - sei es auf der linken oder rechten Abwehrseite.
Andererseits war Löw sichtlich genervt, also rüffelte er Lahm. "Ich finde es nicht glücklich, dass er als aktueller Spieler über Trainer in der Öffentlichkeit urteilt. Das steht niemandem zu. Das habe ich ihm auch gesagt!" Lahm nahm Löws Worte an, wie ein Schüler seinem Lehrer zu gehorchen hat.
Problemfälle Ballack und Kuranyi
Es gab in Joachim Löws Karriere als Bundestrainer schon einige streitbare Entscheidung. Michael Ballack, damals sein Kapitän, hatte er nach dessen heftiger Kritik im Herbst 2008 schnell gekontert, auch die folgenden Angriffe von Ballacks Kompagnon Torsten Frings scharf pariert.
Damals hörten sich die ersten Reaktionen auch sehr versöhnlich an, der von DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger verordnete Burgfriede griff aber viel zu kurz. Schon nach ein paar Tagen brannte es wieder lichterloh. Beide hat Löw letztlich aussortiert, wenngleich auch mit deutlicher Verzögerung.
Auch Kevin Kuranyi traf Löws Sanktion im selben Zeitraum gnadenlos, der Stürmer wurde nach der Stadionflucht von Dortmund für die Amtszeit von Löw aus der Nationalmannschaft verbannt. Lukas Podolski dagegen erfuhr nach seiner Ohrfeige gegen Ballack Milde.
Nicht das erste Problem mit Lahm
Es gab schon einmal eine knifflige Situation zwischen beiden zu besprechen. Aus heiterem Himmel war Lahm zwei Tage vor dem WM-Halbfinale gegen Spanien in einem Interview mit der "Bild" gegen Ballack vorgeprescht und hatte vor der wichtigsten Partie der letzten beiden Jahre für Aufruhr gesorgt.
"Die Rolle des Kapitäns macht mir sehr viel Spaß. Ich habe Freude daran. Wieso sollte ich das Amt dann freiwillig abgeben?", wurde Lahm damals zitiert. Der verletzte Ballack hatte gerade eben das grandiose 4:0 über Argentinien von der Seitenlinie aus verfolgen müssen, wie das fünfte Rad am Wagen.
Es sei doch klar, "dass ich die Kapitänsbinde gerne behalten möchte. Wenn man seine Rolle auf dem Platz ausfüllt und sie im Griff hat, so wie ich auf meiner Position, dann will man mehr. Dann will man mehr Verantwortung, dann will man sich um das Ganze kümmern. Und das ist jetzt bei mir der Fall", so Lahm weiter.
Es waren forsche Worte für einen, der gerade einmal gut fünf Wochen vorher erst ins Amt gehievt wurde. Auf der einen Seite war es für Löws Überlegungen, sich früher oder später von Ballack trennen zu wollen, sicherlich eine hilfreiche Debatte. Für die Mannschaft aber alles andere als förderlich. Dabei sollte gerade die die Fürsorgepflicht ihres Kapitäns genießen.
Löw fast beleidigt
Vielleicht hat sich Löw an beides erinnert und deshalb den Konsens gesucht, auch wenn er den schroffer formuliert hat als es seiner Art entspricht. Immerhin hat er erst das letzte große Störfeuer hinter sich: Die endgültige Trennung von Ballack wurde erst vor wenigen Wochen vollzogen.
Deshalb klang Löw auch ein wenig beleidigt, dass die fortschreitende Entwicklung der Mannschaft und die guten Ergebnisse von mehr oder weniger wichtigen Randnotizen immer wieder in den Hintergrund gedrängt werden.
"Das sage ich auch in aller Klarheit: Es stört, dass wir ständig bei der Nationalmannschaft andere Themen tagelang diskutieren. Wir haben Argentinien, England, Brasilien geschlagen. Das hat für mich die höchste Priorität!"
Lahm habe bis jetzt keinen Unterschied im Umgang der Kollegen mit ihm gespürt. Inwieweit er noch uneingeschränkte Vertrauensperson sein kann, erscheint zumindest fraglich. Klar ist: Einen dritten Ausreißer darf auch er sich nicht mehr erlauben.