BVB zwischen Erinnerungen an Jürgen Klopp und Fragilität: Wie lange geht das noch gut?

Von Justin Kraft
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Borussia Dortmund gewinnt gegen RB Leipzig mit 2:1 und baut seine Serie in der Bundesliga auf acht Siege in Folge aus. Nach einer furiosen Anfangsphase verfällt das Team von Edin Terzic aber in Passivität, die durchaus Sorgen machen sollte. Wie lange geht das noch gut?

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Schlechtes Stellungsspiel in der BVB-Abwehr. Christopher Nkunku war frei durch und auf dem Weg, das 1:0 für die Gäste zu erzielen. Drei Minuten waren gespielt. Nach drei Minuten hätte das Topspiel eine ganz andere Wendung nehmen können. Dortmund wäre einem Rückstand hinterhergelaufen, Leipzigs starke erste Minuten wären direkt belohnt worden.

Doch es kam anders. Nico Schlotterbeck, zuvor noch ungünstig in der Kette positioniert, schaltete schnell um und schaffte es, den Franzosen einzuholen. Der Innenverteidiger setzte zur Grätsche an. Viel Risiko, aber auch viel Leidenschaft. Nkunku fiel, der Ball rollte ins Aus. Kein Foul, keine Beschwerden, zu Recht kein Elfmeter. Stattdessen eine Ecke für Leipzig, die nichts einbrachte. Niemand weiß, wie die Partie gelaufen wäre, hätte Schlotterbeck nicht mit seiner herausragenden Grätsche das frühe Gegentor verhindert.

Dortmund kam ins Rollen, erzielte zunächst ein aberkanntes Tor und wenige Minuten später das 1:0 per Elfmeter. Es war die stärkste Phase des BVB in diesem Spiel. Beflügelt von den Emotionen, die das Schlotterbeck-Tackling freigesetzt hatte.

In solchen Phasen erinnert Borussia Dortmund an jenes Team, das die Meisterschale zuletzt an den Borsigplatz brachte. Zwischen dieser dritten Minute und dem 1:0 durch Marco Reus entwickelte das Team von Edin Terzic eine Dynamik und ein Tempo, das Leipzig niederdrückte. Hinzu kamen die Fans, die sich von dieser Leidenschaft mitreißen ließen. Eine Symbiose, die es in dieser Form in Europa nicht so oft gibt - und die ein Gefühl der Unbesiegbarkeit auslöst. "Wer wird Deutscher Meister? BVB Borussia", hallte es kurz vor der Pause durch das Westfalenstadion.

BVB: Erinnerungen an Jürgen Klopp

Terzic hat dieses Gefühl zurückgeholt. Wie sich die Spieler untereinander pushen und wie sie an sich glauben, all das erinnert an die großartige Zeit unter Jürgen Klopp, aus deren Schatten bisher kein anderes BVB-Team hervortreten konnte. Kleine Szenen reichen aus, um das ganze Team, gar das ganze Stadion zu emotionalisieren. Für einen Moment ist alles wie im Rausch. "Echte Liebe verleiht Flügel", stand auf dem Plakat eines BVB-Fans. Tatsächlich fliegt die Borussia nur so durch das Jahr 2023.

Acht Bundesliga-Siege in Serie sind es jetzt. Der Trainer hat es in der Vergangenheit schon mal geschafft, ein solches Momentum zu kreieren. Die Saison 2020/21 beendete Borussia Dortmund mit sieben Bundesliga-Erfolgen in Serie - und dem Pokalsieg. Das nur auf Glück zu reduzieren, wird seiner Leistung nicht gerecht. Denn auch wenn einige dieser Siege glücklich waren, so ist die Leidenschaft des BVB derzeit unverkennbar. Sie gewinnen Spiele, die sie früher verloren hätten.

Terzic ist etwas gelungen, was vor ihm nur wenige BVB-Trainer erreicht haben: Er setzt die Stärken seiner Spieler derart in Szene, dass die Schwächen zumindest im Moment keine große Rolle mehr spielen. Dafür nutzt er vermeintlich einfache Mittel. Indem er Spieler in Rollen einsetzt, die gut zu ihnen passen, erzeugt er eine bessere Teamdynamik. Vor seiner Verletzung war Karim Adeyemi das beste Beispiel. In der Hinrunde musste der Angreifer oft auf der rechten Seite spielen, fiel dort meist klar ab. Auf dem linken Flügel war er auch deshalb deutlich besser, weil er vom jeweiligen Außenverteidiger deutlich mehr Unterstützung erhielt.

Auch das wacklige Mittelfeld konnte Terzic stabilisieren, indem er vor der Abwehr auf zwei zweikampfstarke Spieler setzt: Emre Can und Salih Özcan. Davor hängt Jude Bellingham auch deshalb nicht in der Luft, weil Julian Brandt vom rechten Flügel aus viel ins Zentrum einrückt und so auch den Spielaufbau unterstützt. Es sind kleine Änderungen, die das Spiel des BVB nun etwas runder machen. Darüber hinaus scheint Terzic aus jedem Spieler auf individueller Ebene das Maximum herauszuholen. Marius Wolf erinnert in seiner aktuellen Verfassung stark an Kevin Großkreutz, der einst unter Klopp weit über seinem eigentlichen Niveau spielte.

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BVB: Fragiler, als es die Ergebnisse erzählen

Und doch ist der BVB fragiler, als es die Ergebnisse aktuell erzählen. Die Leidenschaft, die Emotionen, vor allem aber das Tempo - all das verschwand nach dem Führungstreffer durch Marco Reus. Plötzlich spielte Dortmund träge, wurde auch gegen den Ball zunehmend passiver, statt weiter Druck auf die nun fehleranfälligen Leipziger auszuüben. Es wurde abermals deutlich, wie viel dann doch noch zu jenen Dortmundern fehlt, die einst unter Klopp große Erfolge am Borsigplatz feierten.

Erst Cans Treffer zum 2:0 weckte den BVB kurzzeitig wieder auf, holte ihn aus seiner Phase der Lethargie heraus. Doch der Pausenpfiff kam zu früh. Im zweiten Durchgang war die Passivität zurück. Dortmund stand tief, ließ sich immer weiter fallen und überließ Leipzig den Ball. Die Gäste holten sich immer mehr Sicherheit, trafen in der 74. Minute verdient zum ersten Mal. Das Zittern begann. Auch das Stadion wurde ruhiger. Von den Emotionen der Anfangsphase war nicht mehr viel zu sehen.

Fünf der insgesamt acht Abschlüsse hatte Dortmund in der ersten Halbzeit, in der die Ballbesitzwerte noch ausgeglichen waren. Am Ende der Partie hatte Leipzig 62 Prozent Ballbesitz, 17:8 Schüsse und 2,4 Expected Goals. Die größte Chance des BVB blieb der Elfmeter von Reus.

BVB: Probleme, die derzeit kaum diskutiert werden

Dabei hätte gerade die zweite Halbzeit den Schwarzgelben liegen müssen. Dass Dortmund unter Terzic Probleme damit hat, das Spiel zu machen, ist nicht neu. Zu langsam ist der Ballvortag oft, wenn der Gegner tief steht und sich dort gut organisiert. Leipzig aber stand von Beginn an hoch und bot dem BVB viele Räume an.

Im Umschaltspiel ist das Team von Terzic sehr stark. Über Brandt, Bellingham und Reus können sie das Spiel schnell machen. Das Problem war aber, dass in der zweiten Halbzeit kaum noch höhere Ballgewinne verbucht wurden. Dortmund zog sich immer weiter zurück, die Wege nach vorn wurden dadurch viel zu weit. Leipzig hatte sie im Griff. Terzic akzeptierte diesen Zustand, brachte mit Mats Hummels sogar noch einen fünften Verteidiger.

Es ist nicht das erste Mal, dass Dortmund innerhalb einer Partie zwei verschiedene Gesichter zeigt, dass sie von aktivem Offensivfußball zu passivem Defensivfußball wechseln. Auch gegen Chelsea zeigte der BVB zu viele Unsicherheiten, lief in viele Konter und war defensiv oft zu weit weg vom Gegenspieler.

Dortmund gewinnt diese Spiele aktuell aber. Das blendet Diskussionen um offensichtliche Probleme aus. Auch darüber, dass Haller noch kein großer Faktor im Spiel ist. Derzeit kommt der Mittelstürmer zu nicht mal zwei Abschlüssen pro 90 Minuten. Sein Team bekommt ihn nicht vernünftig eingebunden. Auch als Wandspieler kann er nur selten glänzen. Das liegt daran, dass der BVB in Ballbesitzphasen früh über die Flügel kommt und in offensiven Umschaltsituationen meist auf die Spieler setzt, die mit Tempo hinter die gegnerische Kette sprinten können.

Borussia Dortmund, RB Leipzig
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BVB: Wie lange geht das noch gut?

Am Freitagabend war von beiden Elementen nicht viel zu sehen. "Wir mussten bis zum Ende zittern", gab Reus am Mikrofon von DAZN zu: "Am Ende gewinne ich aber lieber, anstatt gut zu spielen und zu verlieren." Die Rechnung geht aktuell auf.

In der Schlussphase hatte Timo Werner allerdings den Ausgleich auf dem Fuß. Eine Szene, die Narrative wie jenes von Reus wackeln ließ. Sein Schuss aus kurzer Distanz wäre unhaltbar im langen Eck gelandet. Doch Schlotterbeck rettete kurz vor der Linie. Wieder Schlotterbeck, der schon nach gut drei Minuten den Rückstand verhindert hatte.

Es sind diese Szenen, die vom Freitagabend in Erinnerung bleiben. Jeder für jeden und das mit hoher Bereitschaft zum Leiden. Weil der BVB abermals gewonnen hat, funktioniert diese Perspektive, die sich vor allem auf den emotionalen Teil des Fußballs konzentriert. Terzic und sein Team reiten derzeit eine Welle der Euphorie und des Erfolgs. Die Ergebnisse sind stabil, obwohl es die Leistungen nicht sind. Und so muss die Frage erlaubt sein, wie lange das noch gut geht, wie weit sie diese Welle noch trägt.

Fakt ist, dass mit jedem Sieg ein Stück mehr Selbstbewusstsein hinzukommt. Spätestens am 1. April, wenn es zum Showdown in der Münchner Allianz Arena kommt, wird man sehen, wie weit und wie reif dieser BVB wirklich schon ist. Vorher steht am Dienstagabend das wichtige Spiel beim FC Chelsea an. Bis dahin wird das Gefühl der Unbesiegbarkeit noch mindestens bestehen - und der große Traum, bald endlich wieder einen Titel am Borsigplatz feiern zu können, ebenso.

BVB vs. FC Bayern: Das Restprogramm in der Bundesliga

SpieltagBVBFC Bayern
23RB Leipzig (H, 2:1)VfB Stuttgart (A)
24Schalke 04 (A)FC Augsburg (H)
251. FC Köln (H)Bayer Leverkusen (A)
26Bayern München (A)Borussia Dortmund (H)
27Union Berlin (H)SC Freiburg (A)
28VfB Stuttgart (A)TSG Hoffenheim (H)
29Eintracht Frankfurt (H)Mainz 05 (A)
30VfL Bochum (A)Hertha BSC (H)
31VfL Wolfsburg (H)Werder Bremen (A)
32Borussia M'Gladbach (H)Schalke 04 (H)
33FC Augsburg (A)RB Leipzig (H)
34Mainz 05 (H)1. FC Köln (A)
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