Erkenntnisse zum 4:2 des FC Bayern München gegen den 1. FC Heidenheim: Verwechselt? Beinahe hätte sich Thomas Tuchel den Vorwurf anhören müssen

Raphael Guerreiro, FC Bayern München, 1. FC Heidenheim
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Bayern Münchens Trainer Thomas Tuchel lobt nach dem 4:2 gegen den 1. FC Heidenheim am 11. Spieltag der Bundesliga "Energie, Speed und Torhunger" der Einwechselspieler. Er verschweigt aber, dass sein Plan auch hätte schiefgehen können. In einem Punkt hat sich der FCB auf jeden Fall weiterentwickelt und Raphaël Guerreiro zeigt seine Extra-Klasse. Die Erkenntnisse zum Sieg gegen den Aufsteiger.

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FC Bayern: Verwechselt? Diesen Vorwurf hätte sich Tuchel beinahe anhören müssen

Thomas Müller, in letzter Zeit ohnehin wieder in allen Belangen erfrischend, brachte die Geschichte dieses dann doch recht abwechslungsreichen 4:2 des FC Bayern München gegen den 1. FC Heidenheim auf den Punkt. "Eigentlich hatten wir alles im Griff, dann eigentlich nicht, dann wieder schon. Schön war, dass wir gut reagiert haben."

Gegen die gewohnt gut organisierten Heidenheimer dank der Extra-Klasse (und eines Standards) ihres Immer-Treffers Harry Kane und seines kongenialen Immer-Vorbereiters Leroy Sané Mitte der ersten Halbzeit souverän 2:0 in Führung zu liegen, dann in der zweiten Halbzeit nach individuellen Fehlern den Ausgleich zu kassieren, und am Ende dank der Tore der eingewechselten Raphaël Guerreiro und Eric Maxim Choupo-Moting noch verdient 4:2 zu gewinnen: Das ist, nun ja, eigentlich zu gut, um zu schimpfen. Aber eben auch eigentlich nicht mehr als okay.

Bayern-Noten: Kane kanet - Kim leistet sich Patzer

Daher klang Thomas Tuchels Analyse der Partie durchaus nachvollziehbar. "Plötzlich gibt es dann in so einem Spiel für uns nichts mehr zu gewinnen, sondern nur noch zu verlieren. So hat es dann auch ein bisschen ausgeschaut. Wir waren fehlerhaft, waren müde. Ohne der Mannschaft einen Vorwurf zu machen: Wir haben 2:0 geführt, aber haben die Sache unnötig kompliziert gemacht. Die Reaktion danach war super, ich bin froh, dass die Auswechselspieler die Energie und Qualität gebracht haben, die wir auch wollten."

Was Tuchel aber außen vor ließ: Dass die von ihm eingewechselten Spieler zwar am Ende die Tore zum Sieg machten, dass aber zuvor aber nach den Einwechslungen die Statik des Bayern-Spiels gehörig gelitten hatte. Und dass das natürlich auch einiges mit Tuchels Entscheidungen zu tun gehabt hatte.

In der 61. Minute wechselte Tuchel Dayot Upamecano, Serge Gnabry und Thomas Müller aus. Bis auf Müller keine Überraschung, Upamecano und Gnabry sind noch immer angeschlagen, mehr als eine Stunde sollten sie mit ihrer Muskelverletzung respektive Unterarmbruch nicht spielen. Auch mangels Alternativen auf der Bayernbank (Stichpunkt Kadertiefe!) brachte Tuchel für den Innenverteidiger Upamecano den offensiven Linksverteidiger/Achter Raphaël Guerreiro und beorderte ihn ins zentrale Mittelfeld.

Die Viererkette des FC Bayern wurde fortan gebildet vom fachfremden Konrad Laimer rechts (hatte bis dahin den offensiveren Part der Doppelsechs gegeben), dem fachfremden Noussair Mazraoui in der Innenverteidigung (bis dahin rechts in der Kette), dem bis dahin überragenden Innenverteidiger Min-Jae Kim daneben und dem fachfremden Eigentlich-Nie-Spieler Bouna Sarr links in der Kette. Die Bayern hatten in den letzten Wochen (Stichpunkt Kadertiefe!) schon einige höchst experimentelle Viererketten auf dem Platz, doch dieses Experiment ging nicht auf. Auch, weil das zentrale Mittelfeld nun vom bis dahin sehr guten, aber eben immer noch erst 19-jährigen Rookie Aleksandar Pavlovic und dem gerade erst wiedergenesenen offensivdenkenden Raphaël Guerreiro gebildet wurde. Es ist nicht so, dass Heidenheim in den neun Minuten und 20 Sekunden zwischen Umstellung und Ausgleich die Partie komplett an sich gerissen hatte - die Gegentore wurden vor allem durch individuelle Fehler von Eric Maxim Choupo-Moting und vor allem Min-Jae Kim begünstigt - doch das Spiel der Münchner war in dieser Periode ein äußerst instabiles, etwas wildes Gebilde.

"Der Plan war vorher, aggressiv zu wechseln. Um mit einer starken und eingespielten Mannschaft aufhören zu können", erklärte Tuchel, "Ich bin froh, dass wir Energie, Speed und Torhunger von der Bank einwechseln konnten, um uns den Sieg zu holen." Doch einigermaßen eingespielt war seine Hintermannschaft erst, als er in der 75. Minute Linksverteidiger Alphonso Davies einwechselte und ihn auch links in die Viererkette stellte. Bouna Sarr rückte nach rechts, Laimer wieder ins Mittelfeld. Hätten die Bayern das Spiel nicht gedreht - das böse Wort des Verwechselns oder gar Vercoachens wäre sicher einige Male gefallen. So aber konnte Tuchel kein Vorwurf gemacht werden - die Joker stachen ja.

1. FC Heidenheim, Eric Maxim Choupo-Moting, FC Bayern München
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FCB: In einer Kategorie haben sich die Bayern durchaus weiterentwickelt

Überhaupt verwiesen die Bayern nicht ganz zu Unrecht darauf, dass sie nur wenige Minuten nach dem Ausgleich schon wieder den Führungstreffer erzielt hatten und dass es doch eigentlich positiv sei, dass sie nach dem Rückschlag sofort wieder zurückgekommen seien.

"Wichtig ist, dass man zurückschlagen kann, wenn man Fehler macht", sagte Torhüter Manuel Neuer und bescheinigte seiner Mannschaft ein "erwachsenes" Spiel. Er erklärte: "Dass wir an uns glauben, dass wir die Ruhe und Disziplin haben, an unserem Plan festzuhalten. Dass wir keine verrückten Dinge machen, sondern so weiterspielen, wie der Trainer es uns vorgibt." In der Tat haben sich die Bayern da in den vergangenen Monaten durchaus weiterentwickelt. Grüße an Lothar Matthäus und Co.

In der vergangenen Saison, in den ersten Spielen unter Thomas Tuchel, verfiel die Mannschaft ja regelmäßig erst in eine Tiefschlaf- und dann in eine absolute Panikphase. Nun leistet sich das Team immer noch in vielen Spielen veritable Schwächephasen, doch meist zieht es sich eben doch auch wieder heraus. "Der Unterschied (zu letzter Saison, die Red.) ist, dass wir die Spiele auch mit einem Sieg beenden. Klar, wir dürfen nicht immer den Gegner rankommen lassen, das wäre sonst auch eine Schwäche. Wir brauchen da eine gewisse Balance, dass wir die Fehler nicht machen. Aber dass wir die Spiele dann zu Ende bringen, das ist Qualität", sagte Neuer.

FC Bayern München vs. 1. FC Heidenheim: 4:2 (2:0)

Tore1:0 Kane (14.), 2:0 Kane (44.), 2:1 Kleindienst (67.), 2:2 Beste (70.), 3:2 Guerreiro (72.), 4:2 Choupo-Moting (84.)
Aufstellung MünchenNeuer - Mazraoui, Upamecano (61. Guerreiro), M.-J. Kim, Sarr - Laimer, Pavlovic (75. Davies), L. Sané, T. Müller (61. Tel), Gnabry (61. Choupo-Moting) - Kane
Aufstellung HeidenheimKe. Müller - Traoré, P. Mainka, Gimber (83. Schimmer), Föhrenbach - Maloney (61. Sessa), Theuerkauf (61. Beck), Dinkci (83. Pick), Schöppner, Beste (90. Thomalla) - Kleindienst
Gelbe KartenFCB: Mazraoui (3.)
Raphael Guerreiro, FC Bayern München, 1. FC Heidenheim
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Raphaël Guerreiro müsste der beste Rollenspieler der Bundesliga sein - mindestens

Es ist eigentlich keine Überraschung, dass Raphaël Guerreiro nach seiner Einwechslung überzeugte. Er erzielte nicht nur das sehr schöne Tor zum 3:2, sondern überzeugte auch mit perfekten Pässen, die für viel Vortrieb im Spiel der Bayern sorgten. Auch bei seinen ersten beiden (Kurz-)Einsätzen für den FC Bayern München gefiel der frühere Dortmunder durchaus.

Guerreiro spiele "schlau, spielfreudig", sei "sicher am Ball", habe "immer ne Idee, super präzise in allem, was er macht", lobte Trainer Thomas Tuchel in einer Art, wie er seine Spieler eher selten lobt. Guerreiro habe eine Art, "kleine Direktpässe, kleine Dropkicks reinzulegen, dass das Tempo oben bleibt, dass der andere einen perfekten Ball bekommt zum Weiterspielen."

Tuchel mochte Guerreiro schon zu gemeinsamen BVB-Zeiten, der Portugiese war ein erklärter Wunschtransfer des Trainers. Wegen seiner Vielseitigkeit - Guerreiro ist als Achter fast noch wertvoller als als sehr offensiv denkender Linksverteidiger - aber vor allem, weil Guerreiro zu den besten Fußballern in der Bundesliga überhaupt gehört. Selbst beim FC Bayern, der nicht arm an feinen Fußballern ist, können nicht viele mit dem Ball solche Dinge anstellen wie der 29-Jährige. Seine Direktabnahme zum 3:2 für den FCB gegen Heidenheim hätten nicht Wenige irgendwo in die Südkurve oder in den Fröttmaninger Himmel geschossen.

Im Normalfall müsste Guerreiro mindestens der erste Einwechselspieler beim deutschen Rekordmeister sein, der beste Rollenspieler der Bundesliga. Mindestens, weil natürlich auch eine Startelf mit Guerreiro problemlos vorstellbar ist. Im Normalfall heißt: Wenn er nicht so vermaledeit oft verletzt wäre. Während er beim BVB in sieben Jahren 94 Pflichtspiele verpasste, waren es bei den Bayern jetzt wegen zweier Muskelverletzungen auch schon 14 Spiele seit Ende Juli.

Daher beendete Tuchel sein überschwängliches Lob fast schon mit einem Flehen: "Wir müssen hoffen und alles dafür tun, dass er gesund beibt. Dann wird er uns weiterhelfen. Wir haben ihn lange zurückgehalten wegen seiner muskulären Vorgeschichte. So zurückzukommen und das Tor zu machen - das ist einfach perfekt."

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