Am frühen Freitagnachmittag trat in Stuttgart Ur-Borusse Kevin Großkreutz vor die Presse und verkündete hoch emotional seinen Abschied vom Profi-Fußball. Der BVB wünschte seinem ehemaligen Schützling via Twitter "viel Kraft und Ruhe".
In der Hochzeit der Ära Jürgen Klopp galt Großkreutz in Dortmund als Alleskönner, lief außer in der Sturmspitze auf jeder Position auf - sogar im Tor - und zeigte stets tadellosen Einsatz. Eine Eigenschaft, die ihm den größten Titel einbrachte, den ein Fußballer erreichen kann: Weltmeister - und das ohne eine Minute gespielt zu haben.
Das aktuelle Pendant zu Großkreutz beim BVB ist derzeit Erik Durm. Ähnlich wie Großkreutz, wird er bei Fußball-Kneipen-Quiz-Veranstaltungen in naher Zukunft einer der Spieler sein, die im Zusammenhang mit dem Weltmeistertitel in Brasilien nicht mehr viele auf dem Schirm haben werden. Zudem erinnert er durch seine Vielseitigkeit stark an seinen ehemaligen Teamkollegen.
Und jährlich grüßt das Murmeltier
Durm ist ein Phänomen. Vier Jahre Profifußball, vier Jahre geprägt von langwierigen Verletzungen, in Folge derer er stets aus dem Kader rutschte und sich anschließend mühsam in selbigen zurückkämpfte. 2013/14 hatte er mit einem Infekt, sowie Oberschenkelzerrung und Adduktorenproblemen zu kämpfen, ein Jahr später stoppten ihn die gleichen Probleme ganze elf Partien am Stück.
In der ersten Saison unter Thomas Tuchel 2015/2016 gab er erst am 18. Spieltag sein Debüt. Grund waren anhaltende Knie-Probleme, die in einer Operation mündeten.
Und auch zu Beginn der laufenden Spielzeit lief es bescheiden. Knie-OP, Trainingsrückstand, Rückenprobleme.
Dennoch ackerte sich Durm wieder zurück. Pünktlich zur Crunch-Time (Pokal-Viertelfinale, Champions-League-Achtelfinal-Rückspiel) ist er sogar Stammspieler einer stark aufspielenden BVB-Elf - Gründe ihn herauszurotieren, liefert er seinem Trainer derzeit nicht.
Zwischen Fünferkette und Außenstürmer
Zusammen mit Lukasz Piszczek bildet er ein für Tuchel unverzichtbares Erfolgsduo auf der rechten Seite. Gegen den Ball gliedert sich Durm neben dem Polen in die Abwehrkette als rechter Verteidiger ein. Bei eigenem Ballbesitz befindet er sich teilweise auf Höhe des gegnerischen Strafraums und gibt eine Art Außenstürmer. Das Spiel des Weltmeisters ist dementsprechend laufintensiv.
Beim 6:2 gegen Leverkusen riss er 11,09 Kilometer ab, die drittmeisten beim BVB. Mit 88 intensiven Läufen hatte er 17 mehr als der nächstbeste in dieser Kategorie (Raphael Guerreiro). Und in Sachen Sprints (26) war nur Pierre-Emerick Aubameyang (27) besser.
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Dass ihm seine aktuelle Rolle liegt, kommt nicht von ungefähr. Durm ist gelernter Stürmer, wurde beim 1. FC Saarbrücken 2008 mit 13 Toren Torschützenkönig der A-Jugend-Regionalliga und wechselte anschließend zum 1. FSV Mainz 05, wo er zum Top-Stürmer der zweiten Mannschaft heranwuchs und schließlich nach der Saison 2011/12 in die U23 des BVB wechselte.
Erik Durms Aktionsradius im Spiel gegen Bayer Leverkusen (6:2)
Klopps "krasser" Vorschlag
Erst unter Klopp 2013/14 gab Durm seine Premiere als Verteidiger - auf der linken Seite. Eine Idee, die den Offensivmann damals natürlich überraschte: "Der Trainer hat mich zunächst gefragt, ob ich mir diese Position überhaupt vorstellen könne. Sein Vorschlag war im ersten Moment total krass. Ich habe ihm aber dann geantwortet, dass die Position an sich für mich überhaupt keine Frage sei - Hauptsache, ich darf in der Bundesliga mitmischen."
Das darf er mittlerweile regelmäßig, denn auch Tuchel weiß, was er an seinem vielleicht vielseitigstem Profi mit den "herausragenden athletischen Voraussetzungen" hat: "Er hat körperliche Qualitäten, die unserem Spiel gut tun.
Er ist sehr flexibel einsetzbar, das lieben die Trainer, weil es immer neue Möglichkeiten eröffnet. Auch Manager Michael Zorc schätzt die Vielseitigkeit seines Weltmeisters: "Es kommt selten vor, dass ein Fußballspieler Sprintfähigkeit und überragende Ausdauer miteinander verbindet."
Vorne mit Luft nach oben
Gegen Leverkusen lieferte Durm ein Paradebeispiel seiner Stärken. In der 77. Spielminute sprintete er die komplette rechte Seite entlang und spielte den Ball perfekt zurück an den Elfmeterpunkt, wo der mitgelaufene Christian Pulisic mustergültig vollstreckte.
Durms zweite direkte Torbeteiligung in Folge. Gegen den SC Freiburg hatte er vor Wochenfrist für Pierre-Emerick Aubameyang zum 3:0 aufgelegt.
Bei aller Offensivpower, die Durm über die Flügel ausstrahlt, hapert es noch beim eigenen Abschluss. In aussichtsreiche Abschlusspositionen kommt er selten.
Zieht er von der Außenseite in die Mitte und sucht selbst den Weg zum Tor, fehlt es an Durchschlagskraft, teilweise auch an Genauigkeit. Eine Fähigkeit, die als gelernter Stürmer eigentlich in seiner Natur liegen sollte.
Allerdings hat er alle Zeit, sich in diesem Bereich noch zu verbessern. Wenn der BVB aktuell auf etwas verzichten kann, dann auf Torgefahr seiner Abwehr- bzw. Mittelfeldspieler. Die Offensivmaschinerie läuft schließlich auf Hochtouren (52 Bundesligatore, 21 Champions-League-Tore).
Erik Durm im Steckbrief