Christian Eriksen bei Inter vor dem Aus: Der geplatzte Traum des Gedemütigten

Von Dennis Melzer
Christian Eriksen steht bei Inter vor dem Aus.
© imago images / Gribaudi/ImagePhoto

Christian Eriksen und Inter Mailand hatten sich viel voneinander versprochen. Heraus kam eine zerrüttete Beziehung, die nicht mehr zu retten ist. Kommt nun der FC Bayern ins Spiel?

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Einen kleinen Seitenhieb konnte sich Christian Eriksen nicht verkneifen, als er Ende Januar im - seiner neuen Heimat angemessenen - Edelzwirn vor das Vereinsmikrofon Inter Mailands trat. "Ich habe hier die große Chance, Titel zu gewinnen", sagte der Däne im Rahmen seiner Vorstellung, um wenig subtil in Richtung Ex-Arbeitgeber Tottenham Hotspur auszuteilen: "Jedenfalls eine größere Chance als dort, wo ich zuletzt war."

Monatelang hatten sich vorher Gerüchte um die Zukunft des Dänen gerankt, er selbst hatte immer wieder damit kokettiert, nach sieben Jahren etwas Neues ausprobieren zu wollen. Spätestens im Sommer 2020, nach seinem Vertragsende. So lange musste Eriksen, der unter Neu-Trainer Jose Mourinho nur bedingt zum Einsatz kam, aber nicht warten - Inter schlug bereits in der Winter-Transferperiode zu, zahlte rund 20 Millionen Euro für den Mittelfeldmann.

Schon nach wenigen Monaten hätte sich Eriksens Titel-Prophezeiung beinahe bewahrheitet. Im Rahmen des Europa-League-Finalturniers, das wegen Corona in NRW ausgetragen wurde, überzeugten die Nerazzurri auf ganzer Linie und buchten das Endspielticket. Nur die Europa-League-Koryphäen vom FC Sevilla verhinderten, dass Eriksen, der titeltechnisch so lange darben musste, endlich wieder eine Trophäe in die Höhe recken durfte.

Eriksen: Keine Partie über 90 Minuten, keine Torbeteiligung

Er persönlich hätte ohnehin keinen sonderlich großen Anteil an einem etwaigen Triumph gehabt. Lediglich 60 Minuten standen für Eriksen nach vier Partien zu Buche, kein einziges Mal durfte der 28-Jährige von Beginn an mitwirken.

Es war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was Eriksen in der neuen Saison blühen sollte. Sowohl zum Serie-A- als auch zum Champions-League-Auftakt noch jeweils in der Startelf aufgeboten, kam er seither nur noch zweimal in ebenjenen Genuss. Eine Partie über die volle Distanz kann Eriksen in der laufenden Spielzeit ebenso wenig vorweisen wie eine Torbeteiligung.

Vor allem seit Anfang November zeigt sich ganz deutlich, wie wenig Vertrauen Coach Antonio Conte tatsächlich in den 103-maligen Nationalspieler setzt (15 Minuten in acht Pflichtspielen). Am vergangenen Wochenende kam Eriksen gegen Bologna als fünfte und somit letzte Wechseloption in der Nachspielzeit. Im Königsklassen-Duell mit Donezk, in dem Inter das fürs Weiterkommen obligatorische Tor partout nicht gelingen wollte, erfolgte die Einwechslung in Minute 85. Zu wenig Zeit, um noch entscheidenden Einfluss zu nehmen. Inter schied blamabel als Tabellenletzter aus.

Christian Eriksen steht bei Inter vor dem Aus.
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Christian Eriksen steht bei Inter vor dem Aus.

Christian Eriksen: "Davon habe ich sicherlich nicht geträumt"

Eine Situation, die für einen Spieler, der seine Weltklasse jahrelang unter Beweis gestellt hat, selbstredend deprimierend ist. "Davon habe ich sicherlich nicht geträumt", sagte Eriksen unlängst im Gespräch mit dem dänischen Sender TV2. "Alle Spieler wollen so viel wie möglich spielen, aber der Trainer entscheidet, wen er aufstellt." Gegen Donezk entschied der Trainer sich beispielsweise lieber für den angeschlagenen Nicolo Barella. "Es ist eine komische Situation, denn die Fans wollen mich öfter spielen sehen", schob Eriksen nach.

Conte habe Eriksen zufolge "andere Ideen", die er respektieren müsse. Doch wie äußern sich besagte andere Ideen? "Eriksen war ein Spieler, der vom Management verpflichtet wurde", sagt der in Mailand ansässige Journalist Renato Maisani von Goal Italien. "Conte liegt seit langem mit dem Klub über Kreuz, weil er nicht in die Entscheidung einbezogen wurde." Maisani erklärt weiter: "Eriksen funktioniert bei Inter nicht, weil er nach Contes Meinung nicht in dessen 3-5-2-System passt." Ende September hatte Conte geschworen, an Eriksen zu glauben.

Inter Mailand: Conte genervt von Fragen zu Eriksen-Situation

Dass die Pressevertreter immer wieder nachhaken, fragen, warum er offensichtlich doch nicht an den namhaften Neuzugang glaubt, nervt den Italiener mittlerweile. Er wolle kein "Eriksen-Gerede" mehr. "Er spielt, wenn er es verdient hat, und wenn er es nicht verdient hat, spielt er nicht", stellte Conte klar - und ließ mit seinen Entscheidungen wenig Spielraum für Interpretationen: Eriksen hatte es sich wohl nicht verdient.

Age Hareide, zwischen 2016 und Juli dieses Jahres Eriksens Trainer bei der Nationalmannschaft, kann die regelmäßige Nichtberücksichtigung seines einstigen Schützlings nicht nachvollziehen. "Conte liegt falsch", sagte der Norweger unter der Woche im Gespräch mit der dänischen Boulevardzeitung BT. "Eriksen ist sehr wohl gut genug, um mehr Spiele für Inter zu machen." Hareide schob mit Blick auf den Reservistenstatus Eriksens nach: "Das ist eine demütigende Angelegenheit. Es ist für einen Spieler nie schön, nicht von Beginn an auf dem Platz zu stehen. Aber, in der Nachspielzeit eingewechselt zu werden, ist eine Demütigung."

Klub-Boss Marotta wird deutlich

Grund genug, dass Eriksen nach nur einem Jahr bereits mit einem Weggang liebäugelt. "Wenn das Transferfenster öffnet, werden wir sehen, was passiert", sagte er. Auch Inter ist nicht abgeneigt, das offenkundige Missverständnis vorzeitig zu beenden. "Falls Eriksen bis in den Januar wenig gespielt hat, wird er selbst um einen Transfer bitten", mutmaßte Klub-Boss Giuseppe Marotta bei Sky Italia.

Marotta führte aus: "Wir müssen es von beiden Seiten ohne Kontroverse machen und es als positiven Transfer bewerten, der auf unserer technisch-taktischen Seite nicht funktioniert hat."

Abschließend analysierte der 63-Jährige: "Die Fußballgeschichte ist voll von Fällen wie diesem. Es stellt sich heraus, dass Spieler in einem System nicht funktionieren." Deutlicher kann ein Eingeständnis kaum ausfallen.

FC Bayern angeblich an Tausch interessiert

An Interessenten mangelt es für Eriksen jedenfalls nicht. Der FC Arsenal und West Ham United wollen ihn angeblich in seine einstige Wahlheimat London zurücklotsen, Borussia Dortmund und PSG wurden jüngst ebenfalls immer wieder mit dem technisch versierten Zehner in Verbindung gebracht.

Am Dienstag berichtete Corriere dello Sport, dass auch der FC Bayern seinen Hut in den Ring geworfen habe. Angeblich denke der deutsche Rekordmeister über ein Tauschgeschäft nach. Corentin Tolisso könne demnach im Gegenzug für Eriksen nach Mailand wechseln.

Wirklich sinnvoll mutet ein derartiges Transfermodell jedoch aus Münchner Sicht nicht an. Aktuell ist die Sechserposition beim FCB dünn besetzt, Tolisso, vorzugsweise als Achter agierend, ist weitaus prädestinierter dafür, die Rolle des defensiven Mittelfeldmannes auszufüllen als der offensivere Eriksen.

Auch aus Eriksens Sicht dürften andere Vereine deutlich bessere Perspektiven bezüglich möglicher Spielzeit bieten als die Bayern. Thomas Müller ist auf der Zehn absolut gesetzt, mehr als die Rolle des Edelreservisten würde kurzfristig nicht winken.

Die Chance, in München einen Titel zu holen, wäre jedoch weitaus höher als dort, wo er jetzt ist.

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