Übertriebene Härte: Ziehen Bundesliga-Schiedsrichter seltener Rot?

Genau 26 Spieler wurden in dieser Saison bisher vom Platz gestellt - eine unterdurchschnittliche Zahl.
© getty

Am 23. Bundesliga-Spieltag gab es gleich mehrere Situationen, bei denen ein Platzverweis hätte ausgesprochen werden können: Franck Ribery, Amir Abrashi, Sejad Salihovic - sie alle hätten sich nicht beschweren können. Dennoch wurde keine einzige Rote Karte gezückt. Liegt es am stets bemühten Videobeweis? Und was verraten die Statistiken?*

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*Die Daten zur Saison 2017/18 beinhalten die ersten acht Partien des 23. Spieltags.

Tatort Wolfsburg: Franck Ribery im Sprintduell mit Wolfsburgs Neuzugang Renato Steffen im Mittelfeld. Eigentlich ist der Franzose schon vorbei, doch dann fährt sein linker Arm aus und schwingt nach hinten, die Faust trifft Steffen mitten im Gesicht. Ein Wischer? Ein Schlag? Zufall oder Absicht? Eine Tätlichkeit? "Ich glaube, man hätte Rot geben können", sagt Steffen.

Fakt ist: Es ist nicht das erste Mal, dass Ribery in den letzten Jahren Kontakt mit den Gesichtern der Gegenspieler hatte. Hart bestraft wurde er jedoch nicht immer. Referee Sascha Stegemann entschied nach Zuhilfenahme des Video-Monitors auf Unsportlichkeit: Gelb statt Rot. "Ich hätte gerne eine Rote Karte gegen Franck Ribery gesehen", ärgert sich der Wolfsburger Sportdirektor Olaf Rebbe im Kicker. "Er schlägt unserem Spieler ins Gesicht. Ich denke, dass wir benachteiligt wurden, weil wir gegen eine vollzählige Bayern-Mannschaft weiterspielen mussten nach einer klaren Tätlichkeit an Renato Steffen."

Tatort Freiburg: Amir Abrashi ist im Mittelfeld gegen Bremens Sascha Bargfrede zu spät dran. Mit offener Sohle und leicht angewinkeltem Bein rutscht fast frontal er in seinen Gegenspieler ran, wirklich zum Ball geht die Attacke nicht. Bargfrede springt über die Klinge, nutzt die Situation allerdings nicht zur Schauspieleinlage und steht wenig später wieder. Trotzdem: grobes Foulspiel.

Schiedsrichter Robert Stegemann steht direkt daneben, zieht aber nur Gelb. Nach dem Spiel sind die Bremer außer sich, beschweren sich - auch aufgrund anderer Szenen - über die Leistung des Unparteiischen.

Tatort Hamburg: Sejad Salihovic verliert an der linken Seitenlinie das Duell mit Kevin Volland. Der Ball ist längst weg, zynisch flext Salihovic seinen Gegenspieler mit einer üblen Grätsche weg. Nicht ganz von hinten, auch noch nicht seitlich. "Ich sage ja nichts, wenn ich den Ball wegspitzel und er dann zu spät kommt. Aber der Ball war lange weg, und er geht nur auf die Knochen", sagt Volland, der Abschürfungen davonträgt, weil er außerhalb des Rasens landet. "Da kann man auch eine andere Karte zeigen. Am Ende breche ich mir was."

Dr. Felix Brych zieht nur Gelb, die Hamburger jagen weiter in voller Kompaniestärke dem Ausgleich hinterher. "Der Kevin ist ganz gut vom Feld gefegt worden", bilanziert Julian Brandt später. Teamkollege Wendell war bereits in der ersten Halbzeit von Mavraj vom Platz getreten worden.

Bundesliga: Weniger Platzverweise als früher?

Drei Szenen, bei denen es nicht sehr viele Proteste über einen Platzverweis gegeben hätte - die Protagonisten mal ausgenommen. Die Rote Karte blieb stecken. Reiner Zufall? Riberys Hand muss man schließlich nicht als Tätlichkeit auslegen, die beiden Fouls sind eben dunkelgelb.

Trotzdem stellte man sich - angesichts der möglicherweise zufälligen Häufung der Beispiele - die Frage, ob die Rote nicht mehr so locker steckt wie früher. Lässt man mehr durchgehen, Stichwort "internationale Härte"? Oder hat gar der Video-Referee etwas damit zu tun, dass man Zweifel vor Recht ergehen lässt? Bei einer krassen Fehlentscheidung wird schließlich durchgeklingelt.

Die Opta-Daten über Fouls, Verwarnungen und Platzverweise der letzten Jahre geben darüber vielleicht Aufschluss:

SaisonSpieleFouls/SpielGelb /SpielPlatzverweiseGelb-RotRotPlatzverweise/Spiel
2007/0830635,833,625026240,16
2008/0930636,173,816232300,2
2009/1030633,953,474121200,13
2010/1130632,713,395725320,19
2011/1230632,423,485822360,19
2012/1330631,573,656433310,21
2013/1430630,783,525829290,19
2014/1530630,563,625328250,17
2015/1630629,163,814025150,13
2016/1730628,653,745628280,18
2017/1820628,273,382611150,13

  • Erste Erkenntnis: Die Anzahl der gepfiffenen Fouls über das letzte Jahrzehnt ist stetig zurückgegangen. Ist das Spiel generell körperloser geworden, oder wird im Grenzbereich mehr laufen gelassen?
  • Für letztere These spricht zumindest, dass bei der Vergabe der Gelben Karten kein Trend zu erkennen ist. Bei Aktionen, die nicht Gelb-würdig sind, scheint die Leine also etwas länger zu werden.
  • Weitere Erkenntnis: Die Anzahl der Platzverweise schwankt logischerweise stärker als die der Verwarnungen. Aber auch hier ist kein Trend festzustellen - es sei denn vielleicht die Anzahl der in diesem Jahr vergebenen Gelb-Roten Karten. Diese liegt in der Tat deutlich unter den letzten Jahren: Brauchte es in der Saison 2016/17 nur knapp elf Spiele für eine Gelb-Rote, ist dieser Wert auf fast 19 Spiele angewachsen.

Bei den Beispielen dieser Woche hätte es sich jedoch nur um glatt Rot gehandelt. Die Roten Karten in dieser Spielzeit befinden sich zwar am unteren Ende der Skala, hat aber beispielsweise schon den Wert von vor zwei Jahren erreicht.

Fazit: Insgesamt pfeifen die Bundesliga-Referees nicht mehr so häufig wie noch vor zehn Jahren. Gelb wird jedoch so oft gezückt wie früher, zumindest beim ersten Vergehen. Glatt Rote Karten werden nicht häufig, aber auch nicht auffällig selten verteilt. Auch eine direkte Konsequenz Video-Assistenten lässt sich auf den ersten Blick nicht belegen, selbst wenn es schon Platzverweise nach VAR-Kommunikation gab (z.B. Wendell gegen Gonzalo Castro).

Ribery, Abrashi und Salihovic haben an diesem Samstag wohl einfach nur Glück gehabt.

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