Das ewige Problemkind

Von Stefan Rommel
Bert van Marwijk übernahm die Hamburger vom entlassenen Thorsten Fink
© getty

Der Hamburger SV reißt auch unter Bert van Marwijk das Ruder nicht herum. Der Klub kann sich nicht aus seinem gewohnten Trott befreien, die Lage erinnert fatal an die der letzten Jahre.

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Marcell Jansen ist der dienstälteste Profi im Kader des Hamburger SV, er hat einige Höhen und sehr viele Tiefen mitgemacht, seit er im Sommer 2008 von den Bayern hoch in den Norden gewechselt ist. Jansens Wort hat in Hamburg Gewicht, auch wenn der 28-Jährige manches Mal vielleicht ein wenig zu redselig ist. Aber er stellt sich, auch in den schwersten Stunden.

Die Fans in Hamburg honorieren das ebenso wie seine Art auf dem Platz. Nicht immer ausgereift oder filigran, aber zumindest stets mit vollem Einsatz und Kampfgeist. In einem bunt zusammen gewürfelten Kader, in einem Klub mit erkennbaren Führungsdefiziten ist Jansen eine der wenigen Identifikationsfiguren geblieben.

Umso mehr dürfte das vermeintliche Interesse von Bayer Leverkusen am Nationalspieler für Aufsehen innerhalb des Klubs gesorgt haben. Mitte Dezember waren entsprechende Medienberichte im Umlauf, Jansens wollte sich dazu nur soweit äußern: "Im Moment beschäftige ich mich damit nicht."

Kleine und große Katastrophen

Marcell Jansen hat beim Hamburger SV schon zu viel mitgemacht, als dass er sich ein Angebot eines Champions-League-Achtelfinalisten nicht anhören würde. Kein anderer als er hat den HSV so hautnah schlingern sehen, hat all die kleinen und großen Katastrophen mitbekommen, diese latente Selbstzufriedenheit, die den Klub in den letzten Jahren Siebter, Achter, Fünfzehnter und wieder Siebter werden ließ. Weit weg vom Potenzial des Klubs und der Stadt und natürlich auch vom eigenen Anspruch.

Im Herbst tauschten die Granden des HSV ihren ersten Angestellten aus. Thorsten Fink durfte sich fast zwei Jahre lang in Hamburg aufreiben, ohne Erfolg. Der Trainer hat ganz sicherlich einige fachliche Dinge falsch gemacht.

Er sollte als ehemaliger Bayern-Spieler das so genannte Bayern-Gen mitbringen und implementieren - letztlich ist aber genau das Gegenteil passiert: Fink hat sich schnell an das Laissez-faire des Klubs angepasst und konnte zu keinem Zeitpunkt den gefährlichen Strömungen entgegensteuern.

Gerade gut genug

Seit Mitte September versucht sich deshalb Bert van Marwijk beim Hamburger SV. Ein Trainer von natürlicher und nicht affektierter Autorität, mit hervorragendem Renommee, erfahren und weltmännisch. Gerade gut genug für den Tabellensechzehnten.

Geändert hat sich seitdem nahezu gar nichts. Der HSV ist nach der Hälfte der Saison 14., zwei Punkte beträgt das Polster auf Relegationsrang 16. Die Mannschaft schwankt weiterhin in ihren Leistungen. Nach einem vernünftigen Start mit ordentlichen Ergebnissen hat der Trott den HSV längst wieder eingeholt. Van Marwijk hat in den elf Spielen sogar noch weniger Punkte geholt als Vorgänger Fink.

Der hatte am Ende seiner Zeit in Hamburg einen Wert von 1,12 Zählern pro Spiel, van Marwijk kommt bisher auf 1,09 Punkte. So schlecht war der Niederländer in 15 Jahren als Cheftrainer einer Profimannschaft noch nie. Offenbar hat der Schein die Realität beim HSV mal wieder überlagert. Die Siege gegen Nürnberg, Freiburg und Hannover kamen auf kuriose Weise zustande.

Den Club erwischte der HSV beim 5:0 komplett auf dem falschen Fuß, in Freiburg erwies sich Torhüter Oliver Baumann als zwölfter HSVer. Das Heimspiel gegen Hannover war einigermaßen überzeugend - 96 verbreitet in dieser Saison in der Fremde aber auch nicht unbedingt Frucht und Schrecken.

"Ich akzeptiere das nicht!"

Stattdessen zeigte sich van Marwijk bereits vor dem letzten Spieltag der Hinrunde ziemlich ernüchtert. Nach dem 0:1 im Heimspiel gegen den FC Augsburg mahnte van Marwijk erstmals eindringlich. So, als sei er bereits mehrere Jahre in Hamburg. Zu vorhersehbar schwach war die Leistung seiner Mannschaft zu Hause. Wie davor auch schon gegen Werder (0:2) oder Hoffenheim (1:5).

"Ich habe das Gefühl, dass das hier als natürliche Sache hingenommen wird. Als etwas, das hier von fast allen einfach so akzeptiert wird. Nach dem Spiel sagten mir Leute: 'Trainer, wir wussten ja, dass jetzt so eine Niederlage kommt.' Aber ich akzeptiere es nicht! Diese Zufriedenheit hier fängt wirklich langsam an, mich zu irritieren."

Es ist wohl kaum ein Zufall, dass sich die Mannschaft nur vier Tage davor mit einem überaus glücklichen 2:1 über Zweitligist 1. FC Köln ins DFB-Pokal-Viertelfinale gehangelt hatte. Danach setzte es in der Liga bis zum Ende der Vorrunde drei Niederlagen in Folge. Van Marwijks Vorhaben, strenger und härter durchzugreifen, musste der Niederländer in die Winterpause verlegen.

"Ich bin jetzt seit knapp drei Monaten hier beim HSV und erlebe jeden Tag neue Dinge - auch viele Dinge, die mir nicht gefallen. Das wird alles so akzeptiert, als ob hier einiges eingeschlafen ist. Aber ich werde hier jetzt Manches ändern - das wird auch mit Disziplin zu tun haben", hatte er da angekündigt.

"Noch nie so etwas erlebt"

Spätestens das amateurhafte Verhalten seiner Spieler in der letzten Partie gegen Mainz ließ van Marwijk aber regelrecht schockiert zurück. "Ich habe in meiner Karriere schon Vieles erlebt - aber so etwas noch nicht." Einige Spieler rannten trotz Unterzahl in der Nachspielzeit munter nach vorne und ermöglichten so den Siegtreffer der Gäste mit dem Schlusspfiff.

"Wenn einer unserer Spieler im Strafraum des Gegners steht, kann ich das nicht verstehen. Der denkt dann nicht wie ein Profi. Wäre ich noch Spieler, hätte ich den mit dem Lasso zurückgeholt!", prangerte van Marwijk den Ungehorsam und die Unselbständigkeit seiner Spieler an. Aber allein daran mangelt es auch nicht.

Hamburg hat einige hochkarätige oder hoffnungsvolle Akteure im Kader. Aber Rene Adler oder Raphael van der Vaart stechen nicht heraus. Van der Vaart hat zwar sehr starke Quoten und spielt mit 13 Scorerpunkten (sieben Tore, sechs Assists) statistisch gesehen seine beste Saison. Er dient aber nicht als Anführer oder Fixpunkt für den Rest des Teams. Hakan Calhanoglu hat auf dem Feld schnell Fuß gefasst in der Bundesliga, außerhalb des Platzes muss der Türke aber noch deutlich reifer werden.

Angespante finanzielle Lage

Jonathan Tah hat tolle Anlagen, lernt aber in jedem Spiel noch dazu. Pierre-Michel Lasogga hat anfangs nach Belieben geknipst, neun Treffer sind auch eine starke Quote. Ob Lasogga aber überhaupt in Hamburg bleibt, ist weiter nicht geklärt. Die finanzielle Situation des Klubs nach drei Jahren in Folge mit satten Minusbilanzen ist weiter angespannt, weshalb sich Transfers eher auf der Abgabe-, denn der Zukaufseite verwirklichen lassen.

Hoffnung machen die Rückkehr von Ivo Illicevic und dass sich Milan Badelj im defensiven Mittelfeld stabilisiert hat. Die große Sehnsucht liegt aber in der Arbeit van Marwijks. "Ich hoffe, dass ich endlich mal mit dem ganzen Kader trainieren kann", sagt der.

"Es gibt Spieler, die haben noch nie mit mir zusammen auf dem Platz gestanden: Dennis Diekmeier, Kerem Demirbay, Slobodan Rajkovic. Und ich hoffe, dass Heiko Westermann und Rene Adler schnell wieder fit werden. Nur, wenn alle fit sind, können wir ein Niveau erreichen, um keine Angst zu bekommen." Den Glauben an die Qualität seiner Spieler will van Marwijk nicht verlieren. Dazu muss er aber an ihrer Mentalität arbeiten.

Superlative für schlechte Leistungen

Van Marwijk hat nun schon mehrmals den Superlativ bemüht, um die negativen Leistungen seiner Mannschaft einzuordnen. Nach dem 3:5 in Leverkusen, der ersten bitteren Niederlage seiner Amtszeit in Hamburg, verwies er bereits darauf, dass es einmalig in seiner Laufbahn gewesen sei, wie leicht man dem Gegner die Tore geschenkt habe.

Es wiederholt sich einiges schon wieder beim Hamburger SV. 17 Trainer in den letzten 15 Jahren hatten schon ihre Erfahrungen mit den Hanseaten gemacht. Dass mit Jansen nur noch ein Spieler im Kader steht, der länger als fünf Jahre im Klub ist, ist da nur die logische Konsequenz. Es wäre nachvollziehbar, würde Jansen seinen bis 2015 datierten Vertrag in Hamburg nicht erfüllen.

Bert van Marwijk hat trotz aller Probleme nicht vor, frühzeitig wieder hinzuwerfen. Auch wenn er schon einige Male ziemlich verzweifelt schien. "Ich bin keiner, der aufgibt", sagt er fast trotzig. "Ich kriege in solchen Situation eher noch mehr Energie."

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