Es kommt nicht häufig vor, dass man im Auto sitzt und einen Anruf von einem Bundesliga-Manager bekommt. Wenn dieser einem dann auch noch eröffnet, dass man ihn gerne unter Vertrag nehmen wolle, kann es schon einmal passieren, dass man für den ersten Moment ein wenig neben der Spur ist. "Als mich Manager Stefan Reuter auf meinem Handy anrief, war ich gefühlte fünf Minuten sprachlos. Ich habe gedacht, das kann doch nicht sein, die spielen Bundesliga", erzählt Andre Hahn von seinem ersten Kontakt mit dem FCA.
Der 23-Jährige spielte gerade eine ordentliche Runde bei Kickers Offenbach in der 3. Liga, war aber nicht unbedingt jedem Bundesligisten ein Begriff. Wie auch? Hahn ist kein Spieler aus den Nachwuchs-Leistungszentren, kein fast fertiger Profi, der technisch und taktisch seit der Jugend geschult wurde.
Sam und Ben-Hatira waren besser
Bis er 17 war, kickte er auf dem Land. Genauer gesagt im Norden Deutschlands beim FC Bremerhaven. Erst dann verpflichtete ihn der HSV für die Regionalligamannschaft. Eigentlich ein Glücksfall für einen Jungen, der schon immer am liebsten nur kicken wollte. Im Hamburg spielte er mit Talenten wie Maxi Beister, Sidney Sam und Änis Ben-Hatira zusammen, musste allerdings feststellen, dass die ihm in vielen Dingen überlegen waren."Ich hatte zuvor ja nur auf dem Land gespielt, da war nur hoch und weit nach vorne angesagt. Es gab kein Taktik- oder Techniktraining. Das fehlt mir jetzt immer noch ein wenig. Ich habe versucht aufzuholen, aber man hat gemerkt, dass mir in der C- und B-Jugend diese Ausbildung auf diesem Niveau fehlte", erklärt der gebürtige Otterndorfer. Einzig seine Schnelligkeit besaß er schon immer.
2010 war das Kapitel HSV allerdings beendet, Hahn wurde aussortiert und zog weiter zum FC Oberneuland. Nach nur einem halben Jahr wechselte er zur TuS Koblenz in die 3. Liga. Den Traum des Profi-Fußballers hatte er aber nach der damaligen Insolvenz der Koblenzer schon fast abgeschrieben: "Eigentlich wollte ich im Versicherungsbüro meines Vaters eine Ausbildung anfangen", so Hahn.
Hahn als Symbol des neuen FCA
Zum seinem Glück entschied er sich anders. Er ging zum OFC. Dort überzeugte der pfeilschnelle Rechtsfuß und avancierte sofort zur Stammkraft - so dass sich im Januar diesen Jahres Stefan Reuter meldete, Hahn für 250.000 Euro verpflichtete und den chronisch klammen Hessen dadurch noch ein wenig Ablöse einbrachte.
Seitdem absolvierte Hahn 27 Bundesligaspiele, erzielte in dieser Saison sein erstes Bundesligator und gehört zum Stammpersonal der Weinzierl-Elf. Auch wenn er noch immer nicht zu den allerbesten Fußballern des FCA gehört: Er überzeugt durch Einsatz, Aggressivität und Leidenschaft und passt so perfekt in Weinzierls Anforderungsprofil. Diese Attribute sind elementar für den Coach.
Wenn man so will, ist Hahn das Symbolbild des FCA. Als Hahn kam, waren die Fuggerstädter schon abgeschrieben. Doch mit einem leidenschaftlichen Kraftakt gelang in der letzten Saison der Nicht-Abstieg. Einhergehend mit der Entwicklung der Augsburger verläuft auch die von Andre Hahn.
Seine Schnelligkeit ist weiterhin sein größter Trumpf. Doch dass Hahn der schnellste Spieler der Bundesliga ist, überrascht dann doch. Mit 35,4 Stundenkilometer wurde in er dieser Saison "geblitzt". Er ist somit schneller als Pierre-Emerick Aubameyang, Marco Reus oder Franck Ribery.
Und inzwischen schießt er auch noch Tore. "Andre hat jetzt das Selbstvertrauen. Er weiß nun, dass er auch in der Bundesliga Tore erzielen kann", sagte Markus Weinzierl. Vor einer Woche traf Hahn sehenswert in Leverkusen. Gegen Mainz erzielte er seinen ersten Bundesliga-Doppelpack.
Akklimatisierung abgeschlossen
Dass ihm generell der Sprung von der 3. Liga in die Bundesliga derart schnell gelingt, hatte er sich anfangs gar nicht zugetraut. Aber Weinzierl gab ihm von Beginn an das Vertrauen, wechselte ihn kurz nach seiner Verpflichtung im Januar in der 90. Minute ein und baute den Flügelflitzer peu a peu auf. So etwas tut gut.
War das erste halbe Jahr noch eine Art Lernphase, so hat Hahn nun den nächsten Schritt gemacht. Bis zum Sommer war er nicht zwingend der Inbegriff eines Torjägers, sondern wirkte im Abschluss oft zu hektisch oder traf die falsche Entscheidung. Nun ist er der beste Torschütze des FC Augsburg. Doch darauf ausruhen wird er sich nicht.
Ohnehin ist Hahn kein Typ, der sich nun zurücklehnen würde. Hahn ist ein Arbeiter. Abhebe-Gefahr besteht kaum, dafür ist er charakterlich viel zu gefestigt und geerdet. Weinzierl ist mit seiner Entwicklung bisher sehr zufrieden, sieht diese aber noch lange nicht abgeschlossen.
Im taktischen und technischen Bereich hat Hahn nach wie vor noch Luft nach oben. Derzeit kompensiert er viel durch Leidenschaft, wirkt in jedem Spiel unfassbar aufgedreht und steht 90 Minuten unter Strom.
Hahn ist nicht mehr Mister X
Das Problem: Hahn ist nun kein Unbekannter mehr in der Liga. Mittlerweile haben sich die Gegner auf seine Spielweise eingestellt, so wie Freiburgs Oliver Sorg vor einigen Wochen: "Er hat genau gewusst, wie er mich zustellen muss. Ich konnte kaum aufdrehen, meine Schnelligkeit ausspielen, die mich stark macht", stellte Hahn fest.
Seine starken Leistungen ließen auch schon einige Liga-Konkurrenten aus der Liga aufhorchen, doch Hahn fühlt sich in Augsburg sehr wohl: "Hier spiele ich, hier kann ich dem Verein und der Mannschaft helfen. Hier in der Stadt ist alles so positiv, so entspannt und familiär, was es gerade uns jungen Spielern so einfach macht."
Sein Vertrag läuft noch bis 2016 und aus seinem Umfeld ist zu vernehmen, dass er auch nicht daran denkt, den FCA in naher Zukunft zu verlassen. Er weiß, dass er dem Verein viel zu verdanken hat. Augsburg gab ihm die Chance, sich in der Bundesliga zu beweisen. "In Offenbach habe ich mir am Samstagabend oft auf der Couch die Zusammenfassung der Bundesliga angesehen und gedacht: Da würde ich gerne spielen. Jetzt sehe ich mich selber rumrennen. Das ist schon Wahnsinn. Ich spiele erste Liga", sagt Hahn. Plötzlich lebt er seinen Traum.
Doch ihm ist bewusst, dass es Rückschläge auf dem Weg zum nächsten Entwicklungsschritt geben wird. Aber eins wird Andre Hahn sicher nicht machen: Aufgeben. Das verrät schon sein Tattoo auf der linken Körperhälfte. Dort steht geschrieben: "Lieber stehend sterben als kniend leben".
Andre Hahn im Steckbrief