Der taube Fußballprofi Simon Ollert im Interview: "Es ist wie in einer Bahnhofshalle"

Simon Ollert ist von Geburt an medizinisch taub.
© Phonak

Simon Ollert ist von Geburt an medizinisch taub - und dennoch Fußballprofi. Dank einer geringen Resthörigkeit kann er mithilfe eines Hörgeräts Geräusche wahrnehmen und kommunizieren. Auf dem Platz ist das nicht möglich.

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Im Interview erklärt der 20-Jährige, wie das Zusammenspiel mit seinen Mitspielern funktioniert, wie er fremde Mütter zu Tränen rührte und was in Deutschland mit Blick auf die Inklusion von Menschen mit Behinderung schiefläuft.

SPOX: Herr Ollert, lassen Sie uns über Musik sprechen.

Simon Ollert: Über Musik?

SPOX: Ja. Welche Musikrichtung hören Sie gern?

Ollert: Hip-Hop oder Pop.

SPOX: Weil?

Ollert: Weil sich der Bass öfter abwechselt und die Lieder melodischer sind. Ich spüre Musik eher, als dass ich sie höre. Von den Texten verstehe ich überhaupt nichts. Auch nicht, wenn ich voll aufdrehe.

SPOX: Sie sind von Geburt an taub.

Ollert: Richtig, ich bin medizinisch taub. Ohne Hörgeräte höre ich nichts, aber es gibt eben eine gewisse Resthörigkeit. Geräusche ab 100 Dezibel (vergleichbar mit einer Motorsäge; Anm. d. Red.) nah an meinem Ohr höre ich in einem leisen Flüsterton. Oft ist das dann von der Umgebung abhängig. Je lauter die Umweltgeräusche sind, desto mehr bin ich von den Lippenbewegungen abhängig.

SPOX: Im Stadion gibt es jede Menge Umweltgeräusche.

Ollert: Das stimmt. Man kann sich das vorstellen wie in einer lauten Bahnhofshalle. Es prasseln unglaublich viele verschiedene Geräusche auf einen ein, man versteht aber eigentlich gar nichts. So ist es im Fußballstadion mit den ganzen Fans und Trommeln.

SPOX: Den Schiedsrichterpfiff bekommen Sie erst mit, wenn keiner außer Ihnen noch weiterspielt. Wie sieht es mit Anweisungen von Mitspielern oder Trainern aus?

Ollert: Auf dem Platz verstehe ich sie nicht. Ich bin ausschließlich von meinen Augen abhängig. Sollte es tatsächlich etwas Wichtiges sein, muss ich eben kurz zum Trainer rauslaufen.

SPOX: Wie kann man sich das Zusammenspiel mit Ihren Mitspielern vorstellen?

Ollert: Es gibt Situationen, in denen andere Spieler sicher einen Vorteil haben: Wenn ich mit dem Rücken zum Gegner stehe, weiß ich nicht, von welcher Seite er kommt. Deswegen bin ich ein Stürmer, der das Spiel gerne schnell macht. Ich antizipiere die Optionen in meinem Blickfeld und entscheide mich dann meist für den direkten Pass.

SPOX: Was ist, wenn Sie mit dem Rücken zum Spielgeschehen stehen?

Ollert: Wenn ich neu zu einer Mannschaft hinzustoße, dauert es immer ein paar Wochen, bis sich die Mitspieler auf mich eingestellt haben und andersherum. Jeder Spieler hat seine Vorlieben an Lauf- und Passwegen. Das muss ich mir dann einprägen und mich entsprechend bewegen.

SPOX: Hat Ihre Behinderung auch irgendwelche Vorteile?

Ollert: Auf jeden Fall. Oft kann man sich viel besser auf sein eigenes Spiel konzentrieren. Ich erkenne auch viele Situationen früher, die andere nicht erkennen. Mein peripherer Blick hat sich deutlich verbessert.

SPOX: Schalten Sie Ihr Hörgerät dann überhaupt an?

Ollert: Ja, immer. Ich bin Stürmer. Wenn ich ein Tor schieße, genieße ich einfach diese Lautstärke, auch wenn ich keine Details heraushöre. Die Stimmung kann ich aber trotzdem aufsaugen.

SPOX: In Ihrem Kinderzimmer hängt ein DIN-A4-Blatt, auf dem handschriftlich geschrieben ist: "Mein Ziel: Fußballprofi werden." Rein formell hatten Sie dieses Ziel schon erreicht, als Sie mit 17 Jahren Ihren Profivertrag bei der SpVgg Unterhaching für die 3. Liga unterschrieben. Fühlt es sich auch so an, als hätten Sie Ihr Ziel bereits erreicht?

Ollert: Nicht wirklich. Ich war damals 17 und noch sehr unerfahren. Ich konnte das noch gar nicht so richtig realisieren. Wir sind damals ja auch leider abgestiegen. Ich bin dann zum FC Ingolstadt in die U19-Bundesliga gewechselt und später von der U23 der Schanzer zum Regionalligisten FC Memmingen. Mein Ziel ist es, wieder in den Profibereich zu kommen.

SPOX: Derzeit sind Sie vereinslos. Gestaltet sich die Suche in Ihrem Fall besonders schwierig?

Ollert: Es ist im Fußball ob der zahlreichen Konkurrenz generell schwierig. Das hängt von vielen Faktoren ab. Mein Berater und ich üben uns in Geduld. Vom Verein bis zum Trainer sollte wirklich alles passen. Deswegen mache ich mir keinen allzu großen Stress.

SPOX: Haben Sie das Gefühl, dass es bei den Vereinen eine gewisse Hemmschwelle gibt, einen tauben Spieler zu verpflichten?

Ollert: Ich kann es mir schon vorstellen. Versteht der mich überhaupt? Kann ich mit dem kommunizieren? Das ist natürlich eine Umstellung für einen Trainer. Da muss man auch die Trainer ein wenig verstehen. Es gibt sicherlich eine Hemmschwelle, aber wenn man sich etwas auf mich einlässt, merkt man schnell, dass das alles kein großes Problem ist.

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