Der Siegeszug der "englischen Krankheit"

Von SPOX/Andreas Renner
Eine Illustration von 1874, die die Aufmerksamkeit des Betrachters aufs "Dribbling" ziehen möchte
© Getty
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In jedem Fall setzten mit der neuen Abseitsregel immer mehr Mannschaften auf geordnetes Aufbauspiel und brauchten deshalb mehr Anspielstationen im Mittelfeld. Nein, diese Anspielstationen kreierten überhaupt erst so etwas wie ein Mittelfeld.

Vorher hatte man schließlich mit geschlossener Front attackiert. Ausgehend von der 2-2-6-Formation, die Schottland im ersten Länderspiel verwendet hatte, wurde einer der beiden zentralen Stürmer nach hinten gezogen. Dieser zentrale Spieler hatte nun sowohl defensive als auch offensive Aufgaben. Man könnte ihn den ersten "Sechser" und "Zehner" in Personalunion nennen. Das war allerdings viel Arbeit für nur einen Mann.

Das System war das 2-3-5, oder auch "die Pyramide". Anfang der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts eroberte die Pyramide England. 1884 spielte das englische Nationalteam erstmals in dieser Formation, wenig später gewann Preston North End mit dem 2-3-5 zwei Mal in Folge die neu geschaffene englische Fußballmeisterschaft - in der Premierensaison (alle Ergebnisse und die Abschlusstabelle 1888/89) sogar ungeschlagen. Vierzig Jahre lang blieb die Pyramide das bevorzugte System im Fußball. (siehe Grafik)

Entwicklung in Deutschland

Etwa zu dieser Zeit begann der Siegeszug des Fußballs in Deutschland. Nicht früher, wie Vereinsnamen á la TSV 1860 München oder TSG Ulm 1846 suggerieren. Diese Vereine gab es zwar schon, doch das T im Vereinsnamen stand für Turnen und genau das war zu Beginn der bevorzugte Sport dieser Klubs. Heute weiß man, dass der Sport im Jahr 1874 in unser Land kam. Zu einer Zeit, als die Grenzen zwischen Rugby und Fußball noch verschwommen waren.

Der 1878 gegründete Klub FC Hannover, der lange im Ruf stand, der erste Fußballverein Deutschlands zu sein, spielte in Wahrheit Rugby. Erste Rugbyklubs gab es ab 1870 in Heidelberg, das bis heute die Hochburg des deutschen Rugby geblieben ist.

Das erste Fußballspiel auf deutschem Boden fand vermutlich vier Jahre später statt, an einem Gymnasium in Braunschweig, wo ein Lehrer namens August Herrmann seinen Schülern ein neuartiges Spiel aus England näher brachte. Zwei Jahre später kam es zu einem ersten Match zwischen den Braunschweigern und einer Schule aus Göttingen.

Die "englische Krankheit"

Der erste, heute noch existente Fußballklub aus Deutschland war Germania Berlin. Der Klub ist längst in der Bedeutungslosigkeit verschwunden und kickt aktuell in der Berliner Kreisliga A, Staffel 4. Leicht hatten sie es nicht, die ersten deutschen Fußballer, denn ihr Sport galt im preußisch geprägten Deutschland als minderwertig. Fußballgegner beschimpften die Balltreterei sogar als "englische Krankheit".

Doch wie ein Virus, das sich unaufhaltsam verbreitet, war auch der Fußball nicht aufzuhalten. Der vielleicht wichtigste Pionier des Sports in Deutschland war ein gewisser Walther Bensemann. Der wurde 1873 in Berlin geboren, lernte den Sport als Schüler in der Schweiz kennen, wo er schon mit 14 Jahren in Montreux seinen ersten Klub gründete. Ein Jahr später zog er nach Karlsruhe und schuf auch dort einen Fußballverein.

Fleißig war Bensemann ohne Frage und das Gründen schien sein bevorzugtes Hobby zu sein. Vor einem 13-jährigen Englandaufenthalt als Lehrer gründete er noch einen Vorläufer des Karlsruher SC. Nach seiner Rückkehr aus England hob er einen Vorläuferklub von Eintracht Frankfurt aus der Taufe. 1920 gründete er ein Fußballmagazin namens "Kicker", das bekanntlich bis heute existiert. Und selbstverständlich war Bensemann auch beteiligt, als am 28. Januar 1900 in Leipzig der Deutsche Fußball-Bund aus der Taufe gehoben wurde.

Im zweiten Teil am Dienstag geht es zurück auf die Insel. Da lernen wir Herbert Chapman kennen, den Erfinder des WM-Systems, das aber rein gar nichts mit einer Weltmeisterschaft zu tun hatte, uns aber trotzdem half, den ersten WM-Titel nach Deutschland zu holen...

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