Es war ein kurzer Moment, den Teamchef Maurizio Arrivabene mit seinen beiden Fahrern hinter der Boxengasse des Bahrain International Circuits verbrachte, doch er beschreibt die neue Scuderia bestens. Der Italiener lobte, das Hemd bis unter die Brust aufgeknöpft, breitete seine Arme aus, grinste und umarmte Räikkönen herzlich, während Vettel daneben stand und freundlich lächelte.
Der Heppenheimer freute sich über den Erfolg seines Freundes, der dank seiner Fahrt auf Platz zwei zum ersten Mal seit dem Korea-GP 2013 wieder einen Pokal mitnahm. Ferrari ist eine echte Mannschaft geworden, die zusammenarbeitet.
"Wir haben einen großen Schritt gemacht und arbeiten als Team in eine gute Richtung", verglich Räikkönen die aktuelle Situation mit dem Vorjahr, als er noch an der Seite von Fernando Alonso fuhr: "Wir verbessern uns als Team und werden um Siege kämpfen."
Hamilton verspielte fast den Sieg
Genau das tat er eigentlich schon in Bahrain. Ein Umlauf mehr und es hätte wohl den ersten Räikkönen-Sieg seit dem Saisonauftakt 2013 gegeben. Denn nicht nur bei Nico Rosbergs Auto machten die Bremsen Probleme, auch Lewis Hamilton musste seinen W06 ins Ziel tragen.
Nur 3,3 Sekunden Vorsprung rettete er. Einen Umlauf zuvor waren es noch mehr als sechs. Im Nachhinein raubte sich Ferrari selbst die Siegchancen: Räikkönen verlor schon im ersten Stint viel Zeit, als er hinter Vettel festhing.
Mercedes hat angesichts des Aufschwungs der Truppe aus Maranello aufgerüstet - und dabei offenbar einen Schritt zu viel gemacht. "Wir müssen das Problem des Überhitzens analysieren. Wir waren nicht dominant, Ferrari schließt auf. Wir müssen alles tun, um sie weiter zu schlagen", feuerte Motorsportdirektor Toto Wolff seine Ingenieure an.
Doppelter Bremsaussetzer bei Mercedes
Dass bei Rosberg und Hamilton nacheinander am Ende der Zielgerade das Brake-by-Wire-System ausfiel, das für die verstärkte Energierückgewinnung zur Saison 2014 in der Formel 1 eingeführt wurde, wäre nicht schlimm. Der Fehler könnte künftig vermieden werden.
Doch Wolff offenbarte, dass Mercedes nach den guten Longruns von Ferrari am Freitag Hand angelegt hatte. "Wir wussten, dass diese vorgenommenen Änderungen am Auto die Bremstemperatur ein klein wenig beeinträchtigen würden", so der Österreicher.
Doch im Verkehr zeigte sich, dass die Änderungen nicht ganz optimal waren. "Da gingen die Bremstemperaturen durch die Decke", spricht Wolff über die Überrundungen und zahlreichen Überholmanöver von Rosberg. Mercedes plant schon wieder Änderungen: "Im Hinblick darauf, dass dadurch das Problem verursacht wurde, das uns fast das Rennen gekostet hätte, werden wir das nochmal ansehen und die Dinge in Zukunft anders angehen."
Zwei Fehler bei vier Rennen
Die Truppe aus Brackley ist gewarnt. Erstmals wird das Team nach der Rekordsaison 2014 wirklich gefordert und schon treten Fehler auf. Bei zwei von vier Rennen holten Rosberg und Hamilton trotz des schnellsten Autos nicht die optimale Punktausbeute, weil die Verantwortlichen sich verkalkulierten oder die Technik durch fragwürdige Änderungen streikte.
Ferrari freut sich darüber und mutiert zu einer verschworenen Gemeinschaft. Räikkönen und Vettel geht es nicht wie Hamilton und Rosberg um den eigenen Erfolg, den Teamkollegen hinter sich zu halten. Während der eine Pilot die Silberpfeile mit frühen Stopps ärgert und zu einer Reaktion zwingt, fährt der andere ungestört seine Runden und setzt später die Attacke fort.
"Sagt mir nicht mehr den Abstand", funkte Rosberg in Runde 48 nervös seinem Renningenieur zu, als er seine Felle davonschwimmen sah. Auf sieben Sekunden hatte der Finne den Rückstand verringert. Direkt nach seinem finalen Reifenwechsel hatte die Lücke noch 20 Sekunden betragen.
Ferrari trickst Mercedes wieder aus
Wie beim Vettel-Sieg in Malaysia trickste die Scuderia das Weltmeisterteam aus. Vettels frühe Stopps setzten die Silberpfeile unter Druck, Räikkönen legte im zweiten Stint mit konstant schnellen Runden auf den härteren Medium-Reifen fast unbeachtet die Grundlage für seinen Erfolg.
Jubelarien kamen dem Routinier trotzdem nicht über die Lippen. "Es fühlt sich gut an, aber ich bin natürlich enttäuscht, nicht gewonnen zu haben", sagte der Iceman in seinem typischen, abgeklärten Tonfall: "Am Ende sind mir leider die Runden ausgegangen."
Arrivabene: "Dachte nur: 'Oh shit'"
Ferrari hatte auf den großen Coup spekuliert, allerdings kühlte die Strecke so weit ab, dass Mercedes wieder vorn lag. "Heute früh war ich noch sehr zuversichtlich. Aber dann nahm der Wind zu und ich dachte nur: 'Oh shit'", sagte Arrivabene.
Dass sich nicht Vettel, sondern Räikkönen zum ersten Herausforderer der Weltmeister entwickelte, freute den Chef besonders: "Es ist wichtig, dass wir zwei gute Fahrer haben. Ich freue mich für ihn." Warum zeigte Vettel, der nach mehreren Fahrfehlern seinen Frontflügel beschädigte und bis auf Platz 5 zurückfiel.
Wolff hat dieselbe Schlussfolgerung gezogen. "Jeder, der an Nico gezweifelt hat, hat ihn heute in Bestform gesehen", sagte er in Bahrain: "Er hat hart gekämpft und überholt. Es ist schade, dass er die zweite Position durch einen Bremsfehler verloren hat."
Der doppelte Druck wird Mercedes auch in drei Wochen beim ersten Europa-GP der Saison in Spanien zu einer Reaktion zwingen. "Ferrari hat uns heute ordentlich unter Druck gesetzt. Wir müssen bei der Entwicklung des Autos weiter Gas geben", schlussfolgerte Hamilton.
Räikkönen-Bewerbungsphase läuft
Gelingt Ferrari auch auf der Aerodynamik-Referenzstrecke in Barcelona der Anschluss, dürfte selbst den größten Skeptikern bewusst werden, dass die Dominanz der Silberpfeile schon wieder Geschichte ist. Und für Räikkönen geht die Bewerbungsphase um einen neuen Vertrag weiter, während Hamilton ob seiner Verzögerungstaktik bei den Verhandlungen mit Mercedes schon mit der Scuderia in Verbindung gebracht wird.
"Lewis ist Weltmeister. Jeder Champion träumt davon, einmal bei Ferrari zu fahren", feuerte Arrivabene die Gerüchte an. Option eins ist er aber nicht. Die bleibt Räikkönen, für dessen Engagement Ferrari im nächsten Jahr eine Option hat.
"Wenn ich zustimme, möchte ich nicht, dass ein Fahrer einschläft. Ich will ihn bei der Stange halten. Kimi gibt dann sein Bestes, wenn er ein bisschen Ärger hat. Das ist eine psychologische Herangehensweise", erklärte Arrivabene sein derzeitiges Zögern: "Manchmal muss man den Stift hinlegen und dann wieder wegnehmen - und Kimi fährt aufs Podium."
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