SPOX im Einsatz: Auge in Auge mit Karl Marx

Von SPOX
Die SPOX-Redakteure waren 2016 vielseitig unterwegs
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Ja, is denn heut scho Weihnachten? Das Jahr 2016 hatte aus sportlicher Sicht viel zu bieten - auch die SPOX-Redakteure haben einen Sack voll unsäglicher Erlebnisse und Anekdoten angesammelt. Sieben Redakteure erzählen von kurzfristigen Trips nach Miami, Suff in polnischen Hotellobbys, Tee in Hans Meyers Wohnzimmer oder von einer Plantage in Ascona, während im DFB-Trainingslager die Welt untergeht. Merry SPOXmas!

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"Geh mal davon aus..." - ein Nachmittag bei Hans Meyer

Von Jochen Tittmar

Möglicherweise werdet Ihr es bemerkt haben: Ich habe in meiner bald neunjährigen Zeit bei SPOX schon einige Interviews mit Menschen aus dem Fußball geführt.

Mal am Telefon, mal in Cafes oder Restaurants, mal in Trainingslagern, auf Geschäftsstellen oder in Stadien. Seltener ist es, dass einen die Protagonisten ins private Eigenheim einladen.

Passiert dies, wird es zumindest nach meinen Erfahrungswerten schnell legendär. Bei einem ehemaligen Zweitligatrainer habe ich einmal sieben Stunden auf der Terrasse gesessen. Wir haben zusammen gegrillt und ein, zwei Bier getrunken, ich musste meinem gerade aus dem Sommerurlaub zurückgekehrten Gastgeber 50 Euro für den auf einmal aufkreuzenden Elektriker borgen, drei umher wuselnde Kinder hielten uns auf Trab - ein sensationeller Tag.

Ein Tritt in die Pfütze

Seit Ende November steht jedoch eine andere Begebenheit auf Platz eins meiner liebsten Erinnerungen. Das hatte ich im Vorfeld auch stark gehofft. Denn ein Interview mit dem legendären Hans Meyer kann eigentlich nur legendär werden.

Wir verabredeten uns in seinem Wohnort Nürnberg, er lotste mich zu einer Adresse in der Innenstadt. Ich hatte aber keine Ahnung, wo das Gespräch genau stattfinden sollte.

Als ich endlich einen Parkplatz in der Nähe fand, versaute ich mir beim Aussteigen mit dem Tritt in eine beträchtliche Schlammpfütze meine kostbaren Deichmann-Treter. Macht bestimmt Eindruck...

Meyer pirscht sich von hinten an

Am genauen Treffpunkt angekommen, fand ich einen handelsüblichen Wohnblock vor. Kurz mal den Briefkasten gecheckt: Tatsache, hier gibt's einen Meyer. Aber halt, da steht bei nur neun Parteien ja gleich drei Mal "Meyer" dran. Und alle mit "ey".

Ich stehe also vor dem Briefkasten und einer großen Tür. Wo soll ich jetzt überhaupt klingeln? Oder kommt er zur vereinbarten Zeit sowieso herunter? Kurz vor der Deadline rief ich ihn auf dem Handy an. Meyer: "Ich komme gleich, Moment." Okay, er wird also runterkommen und dann geht's wohl irgendwohin.

Sekunden später, von hinten: "Hallo, Herr Tittmar." Hans Meyer hatte sich in meinem Rücken herangepirscht. "Dann gehen wir mal hoch." Na gut, wäre das geklärt.

Blickkontakt mit Karl Marx

Aufzug in die oberste Etage, ich schnell die verdreckten Treter vor der Wohnungstür abgestellt. Was dann folgte, war einfach nur sehr nett und zuvorkommend. Meyer forderte mich auf, es mir in seinem Wohnzimmer gemütlich zu machen. Ich schnappte mir eine der beiden Ohrensessel-ähnlichen Sitzgelegenheiten und ließ mich nieder.

Er ging derweil in die Küche und kochte in Seelenruhe eine Kanne Tee. In einer Ecke des Zimmers bemerkte ich eine vollständig in rot gehaltene Karl-Marx-Statue, circa einen Meter groß. Sie starrte mich regelrecht an.

Meyer kam zurück, ein Tablett mit Tee und Plätzchen in den Händen. Er setzte sich in die andere Ohrensessel-ähnliche Sitzgelegenheit mir gegenüber, zwischen uns ein kleines Tischchen mit den Stärkungen. Wir plauderten drauf los. Während ich ihn durchgehend siezte, blieb Meyer vom Fleck weg beim Du - vollkommen zu Recht natürlich.

Ein echter Leckerbissen

Es gingen zweieinhalb Stunden ins Land. Hier mal ein Plätzchen (gutes Zeug übrigens!), dann wieder Tee nachgeschenkt. Das Tete-a-tete verlief aus meiner persönlichen Sicht herausragend, da Meyer ein traumhafter Gesprächspartner ist und wir immer wieder zu gesamtgesellschaftlichen Themen abschweiften.

Wir sind verblieben, das Interview erst im neuen Jahr zu veröffentlichen. 150 Minuten Hans Meyer abzutippen ist zwar ein Leckerbissen, aber dauert eben auch ein paar Momente.

Bevor ich mich verabschiedete, dankte ich ihm für den angenehmen Nachmittag. Ich hoffte, ihm gefiel es so wie mir - ich war mir aber nicht ganz sicher. Schließlich ist Meyer Profi und ich nicht der erste Journalist, mit dem er zusammengesessen hat.

Als er mich zur Tür begleitete und ich kurz davor war, meine versifften Schuhe anzuziehen, entließ er mich schmunzelnd mit den Worten: "Geh' mal davon aus, dass es auf Gegenseitigkeit beruht, wenn jemand zweieinhalb Stunden bei Hans Meyer im Wohnzimmer sitzt." Sensationell, nur das "junger Mann" hat noch gefehlt...