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NFL - Los Angeles Chargers - Ist die Verletzungswelle nur die Spitze des Eisbergs?

Von Marko Markovic
Brandon Staley sieht einer verletzungsgeplagten Saison entgegen
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Versucht man das 4-3 nur mit den Verletzungen zu erklären, tut man diesem Coaching Staff aber eben doch auch einen Gefallen. Auf beiden Seiten des Balles gibt es fragwürdige Entscheidungen, die nicht erzwungener Natur sind, und die manchmal Chargers-Spiele zu haarsträubenden Ärgernissen werden lassen.

Chargers Defense: Immer noch enttäuschend

Eine der Hauptgründe dafür ist die Defense. Staley ist als defensiver Head Coach speziell auch dafür ausgewählt worden, um diese Seite des Balles als Komplement zu Herbert zu entwickeln. Im ersten Jahr waren die Resultate sehr ernüchternd. Das ließ sich noch auf das geerbte Personal schieben. Aber im Jahr zwei sind da schon etliche Säulen von Staley selbst installiert worden, Asante Samuel Jr. und Khalil Mack zum Beispiel. Und nicht alles geerbte war ja schlecht. Star-Safety Derwin James Jr, dessen Schweizer-Taschenmesser-Qualitäten für Defensiv-Gurus eigentlich ein gefundenes Fressen sein sollten, macht unter Staley eine Stagnation durch - wenn nicht sogar einen kleinen Rückschritt.

Derwin James ist einer der gefährlichsten Blitzer der Liga.
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Derwin James ist einer der gefährlichsten Blitzer der Liga.

So setzt Staley James zum Beispiel seltener als Pass Rusher ein. Unter Gus Bradley blitzte James auf circa 10 Prozent der Pass-Snaps, unter Staley ist das runter auf 5 Prozent, bei mittlerweile fast gleich großer Sample Size. Selbst eine Verbesserung, die James mittlerweile als Pass Rusher durchgemacht hat, kann die niedrigere Anzahl an Chancen, die er in dem Bereich bekommt, nicht wettmachen. Staleys Scheme fordert natürlich mehr Two High Coverages, die James fast doppelt so oft als Free Safety ins Alignment stellen, und es ist schwieriger von da hinten Pass Rush zu erzeugen, als wenn er an der Line of Scrimmage geparkt wird, wie es Bradley in fast 25 Prozent der Snaps tat.

Aber eben hier wäre schon auch die Frage angebracht, ob ein Coach nicht sein Scheme an einen Spieler anpassen kann, der mit seiner Versatilität eben bewiesen hat, gegnerische Offenses auf eine einzigartige Art und Weise vor Probleme zu stellen. Offenbar verlangt Staley eher umgekehrt, dass sich die Spieler an sein Scheme anpassen, egal was ihre einzigartigen Skills sind, was meistens in der NFL von fehlender Anpassungsfähigkeit und anfangender Hybris als Coach zeugt.

Defensive Tackle Sebastian Joseph-Day soll die Run Defense stärken.
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Defensive Tackle Sebastian Joseph-Day soll die Run Defense stärken.

Auch andere defensive Bereiche laufen unrund: Die letztes Jahr noch extrem durchlässige Run Defense wurde mit Sebastian Joseph-Day und Austin Jackson in der Free Agency verstärkt - und erlaubt seither 5,7 Yards pro Lauf, gemeinsamer Höchstwert der Liga mit den Giants. In erlaubten EPA pro Lauf ist das Team auch nicht viel besser (29. der Liga). Manches davon ist sicher von den erwähnten Big Runs verfälscht, die solche Durchschnitte immer stark heben, aber nur einen kleinen Teil der Plays darstellen.

Aber manches ist auch durchaus bewusst in Kauf genommen: Staleys Philosophie der Two High Shells ist für die Passspiele der AFC-Gegner Bills und Chiefs konzipiert. Wenn sich die Liga in einer Antwort auf das neue, von ihm mit-initiierte Coverage-Paradigma aber wie in den ersten Wochen der Saison vermehrt auf das Laufspiel stützt, braucht es defensive Anpassungen. Nicht jeder Gegner ist Mahomes. Wenn Gegner wie die Browns oder Seahawks mehr als 30 Mal laufen wollen, ist es nicht zu viel verlangt, weniger als 200 erlaubte Yards beziehungsweise weniger als 6 erlaubte Yards pro Carry zu erwarten.

Die Chargers Offense bleibt statisch, kurz und unkreativ

Offensiv ist das Bild weiterhin auch jenseits der Verletzungen traurig. Das Laufspiel scheitert am Run Blocking und die Chargers-Pass-Offense bleibt eine auf kurze Pässe ausgelegte Verlängerung des Laufspiels, bei denen etliche Routes zum Stillstand kommen und somit wenig YAC-Möglichkeiten bieten, und die Herberts Arm nicht mal oberflächlich ausnutzen können. Die Chargers haben die meisten Completions der Liga, die für 0 Yards oder weniger gehen.

Staleys Festhalten an Joe Lombardi als Offensive Coordinator wäre da nicht ein großes Problem per se - wenn er denn notwendige Anpassungen von ihm verlangen würde. Aber wenn er Lombardi walten lässt, ohne selbst eine Meinung dazu zu haben, ob das Geplänkel der Stick Routes eine Zukunft hat in der heutigen NFL, in der Defender einfach zu gut reagieren können, ist es seinerseits eine fahrlässig Schwächung des Potentials des Teams.

Andere Offenses zeigen Woche für Woche, wie sie mit deutlich weniger QB-Talent trotzdem kreativ die Probleme, die ihnen gegnerischen Defenses bieten, umgehen. Die Giants haben noch weniger Wide Receiver Talent als der verletzte Chargers-WR-Room. Die Falcons verstecken aktiv ihren QB. Die Vikings und Dolphins verhelfen limitierten QBs mit Play Action zu einem tiefen Passspiel. Alle diese Offenses laufen mehr als die Chargers und haben dennoch mehr EPA/Play und eine höhere Success Rate als die Chargers mit einem waschechten MVP-Kaliber auf QB. Und alle diese Teams haben junge Head Coaches im ersten oder zweiten Jahr, die on-the-fly lernen, in der NFL eine funktionale Offense aufzubauen.

Die Kernfrage wird also in LA bleiben: Kann Staley auch jenseits der smarten 4th-Down-Entscheidungen zu einem adaptiven, guten NFL Head Coach werden? Die Antwort darauf wird entscheiden, was das Team aus dem jetzt vorhandenen Fenster mit Herbert auf einem billigen Vertrag macht. Das Verfehlen der Playoffs - oder ein sofortiges Ausscheiden dort - wäre zwar dramatisch, aber es würde sehr viel davon abhängen, wie es zustande kam.

Nimmt Staley im Laufe der zweiten Saison Anpassungen vor, und die Verletzungen bleiben aber unüberwindbar, wird er gute Argumente haben, die Entwicklung fortzuführen.

Kommen Bosa und Williams irgendwann wieder gesund zurück, und das Team spielt aber weiterhin unter seinem Potential, weil sich im Coaching niemand traut, um die Ecke zu denken, muss sich das Team fragen, ob es sich noch um Growing Pains oder um eine verschwendete Chance handelt.

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