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Third and Long: Frustrierende Coaches - und wie bereitete Cleveland den Patriots Probleme?

SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt in seiner wöchentlichen Kolumne zurück auf Woche 8.
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QB-Karussell, Wildcard-Prognose, Seahawks - eure Fragen

Kaliba und CTG: Welche Teams, glaubst du, werden nächstes Jahr auf QB-Suche sein und welche Quarterbacks werden entlassen/Free Agents? Sehen wir dieses Jahr wieder einen Ansturm auf Quarterbacks in der Free Agency und im Draft?

Im Endeffekt das gleiche Spiel wie so häufig: Im August sind (fast) alle Franchises mit ihrer Quarterback-Position zufrieden und glauben, dass sie hier vorerst nicht aktiv werden müssen - Anfang November sieht das Bild schon wieder ganz anders aus.

Das sind die Teams, bei denen ich Stand heute prognostiziere, dass sie in der kommenden Offseason ganz konkret auf Starting-Quarterback-Suche gehen:

  • Miami Dolphins: Das Rosen-Experiment scheint Geschichte zu sein und das Rennen um den Nummer-1-Pick läuft. Ob Tua, Shootingstar Joe Burrow oder ein ganz anderer Kandidat - die Dolphins werden früh einen Quarterback draften.
  • Cincinnati Bengals: Auch wenn Andy Dalton unter den aktuellen Umständen eines der kleinsten Probleme in der Bengals-Offense ist: Es ist sehr gut vorstellbar, dass Zac Taylor nach einer sportlich desolaten Saison in seinem zweiten Jahr als Head Coach "seinen" Quarterback auswählen will und darf. Und das ja vielleicht sogar mit dem Nummer-1-Pick.
  • Tennessee Titans: Mariota ist fertig in Nashville, da gibt es keinen Zweifel. Tannehill macht seine Sache aktuell gut - für einen High-End-Backup. Aber eine langfristige Lösung ist er nicht. Ein Vorteil für Tennessee: Mit Tannehill hätte man eine ideale Übergangslösung, falls man einen Rookie vorerst raushalten will.
  • Chicago Bears: Zu den Bears kommen wir später noch im Detail, aber dass Mitch Trubisky nicht die Antwort ist, ist längst kein kontroverser Take mehr. Teams neigen bei hoch gepickten Quarterbacks nach wie vor dazu, ihnen noch ein wenig mehr Zeit zu geben - Zeit, die man nicht hat. Chicago hat kein Draft-Kapital, um einen Top-10-Pick in einen Quarterback zu investieren; doch die Bears sind ein heißer Kandidat für die Free Agency.
  • Tampa Bay Buccaneers: Keine Ahnung, was mit Winston passiert, um ehrlich zu sein. Hier wechselt meine Prognose auch regelmäßig. Ich glaube etwa, dass er eine bessere Chance als Mariota auf noch ein Jahr bei seinem Team hat - im Moment nehmen die üblen Spiele aber besorgniserregend Überhand und vielleicht ziehen die Bucs letztlich doch die Reißleine. Die Frage wird dann sein: Stürzt damit auch das gesamte Bruce-Arians-Konstrukt ein? Falls Arians bleibt, tippe ich, dass die Bucs einen erfahrenen Quarterback in der Free Agency und keinen Rookie holen.

Hechtel: Welchen Record braucht man in der NFC/AFC um am Ende der Saison einen Wildcard-Spot zu haben?

Das wird sich ziemlich stark unterscheiden - in der AFC dürfte es deutlich einfacher werden, eines der letzten beiden Playoff-Tickets zu ergattern.

Ich rechne hier mit den Patriots (8-0), Ravens (5-2) und Chiefs (5-3) in den Playoffs, sowie entweder den Colts (5-2) oder Texans (5-3). Houston wird durch den Verlust von J.J. Watt in der ohnehin wackligen Defense nochmal geschwächt und könnte sich am Ende mit etwa neun Siegen die erste Wildcard sichern.

Denn ansonsten sehe ich kein Team, dem ich am Ende realistisch über neun Siege zutraut, ohne dass es die Division gewinnt. Ja, die Bills stehen aktuell 5-2 - doch ist das ein 5-2-Record, dem ich nicht vertraue: Buffalo hat eine sehr gute Defense, die aber nicht auf dem Level der Patriots oder 49ers ist. Will sagen: Die Bills können sich nicht darauf verlassen, dass die Defense sie tragen kann.

Die Bills sind dennoch der Favorit auf die zweite Wildcard - andere Kandidaten wären Jacksonville, Tennessee, Oakland, Pittsburgh und Cleveland. In der Summe: Ich vermute, dass neun Siege eine Wildcard in der AFC dieses Jahr garantieren - und vielleicht sogar ein 8-8-Team auf diesem Weg rein kommt.

Die NFC ist da deutlich enger. Mit den Seahawks (6-2), Rams (5-3) und Vikings (6-2) gibt es bereits drei mögliche Schwergewichte, die aktuell nicht den Division-Titel gewinnen würden. Die Eagles (4-4) und auch die Panthers (4-3) sehe ich ebenfalls stärker als die meisten Wildcard-Anwärter in der AFC.

Deshalb tippe ich, dass man in der NFC mindestens zwei Siege mehr für eine Wildcard brauchen wird - elf also in der Summe. Und so wie die Conference sich bislang gestaltet, ist es absolut nicht auszuschließen, dass am Ende ein Elf-Siege-Team sogar die Playoffs verpasst.

Veit Ellerbrock und Thorsten: Wie stark schätzt du die Seahawks nach acht Spielen ein? Niederlagen gegen starke Teams, viele enge Spiele gegen schlechte Teams. Kein Pass-Rush, schwache Secondary (Schaub heute mit 460 Yards) und Carroll mit vielen schlechten Ingame-Entscheidungen. Trotzdem stehen sie bei 6-2. Sind die Seahawks schlechter als ihr Record, beziehungsweise nur so gut wie Wilson spielt/spielen darf?

Diese Woche gibt es zur Saison-Halbzeitmarke mein zweites Power Ranking für diese Saison, aber so viel kann man auf jeden Fall schon sagen: Die Seahawks sind wahnsinnig schwer zu greifen.

Ich komme bei Seattle immer darauf zurück, dass sie durch Wilson, Lockett, Wagner, Clowney und inzwischen auch Metcalf einfach eine hohe Base-Line haben. Deshalb ist Seattle in meiner Prognose auch ein Playoff-Team - doch wie gut können sie darüber hinaus sein? Die Secondary ist individuell ein Problem, das stimmt. Doch auch wie Pete Carroll defensiv agiert, hilft dabei wenig. Genau wie sein konservatives Vorgehen, was Seattle ebenfalls ein Klotz am Bein ist.

Unter dem Strich sind die Seahawks wahrscheinlich einfach das, was in der Frage auch schon durchgeklungen ist: Ein Team, das ins obere Liga-Drittel gehört, allerdings nicht zur Liga-Spitze. Das bedeutet ganz konkret vermutlich: Ein Playoff-Team, für das spätestens in der Divisional-Runde allerdings Endstation ist.

Mit dem kleinen Bonus-Faktor, dass gerade auch in der Postseason mit Russell Wilson eine Überraschung immer möglich ist.

Jonas: Woran kann es liegen das die 2018 und 2019 gedrafteten Quarterbacks dieses Jahr (bis auf Lamar Jackson) so straucheln? Die eigentlich Formkurve müsste doch im Normalfall nach oben gehen?

Sehr wichtige Frage, die ich auf jeden Fall mit rein nehmen wollte - allein schon aus einem Grund: Man darf auch und vor allem bei einem Quarterback nicht von einer linearen Entwicklung ausgehen. Sicher, einige Dinge sollten im zweiten Jahr besser sein - Spielverständnis, Spieltempo, Verhalten in der Pocket beispielsweise -, doch bedeutet das nicht automatisch, dass der Spieler insgesamt plötzlich besser spielt.

Teams haben im zweiten Jahr konkretes Tape für diesen Quarterback und attackieren seine Schwachstellen sowie die Schwachstellen der Offense, in der er spielt, ganz direkt. Und auch im zweiten Jahr sind die allermeisten Quarterbacks deshalb noch immer sehr abhängig von den Umständen.

Ein Beispiel: Baker Mayfield stand letztes Jahr bei 29 Prozent seiner Dropbacks unter Druck, einer der ligaweit niedrigsten Werte. Und das obwohl er den Ball im Schnitt relativ lange hielt (2,57 Sekunden). Außerdem war er in der Mitte des Feldes extrem gefährlich, wo er fast die Hälfte (12 von 27) seiner Touchown-Pässe auflegte. Vieles davon gestaltet sich dieses Jahr deutlich anders, Mayfield steht mehr unter Druck, geht mehr Risiko und die Mitte des Feldes ist eine Turnover- statt eine Touchdown-Fabrik geworden.

Lamar Jackson ist das perfekte Beispiel für die gleiche These, nur in die andere Richtung. Man konnte bei ihm einige positive Entwicklungen als Passer beobachten, auch wenn diese Entwicklungen nicht so extrem ausfallen wie man nach zwei Wochen dachte. Doch vor allem hat er ideale Umstände, mit einer sehr guten Offensive Line und einem Scheme, das komplett auf ihn ausgerichtet ist.

Diesen Luxus hat sonst kein anderer Quarterback. Das soll nicht Jacksons Leistungen klein reden; es ist einfach wichtig, auch beim Quarterback die Umstände in der Entwicklung zu berücksichtigen.

Wenn man das beachtet, kann man versuchen, die Entwicklung eines Quarterbacks individuell zu betrachten. Da wäre etwa Mayfields Tendenz, sich in der Pocket nicht gut zu bewegen, die im College teilweise sichtbar war und dieses Jahr deutlich stärker auftritt - ein Warnsignal.

Umgekehrt sehen wir bei Josh Allen bei aller Inkonstanz eine deutliche Entwicklung im Underneath Passing Game und bei Darnold lässt sich eine Intensivierung der Turnover-Problematik, die er auch bei USC schon hatte, feststellen. In einer Offense, die ihm wenig hilft.

Zwei zentrale Takeaways: Auch für Quarterbacks ist die Frage nach der Situation, in die er rein gedraftet wird, unheimlich wichtig und die falsche Situation kann verhindern, dass ein talentierter Quarterback jemals sein Potenzial ausschöpft. Und selbst wenn die Situation gut ist, wird man nur sehr selten Quarterbacks haben, die sich über die ersten Jahre ihrer Karriere einfach konstant verbessern.

Carsten Dreyer: Die Bears haben mehr Probleme als nur Trubisky. Play-Calling, Kicker und die Defense hatte keinen Sack gegen eine der schwächsten OL der Liga. Wie kann Chicago den Turnaround schaffen?

Nachdem ich bei den Bears in den vergangenen Wochen sehr kritisch war und letzte Woche bereits über die generellen offensiven Probleme geschrieben hatte, ist das doch eine sehr gute Gelegenheit, um konstruktiv auf die Zukunft der Bears zu blicken.

  1. Punkt: Diese Saison ist gelaufen. Die NFC ist zu stark, die NFC North ist zu stark und die Probleme der Bears sind zu vielseitig und zu tiefgreifend, als dass man sie innerhalb einiger Spiele reparieren könnte. Mit dieser Wahrheit im Hinterkopf sollte man auch jetzt mit weiteren Entscheidungen vorgehen.
  2. Punkt: Die Quarterback-Thematik liegt auf der Hand. Es ist die wichtigste Position und Trubisky ist nicht die Antwort. Chicago hat keinen Erst-, Dritt- oder Viertrunden-Pick im kommenden Draft und muss zwei Zweitrunden-Picks sehr clever einsetzen. GM Ryan Pace war über die vergangenen Jahre viel zu aggressiv und sorglos mit seinen Picks, statt hier das Draft-Kapital zu erweitern.
  3. Punkt: Anknüpfend daran: Die Bears werden keinen Quarterback draften können, der das Titelfenster, das mit dieser Defense noch immer möglich ist, wieder aufstoßen könnte. Der Blick muss also Richtung Free Agency gehen - wo die Bears mit dem Stand heute fünftniedrigsten Cap Space für 2020 ebenfalls sehr präzise vorgehen müssen. Ich bleibe dabei, dass ich es mit Mariota versuchen und ihn wieder mit seinem College-Coach Mark Helfrich zusammenführen würde. Das scheint die vielversprechendste Option zu sein, wenn man schnell wieder angreifen will.
  4. Punkt: Das Play-Calling. Ja, das Play-Calling ist nicht gut und man hat auch den Eindruck, als würde hier nichts harmonieren. Wo Nagy letztes Jahr noch einen tollen Rhythmus in den Spielen hatte und konstant offene Receiver kreierte, scheint er jetzt auch selbst in seinem Kopf gefangen zu sein. Tarik Cohen ist noch immer eine tolle Mismatch-Waffe, Taylor Gabriel ein gefährlicher Screen-Receiver und Anthony Miller kann eine absolut solide Nummer 2 sein - hinter Allen Robinson, der eine fantastische Saison spielt. Wirklich gut eingesetzt wird dieses Jahr keiner von ihnen, abgesehen von Robinson.
  5. Punkt: Play-Calling, Part 2. Was natürlich die Frage aufwirft - warum ist das so? Wie sehr leidet das Scheme unter Trubiskys Limitierungen? Wie weit ist Nagy der Meinung, dass er seine Offense anpassen muss, damit sie mit Trubisky funktioniert? Nagy hat in vielerlei Hinsicht eine merkwürdige Saison, aber er ist nicht über den Sommer plötzlich unfähig geworden. Normalerweise sollte man eine Offense im zweiten Jahr mit einem Quarterback erweitern können - die Bears sind offensiv dagegen einfacher geworden und scheinen auf Trubisky Rücksicht zu nehmen. Das könnte auch ein Grund dafür sein, dass man mit Chase Daniel teilweise den Eindruck hatte, die Offense würde runder laufen - was sie in meinen Augen auch tat.
  6. Punkt: Und die Defense? Dass die Bears das ultra-dominante Vorjahres-Level so nicht würden halten können, war absehbar - und trotzdem waren sie gerade früh in der Saison extrem stark unterwegs. Defenses sind einfach inkonstanter als Offenses, die Bears haben trotzdem auch weiterhin die Bausteine, um eine Top-5-Defense aufs Feld zu bringen. Insbesondere dann mit Akiem Hicks zurück auf dem Platz.

Chicago ist keineswegs ein hoffnungsloser Fall. Man hat die Defense und die offensiven Waffen, um 2020 wieder anzugreifen. Dafür allerdings muss die Offensive Line verbessert werden - und vor allem die Entscheidung auf der Quarterback-Position sitzen.

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