Pavlovic nutzte die Chance, die Stiller nie bekam: Deutschlands Doppelsechs der Zukunft und ihre spezielle Geschichte

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Aktuell sind Robert Andrich und Pascal Groß eine tadellose Doppelsechs-Besetzung für die deutsche Nationalmannschaft. Bei der 5:0-Gala gegen Ungarn zeigte sich erstmals aber auch die mögliche Zukunft. Aleksandar Pavlovic und Angelo Stiller absolvierten wichtige Schritte. Die beiden gebürtigen Münchner eint eine Vergangenheit in der Jugend des FC Bayern - mit grundverschiedenem Ausgang.

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Womöglich geht die 82. Minute dieser 5:0-Gala gegen Ungarn als Beginn von Deutschlands Mittelfeld-Zukunft in die Geschichte ein. Aleksandar Pavlovic war schon etwas früher für Pascal Groß eingewechselt worden, dann brachte Bundestrainer Julian Nagelsmann auch noch Angelo Stiller für Robert Andrich. Rund zehn Minuten lang durften Pavlovic und Stiller auf der Doppelsechs zusammenspielen, für beide bedeuteten die Einsätze große Schritte.

Pavlovic band sich gemäß FIFA-Statuten mit seinem ersten Pflichtspieleinsatz fest an die deutsche Nationalmannschaft. Bisher hätte er trotz seines Debüts im EM-Testspiel gegen die Ukraine theoretisch noch zum serbischen Verband wechseln können. Das Heimatland seines Vaters buhlte im Frühling intensiv. Seine finale Entscheidung für den DFB feierte Pavlovic mit seinem ersten Länderspieltor.

"Er hat ein super Spiel gemacht", lobte Nagelsmann. "Er kam rein und war direkt sehr dominant. Er verkörpert schon sehr, sehr viel von dem, was ich mir auf der Sechs vorstelle." Selbiges gilt für Stiller, der erstmals im Kader steht und gegen Ungarn sein Länderspieldebüt feierte. Schon im Vorfeld hatte Nagelsmann die beiden stets in einem Atemzug mit Pascal Groß genannt, als es um die Nachfolge des zurückgetretenen Toni Kroos ging.

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Deutschlands Mittelfeld: Die Zeit nach den Platzhirschen

Die Besetzung der Mittelfeld-Zentrale ist die wohl kniffligste Aufgabe, die Nagelsmann bis zur Weltmeisterschaft 2026 zu lösen hat. Jahrelang hatte es auf dieser neuralgischen Position in der Nationalmannschaft mehr Platzhirsche als Plätze gegeben. Plötzlich aber sind sie alle weg. Genau wie Kroos beendete auch Ilkay Gündogan nach der EM seine DFB-Karriere. Joshua Kimmich spielt unter Nagelsmann rechts hinten, Leon Goretzka gar keine Rolle.

Gegen Ungarn begannen die routinierten Pascal Groß und Robert Andrich. Mit 33 respektive 29 Jahren befinden sie sich zwar schon im fortgeschrittenen Fußballeralter, mit acht respektive zehn Länderspielen sind sie aber dennoch unerfahrene Nationalspieler. Aufgrund der vielen Platzhirsche wurden beide lange übersehen und feierten erst vergangenen Herbst ihre DFB-Debüts.

Beim erstmaligen Startelf-Zusammenspiel gefiel Andrich wie gewohnt als Abräumer und Groß als mutiger Passgeber, teils sogar weiter aufgerückt als einst Kroos. Sie sind mit Blick auf die WM 2026 eine tadellose Besetzung auf der Doppelsechs. Alleine aufgrund ihres Alters wecken sie aber keine Fantasien für eine Ära, ganz anders als der 20-jährige Pavlovic und der nur drei Jahre ältere Stiller. Das junge Duo könnte auf der Doppelsechs das werden, was Jamal Musiala und Florian Wirtz auf den offensiven Flügeln bereits sind.

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"Schlag ins Gesicht": Warum Angelo Stiller den FC Bayern verließ

Beachtlich ist der Umstand, dass die beiden gebürtigen Münchner aus dem Nachwuchs des FC Bayern stammen und somit Erzeugnisse des etwa 70 Millionen Euro teuren, 2017 eröffneten Campus sind. Pavlovic wechselte einst im Alter von sieben Jahren zum Rekordmeister, Stiller mit neun. Bei den Münchner Profis durchgesetzt hat sich aber nur Pavlovic, was mit Blick auf den Werdegang der beiden im Nachwuchs überraschend anmutet.

Stiller galt als vielversprechenderes Talent, war in seinen Mannschaften stets Stammspieler und teilweise sogar Kapitän. 2020 gewann er mit der Reserve sensationell die 3. Liga und rechnete sich daraufhin Chancen auf den Sprung zu den Profis aus. Statt das Eigengewächs einzubauen, verpflichteten die Münchner mit Marc Roca und Tiago Dantas aber zwei junge ausländische Mittelfeldspieler, die sich beide nicht durchsetzen sollten. Einen "Schlag ins Gesicht" nannte Stiller die Transfers später, er sei "geschockt" gewesen.

Nach nur 64 Minuten für die Profis verließ er seinen Herzensklub im darauffolgenden Sommer und folgte seinem ehemaligen Reserve-Trainer Sebastian Hoeneß ablösefrei zur TSG Hoffenheim. Mittlerweile arbeiten die beiden erfolgreich beim VfB Stuttgart zusammen, vergangene Saison feierten sie sensationell die Vize-Meisterschaft.

Stiller gilt längst als einer der besten Sechser der Bundesliga, sein ablösefreier Abschied als einer der größten Fehler des FC Bayern in der jüngeren Vergangenheit. "So etwas wie mit Angelo Stiller sollte uns nicht mehr passieren", sagte Campus-Leiter Jochen Sauer neulich bei t-online. "Da hätten wir die Früchte unserer Ausbildungsarbeit besser ernten müssen."

Aleksandar Pavlovic, FC Bayern München
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Aleksandar Pavlovic: Sein beschwerlicher Werdegang beim FC Bayern München

Während Stiller federleicht durch den Münchner Nachwuchs glitt, holperte es beim drei Jahre jüngeren Pavlovic. Oftmals musste er sogar um einen Kaderplatz kämpfen. Exemplarisch: Stiller absolvierte 126 Pflichtspiele für diverse Jugendmannschaften des FC Bayern, Pavlovic nur 49 - bedingt aber auch durch die Corona-Pausen.

"Seine Zukunft bei Bayern stand immer wieder auf der Kippe. In der U16 befand er sich am Scheideweg", erinnert sich sein damaliger Trainer Danny Schwarz bei SPOX. Fußballerisch überzeugte Pavlovic zwar meist, seine körperliche Entwicklung stockte aber gehörig. Erst in der U19 drehte Pavlovic auf und empfahl sich für den umgehenden Sprung zu den Profis.

Beinahe wäre ihm vergangenen Sommer aber das gleiche Schicksal wie einst Stiller widerfahren. Trainer Thomas Tuchel wollte unbedingt eine externe Verstärkung für die Sechs, ein Transfer von Wunschspieler Joao Palhinha zerschlug sich aber am Deadline Day spektakulär. Als kurz darauf Kimmich gesperrt fehlte und sich Goretzka verletzte, nutzte Pavlovic die große Chance, die Stiller nie bekommen hatte.

Mit einem Jahr Verspätung kam Palhinha doch noch für 51 Millionen Euro vom FC Fulham. In den bisherigen drei Pflichtspielen der Saison saß er aber nur auf der Bank, Trainer Vincent Kompany gab Pavlovic den Vorzug. In der vergangenen Rückrunde hatte er sich zum Stammspieler aufgeschwungen, beeindruckte beispielsweise beim Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid im Estadio Santiago Bernabeu und schaffte es in den vorläufigen EM-Kader.

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"Nicht wie junge Zampanos": Nagelsmann lobt Pavlovic und Stiller

Eine Turnier-Teilnahme verhinderte letztlich nur eine Mandelentzündung. Statt Stiller nachzunominieren, entschied sich Nagelsmann für den erfahrenen Emre Can - kurioserweise übrigens ebenfalls aus der Jugend des FC Bayern.

In der neuen Mittelfeld-Rangordnung fungiert Can als Abräumer-Ersatz für Andrich. Pavlovic und Stiller gelten beide eher als Herausforderer von Groß, der neuerdings sogar dem Mannschaftsrat angehört. Mit ihren Fähigkeiten dürften sich Pavlovic und Stiller aber auch gut gegenseitig ergänzen. Zu diesem Schluss kamen auch Experten wie Dietmar Hamann oder Olaf Thon, der die beiden bereits als "ideales Duo" für die WM 2026 pries.

Joshua Kimmich bescheinigte Pavlovic und Stiller zuletzt eine "brutale Entwicklung". Nagelsmann begeistern nicht nur ihre fußballerischen Fähigkeiten, sondern auch ihre Charaktere: "Es gab keinen Moment, wo sie sich schüchtern versteckt haben. Beide sind lustige Zeitgenossen, die auch die nötige Demut haben. Sie treten nicht wie junge Zampanos auf."

Deutschland in der Nations League: Die Tabelle

PlatzMannschaftSpieleToreDiff.Punkte
1Deutschland15:053
2Niederlande15:233
3Bosnien-Herzegowina12:5-30
4Ungarn10:5-50