Martin Fraisl vom FC Schalke 04 im Interview: "Ausmisten, Tiere-Füttern, Feldarbeit: Ich war permanent im Einsatz"

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Wie ging es weiter, nachdem Sie sich für den Fußball entschieden haben?

Fraisl: Ich habe keine Akademie besucht, sondern mich durch die Amateurligen in den Profifußball gearbeitet. Wenn ich irgendetwas angehe, dann mit 100 Prozent und voller Hingabe. So ist es auch beim Fußball.

Wie kann man sich das vorstellen?

Fraisl: Weil man seinen Körper nicht zehn Stunden pro Tag trainieren kann, habe ich zusätzlich visuell trainiert. Ich habe mir im Schnitt zwei Spiele pro Tag angeguckt, am Wochenende auch mal drei oder vier. Über einen Freund hatte ich Zugang zu einer Scouting-Plattform. Da konnte man die Unterbrechungen überspringen und sich nur die Nettospielzeit anschauen. Das sind pro Spiel ungefähr 60 Minuten. Außerdem bin ich kreuz und quer durch Europa gereist, um möglichst viele Spiele im Stadion zu sehen. Es ging mir immer darum, die jeweiligen Torhüter zu beobachten und mir etwas von ihnen abzugucken.

Wie haben Ihre Reisen konkret ausgesehen?

Fraisl: Meistens war ich alleine unterwegs, manchmal hatte ich noch einen Freund dabei. Ich habe versucht, mir ein Netzwerk im Fußball aufzubauen und meine Kontakte für solche Reisen zu nutzen. Über einen Freund habe ich beispielsweise Christian Fuchs kennengelernt, der mir bei einer Reise nach Leicester geholfen hat. Ich war drei Tage in der Gegend. Neben einem Leicester-Spiel habe ich mir auch ein Viertligaspiel angeguckt, außerdem war ich bei einem Training von Leicester. Da bin ich mit Stift und Zettel hingegangen und habe mir Notizen zum Verhalten von Kasper Schmeichel gemacht. Wie gibt er sich gegenüber seinen Kollegen? Wie tritt er beim Warmmachen und beim Training auf? So habe ich viel gelernt.

Haben Sie Ihre Reiseziele nur nach Keepern ausgewählt? Oder haben auch die jeweiligen Klubs und Stadien eine Rolle gespielt?

Fraisl: Es ging mir schon auch um die Stadien und die Stimmung vor Ort. Für mich ist es inspirierend, vor einem Spiel auf ein Stadion zuzugehen. Aber der Hauptgrund für einen Besuch war, welche Torhüter ich mir anschauen kann.

Wovon hing es ab, welche Keeper für Sie interessant sind?

Fraisl: Da gab es verschiedene Kriterien. Thibaut Courtois fand ich beispielsweise weniger interessant, weil er mit seiner Körpergröße von über zwei Metern ganz andere Bewegungsmuster anwenden muss als beinahe alle anderen Keeper. Ich habe mich eher nach beweglichen und dynamischen Torhütern umgeschaut.

Haben Sie ein Vorbild?

Fraisl: Gianluigi Buffon. Grande Gigi ist eine Legende! Mich fasziniert sein herzhaftes Torwartspiel. Er verkörpert absolute Hingabe zum Sport und eine unglaubliche Leidenschaft.

Wie sind Sie mit den Erkenntnissen umgegangen, die Sie bei Ihren Reisen und Spielbeobachtungen gesammelt haben?

Fraisl: Ich habe mir viel aufgeschrieben und versucht, die jeweiligen Eigenschaften in mein Torwartspiel zu implementieren. Anschließend habe ich entschieden, was zu mir passt und was nicht. Je klarer ich das herausgefunden habe, desto unwichtiger wurde mir, was andere gemacht haben.

Martin Fraisl: Seine Karrierestationen im Profibereich

ZeitraumKlubLigaPflichtspiele
2014 bis 2016SC Wiener Neustadt2. Liga (Österreich)3
2016 bis 2018Floridsdorfer AC2. Liga (Österreich)65
2018 bis 2019FC Botosani1. Liga (Rumänien)16
2019 bis 2021SV Sandhausen2. Liga (Deutschland)47
2021ADO Den Hag1. Liga (Niederlande)15
seit 2021FC Schalke 042. Liga (Deutschland)14

Sie spielten bis zum Alter von 25 Jahren beim österreichischen Zweitligisten Floridsdorfer AC, ehe Sie in die erste rumänische Liga zum FC Botosani gewechselt sind. Wie kam dieser Transfer zustande?

Fraisl: Bei einem Trainingslager mit dem FAC hatten wir ein Testspiel gegen Levski Sofia. Botosani war zeitgleich ebenfalls für ein Trainingslager in der Nähe. Weil sie damals an einem Levski-Spieler interessiert waren, haben sich ein paar Vertreter unser Testspiel angeschaut. Wie ich später erfuhr, habe ich dabei ihren Torwarttrainer mit meiner Spielweise imponiert. Daraufhin hat er mich über ein Scouting-Programm verfolgt. Als Botosani ein paar Monate später einen Torwart gesucht hat, hat er meinen Kontakt ausfindig gemacht und sich bei mir gemeldet.

Was hat Sie an Rumänien gereizt?

Fraisl: Meine langfristige Vision ist es, in einer der vier großen Ligen zu spielen. Ich weiß, dass die österreichische Bundesliga dafür nicht immer die beste Plattform ist. Aus Rumänien schaffen mehr Spieler den Sprung. Deswegen bin ich gewechselt.

Letztlich haben Sie eine Saison für Botosani gespielt, ehe Sie zum SV Sandhausen weitergezogen sind. Welches Erlebnis in Rumänien ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Fraisl: Einmal haben wir gegen den Tabellenletzten zuhause nur 0:0 gespielt. Das Verständnis von Fanseite für unseren Auftritt war nicht ganz so groß. Nach dem Spiel bin ich mit ein paar Kollegen zum Essen in ein Restaurant im Stadtzentrum gegangen. Dort hat jeder seine Speise bestellt: der eine Lasagne, der andere Nudeln oder eine Pizza. Das kam aber alles nicht, stattdessen wurde uns trockenes Hühnchen mit Reis gebracht und gesagt: "Das könnt ihr essen, mehr habt ihr nicht verdient." Also haben wir es gegessen und sind direkt nach Hause gegangen. Nach Siegen wurden wir wie Helden behandelt. Nach Niederlagen war es genau das Gegenteil.

Zum Abschluss ein ganz anderes Thema: Sie haben es sich einst zum Ziel gesetzt, Ihr Kälteempfinden abzutrainieren. Wie kamen Sie darauf?

Fraisl: Früher sind mir bei niedrigen Temperaturen immer meine Hände und Füße eingefroren. Dadurch war ich nicht mehr so reaktionsschnell, was mich gestört hat. Irgendwann habe ich durch Zufall erfahren, dass man sich sein Kälteempfinden abtrainieren kann. Das habe ich dann konsequent durchgezogen. Nach und nach habe ich immer weniger angezogen. Am Anfang war das ein Kampf. Aber mittlerweile kann ich mich bei Minusgraden mit kurzer Hose und T-Shirt draußen bewegen, ohne dass ich friere. Der Prozess hat rund zwei Jahre gedauert.

Was bekommen Sie darauf für Rückmeldungen?

Fraisl: Andere Fußballer fragen mich oft danach. Aber ich habe noch keinen kennengelernt, der das dann tatsächlich selbst versucht hat. Wenn ich einen neuen Trainer habe und er mich zum ersten Mal bei Minusgraden mit T-Shirt sieht, höre ich immer: "Was ist mit dir? Du wirst krank und kannst am Wochenende nicht spielen. Hör' auf damit!" Darauf sage ich nur: "Trainer, mach' dir keine Sorgen."