WM

Argentinien bei der WM 2022: Lionel Messi und die unbekannten Männer

Argentiniens Alexis Mac Allister spielt für Brighton & Hove Albion in der Premier League.
© getty

Argentinien wäre ein unwahrscheinlicher und logischer Weltmeister gleichermaßen. Die Albiceleste besteht zwar abgesehen von Lionel Messi größtenteils aus international betrachtet eher unbekannten Spielern - ist aber trotzdem die erfolgreichste Nationalmannschaft der vergangenen Jahre.

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Sollte sich Argentinien am Sonntag gegen Frankreich zum Weltmeister krönen, hätten künftig einige durchaus überraschende Klubs waschechte Campeones in ihren Reihen. Abgesehen von Lionel Meeessi, Meeessi, Meeessi ist niemand aus Argentiniens Halbfinal-Startelf Stammspieler bei einem der laut UEFA-Koeffizienten zehn besten Klubs Europas.

Keeper Emiliano Martinez und Alexis Mac Allister kicken für Aston Villa beziehungsweise Brighton & Hove Albion, Premier-League-Mittelständler mit Potenzial zu Abstiegskandidaten. Linksverteidiger Nicolás Tagliafico steckt mit Olympique Lyon im Tabellenmittelfeld der Ligue 1 fest. Nicolás Otamendi (einst immerhin lange bei Manchester City) und Enzo Fernández kämpfen mit Benfica zwar um einen Meistertitel - aber halt den portugiesischen.

Cristian Romero verteidigt für Tottenham Hotspur - aber natürlich nur, sofern er gerade fit ist. Nahuel Molina und Rodrigo de Paul spielen für Atlético Madrid - aber das ist nicht mehr das, was es einmal war. Leandro Paredes und Julián Álvarez stehen zwar bei den berühmten Juventus Turin und Manchester City unter Vertrag - aber zumeist eher nicht auf dem Platz.

Spieler dieser Güteklasse sind eigentlich keine Zutaten einer potenziellen Weltmeister-Mannschaft, Finalgegner Frankreich verfügt beispielsweise über eine individuell betrachtet deutlich bessere Auswahl, das längst gescheiterte Brasilien ebenfalls. Aber bei der Albiceleste trifft aktuell eine ganz wunderbare Redewendung zu: Die Mannschaft ist mehr wert als die Summe ihrer Spieler. Argentinien wäre somit zwar einerseits ein ziemlich unwahrscheinlicher Weltmeister, aber andererseits auch ein logischer.

Lionel Messis Kollegen wollen den Superstar krönen

Keine Nationalmannschaft spielte in den vergangenen Jahren konstant erfolgreicher als die argentinische. Abgesehen von der sensationellen Pleite beim WM-Auftakt gegen Saudi-Arabien liegt die letzte Niederlage dreieinhalb Jahre zurück. In der Zwischenzeit gewann die Albiceleste erstmals seit 1993 die Copa America - und somit erstmals mit Messi einen großen Titel.

"Ich habe dadurch endlich meinen inneren Frieden gefunden, nachdem er mir so lange verwehrt worden war", sagte Messi danach. Der WM-Titel wäre Messis persönliche Krönung, die ihm seine Teamkollegen unbedingt ermöglichen wollen. Es beschleicht einen gar das Gefühl, dass sie bei dieser WM noch mehr als für sich selbst vor allem für Messi kämpfen. Es ist schließlich das letzte große Turnier des 35-jährigen Superstars von Paris Saint-Germain.

Vielen aktuellen Teamkollegen diente Messi einst als Idol. Der damals 15-jährige Enzo Fernández etwa bat ihn 2016 mit einem rührenden Brief darum, seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft zu überdenken. Vielleicht trug das ein kleines bisschen zum Rücktritt vom Rücktritt bei, vielleicht auch eine Demonstration von rund 50.000 Menschen in Buenos Aires oder eine emotionale Wortmeldung des damaligen Staatspräsidenten Mauricio Macri.

Alexis Mac Allister, Julián Álvarez und Enzo Fernández: drei international betrachtet eher unbekannte Stammspieler bei Argentinien.
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Alexis Mac Allister, Julián Álvarez und Enzo Fernández: drei international betrachtet eher unbekannte Stammspieler bei Argentinien.

Grundemotionalität und aufwühlender Turnierverlauf

Die Argentinier leben von ihrer Emotionalität, in Katar zeigt sich das aktuell wieder einmal ganz wunderbar. Trotz aller Widrigkeiten und Kosten pilgerten tausende in das kleine Emirat am Persischen Golf. Katar ist fest in argentinischer Hand, keine andere Mannschaft darf sich vor Ort einer solch leidenschaftlichen und lautstarken Unterstützung wie die Albiceleste erfreuen.

Der aufwühlende Turnierverlauf befeuerte diese Grundemotionalität nur noch weiter: Die überraschende Auftaktpleite trotz Führung gegen Saudi-Arabien, der Sieg im vorentscheidenden Stimmungs-Gipfel gegen ebenfalls bestens angefeuerte Mexikaner, dann der Einzug in die K.o.-Runde gegen Polen.

Im Achtelfinale gegen Australien und im Viertelfinale gegen die Niederlande sah Argentinien dank später 2:0-Führungen schon wie der sichere Sieger aus, geriet aber jeweils noch akut ins Wanken. Gegen die Niederlande musste sich die Albiceleste sogar durch Rudelbildungen und Elfmeterschießen quälen. Im Halbfinale gelang schließlich ein souveränes 3:0 gegen Kroatien, etwas Erholung für die viel belasteten argentinischen Herzen.

Entscheidender Mann mit einem Tor und einem Assist war einmal mehr Messi, der im Laufe des Turniers insgesamt an acht von zwölf argentinischen Treffern direkt beteiligt war. So leidenschaftlich wie seine international betrachtet eher unbekannten Kollegen ihm zuarbeiten, so klinisch entscheidet er die Spiele.

Weltmeister-Startelfs: Ein Blick in die Vergangenheit

Alles ist bei Argentinien auf Kapitän Messi ausgerichtet, die anderen Stars im Kader spielen nur untergeordnete Rollen. Juves Ángel di Maria verlor seinen Stammplatz im Laufe des Turniers wegen Oberschenkelproblemen, Inter Mailands Lautaro Martinez wegen Chancenwucher. Paulo Dybala von der AS Roma kam tatsächlich erst im Halbfinale gegen Kroatien per Einwechslung zu seinem ersten Kurzeinsatz.

So auffällig wie diesmal war es wohl noch nie, aber bei Argentinien haben nominell eher unprominente Startelf-Besetzungen bei Weltmeisterschaften durchaus Tradition: 2014 stürmte die Albiceleste beispielsweise neben Messi zwar mit Stammspielern von Manchester City (Pablo Zabaleta), dem FC Barcelona (Javier Mascherano) oder Paris Saint-Germain (Ezequiel Lavezzi) ins Finale gegen Deutschland, dazwischen tummelten sich aber auch ein paar Marcos Rojos von Sporting Lissabon oder Lucas Biglias von Lazio Rom.

Bei den vergangenen Weltmeistern waren solche Fälle unterdessen nicht die Regel, sondern die Ausnahme: Frankreich vertraute im Finale von 2018 neben Stars großer Klubs auf Stuttgarts Benjamin Pavard, Deutschland 2014 auf Gladbachs Christoph Kramer sowie Schalkes Benedikt Höwedes und Spanien 2010 auf Villarreals Joan Capdevila.

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