Andries Jonker im Interview: "Louis ist der Richtige für den Job"

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© getty

Andries Jonker begleitete den alten und neuen niederländischen Nationaltrainer Louis van Gaal jahrelang als Co-Trainer, arbeitete mit ihm gemeinsam unter anderem für den FC Barcelona und den FC Bayern. Im Interview mit SPOX und Goal lässt der 58-Jährige seine Zeit mit van Gaal revue passieren.

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Außerdem berichtet Jonker von Andres Iniestas Plastiksack, weinenden Wolfsburgerinnen und einer Wette zwischen Hermann Gerland und Uli Hoeneß.

Am Dienstagabend um 20.45 Uhr (LIVETICKER) empfängt van Gaal mit der niederländischen Nationalmannschaft in Amsterdam Deutschland.

Dieses Interview erschien erstmals am 17. August 2021.

Herr Jonker, Ihr langjähriger Chef Louis van Gaal ist zum dritten Mal niederländischer Nationaltrainer. Waren Sie von der Entscheidung überrascht?

Andries Jonker: Nein, das hat mich nicht überrascht. Holland war seit 2012 abgesehen von dieser EM nur bei einem großen Turnier vertreten, bei der WM 2014 in Brasilien unter Louis van Gaal. Das sagt zwei Sachen über unseren Fußball aus: Holland ist seit knapp zehn Jahren nicht mehr Spitze und wir haben nur einen Trainer, über dessen Fußball-Kompetenz es keine Diskussion gibt. Das ist Louis van Gaal. Es gibt zwar viele Diskussionen über seinen Charakter, aber das hat nichts mit Fußball zu tun. Wenn es um Fußball geht, sind alle mit ihm einverstanden. Louis ist der richtige für den Job.

Hat er Sie gefragt, ob Sie wieder sein Co-Trainer werden wollen?

Jonker: Nein und damit hatte ich auch nicht gerechnet. Ich war seit unserer Zeit beim FC Bayern nicht mehr sein Co-Trainer. Bei der WM 2014 war ich Teil seines achtköpfigen Analyse-Teams, obwohl ich zeitgleich im Klubfußball tätig war. In jenem Sommer bin ich von Wolfsburg zu Arsenal gewechselt. Zum Glück waren beide Klubs mit der Tätigkeit einverstanden. Als Louis die Nationalmannschaft nach der WM verließ, hat er mit Danny Blind vereinbart, dass er sein Co-Trainer wird, sollte sich noch einmal die Möglichkeit ergeben. So ist es jetzt auch gekommen.

Wie verhält sich van Gaal auf der Trainerbank?

Jonker: Louis sitzt immer ganz ruhig da und schaut sich genau an, was passiert. An die Seitenlinie geht er nur in Ausnahmesituationen. Seiner Meinung nach kann er die Spieler während eines Spiels in einem vollen Stadion nicht erreichen. Dafür tauscht er sich auf der Bank viel mit seinen Assistenten aus. Louis hat mich immer gefragt, was ich sehe, was ich denke und was ich vorschlagen würde.

Haben Sie einen Moment in Erinnerung, bei dem er an der Seitenlinie trotzdem emotional geworden ist?

Jonker: Da fällt mir sein berühmter Karate-Tritt beim Champions-League-Finale 1995 zwischen Ajax und dem AC Milan ein, wobei ich damals noch nicht sein Co-Trainer war. Das Video wird in Holland bis heute oft gezeigt, weil man Louis selten so ausrasten sieht. Er war überhaupt nicht einverstanden mit dem Schiedsrichter und musste das rauslassen. Normalerweise kritisiert er den Schiedsrichter oder den vierten Offiziellen während eines Spiels nicht. Louis ist der Meinung, dass das eher einen negativen Einfluss auf dessen Entscheidungen hat.

Wie kann man sich van Gaals Halbzeit-Ansprachen vorstellen?

Jonker: Auch da ist er ruhig, obwohl er sehr laut spricht. Louis rastet nie aus, schimpft oder flucht auch nie. Er sagt den Spielern nicht, dass sie kämpfen sollen. Das ist seiner Meinung nach eine Grundvoraussetzung. Bei seinen Ansprachen geht es immer nur um Fußballinhalte. Dabei sind seine Ansagen sehr klar und verständlich, danach haben die Spieler nie Nachfragen. Jeder weiß, was von ihm erwartet wird.

Gibt es eine Ansprache, mit der Sie van Gaal überrascht hat?

Jonker: Ja, nach dem 5:1-Sieg gegen Spanien bei der WM 2014. Normalerweise legt Louis bei seinen Ansprachen den Fokus auf mögliche Verbesserungen. Nach diesem Spiel ging es aber nur um die positiven Aspekte. Das hat mich sehr überrascht. Ich habe ein paar Stunden darüber nachgedacht und dann seinen Punkt verstanden: Bei einem Turnier hat man innerhalb weniger Tage viele Spiele. Da gibt es keine Zeit, die Mannschaft Schritt für Schritt zu verbessern. Obwohl diese Ansprache seiner eigenen Philosophie widersprochen hat, hat sie in dem Moment Sinn ergeben.