Andries Jonker im Interview: "Louis ist der Richtige für den Job"

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Im April wurde van Gaal entlassen, Sie übernahmen das Traineramt interimistisch. Wie lief die Kommunikation ab?

Jonker: Einige Minuten nach Louis' Entlassung wurde ich gefragt, ob ich die Mannschaft bis zum Saisonende übernehmen möchte. Ich habe Louis gefragt und er hat mir empfohlen, das Angebot anzunehmen. Dann habe ich mit den Kapitänen Basti (Schweinsteiger, Anm. d. Red.) und Philipp (Lahm, Anm. d. Red.) gesprochen. Sie meinten, dass ich die beste Lösung sei. Erst als das alles geklärt war, habe ich zugesagt. Ansonsten hätte ich es nicht gemacht.

Wie eng war in den darauffolgenden Tagen Ihr Kontakt mit van Gaal?

Jonker: Am Anfang haben wir viel miteinander gesprochen. Ich habe ihm erklärt, was ich vorhabe, und ihn um seine Meinung gefragt. Letztlich habe ich es aber auf meine Art gemacht, meine eigenen Entscheidungen getroffen.

Zum Zeitpunkt des Trainerwechsels war die Champions-League-Qualifikation in Gefahr, die Ihnen letztlich doch noch gelungen ist. Wie sind Sie die Aufgabe angegangen?

Jonker: Als erstes habe ich die Medienabteilung gebeten, ob sie einen schönen Film von unseren Erfolgen in der Vorsaison machen könnte. Den habe ich den Jungs gezeigt und sie dann gefragt, ob sie wieder gegen Manchester United spielen wollen oder lieber gegen Slovan Liberec. Daraufhin haben sie alles gegeben.

Wie kamen Sie ausgerechnet auf Slovan Liberec?

Jonker: Ich habe einem Verein gesucht, der keinen großen Namen hat, bei dem du aber schon vorher weißt, dass es trotzdem kein einfaches Spiel wird. Da ist mir als erstes Slovan Liberec eingefallen.

Duelle mit Slovan Liberec wurden vermieden. Statt die Profis in der Champions League, trainierte Sie aber anschließend ein Jahr lang die Reserve. Dann wurden Sie Co-Trainer von Felix Magath beim VfL Wolfsburg. Wie kam diese Tätigkeit zustande?

Jonker: Laut Felix müssen teure Profis schon Fußball spielen können und in dieser Hinsicht nicht mehr trainiert werden. Seine Grundannahme ist aber, dass Fußballer faul und mental schwach sind. Deshalb ging es ihm persönlich eigentlich nur darum, die Spieler mental und körperlich vorzubereiten. Als er mich angerufen hat, meinte er, dass es in seinem Staff niemanden gäbe, der sich mit den Spielern gut versteht und sie fußballerisch besser macht. Er habe gehört, dass auf mich beides zutrifft. Deshalb wollte er mich haben.

Andries Jonker mit Louis van Gaal und Hermann Gerland im August 2009.
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Andries Jonker mit Louis van Gaal und Hermann Gerland im August 2009.

Inwiefern hat sich die Zusammenarbeit mit Magath und van Gaal unterschieden?

Jonker: Sie verfolgen gänzlich unterschiedliche Philosophien. Bei Louis wusste ich Wochen im voraus genau, was an jedem Tag zu tun ist. Bei Felix musste ich jeden Tag nachfragen: Was machen wir morgen? Damit wollte er erreichen, dass jeder jeden Tag aufmerksam ist. In der Trainingsarbeit liegt der Fokus bei Louis im fußballerischen und bei Felix im physischen und mentalen Bereich

Nach Magaths Abschied arbeiteten Sie auch unter Lorenz-Günther Köstner und Dieter Hecking als Co-Trainer in Wolfsburg. Dann wechselten Sie in den Nachwuchsbereich des FC Arsenal, ehe Sie 2017 für ein halbes Jahr als Cheftrainer nach Wolfsburg zurückkehrten. Wie kam es dazu?

Jonker: Es waren noch viele Spieler von meiner ersten Zeit im Klub da. Sie sind offenbar zu den Bossen gegangen und haben gesagt, dass ich die perfekte Lösung als neuer Trainer wäre.

Sie übernahmen die Mannschaft auf Platz 14 und führten Sie über die Relegation zum Klassenerhalt.

Jonker: Wir hatten eine talentierte Truppe, leider hat aber keiner außer Mario Gomez Tore geschossen. Viele haben im Kopf um Europa gespielt, obwohl es nur gegen den Abstieg ging. Entscheidend für den Klassenerhalt waren letztlich kämpferische Typen wie Wollscheid, Guilavogui, Knoche, Gomez, Luiz Gustavo oder Benaglio.

Welche Erinnerungen haben Sie an die Relegation gegen den Rivalen Eintracht Braunschweig?

Jonker: Ich habe mich sehr über die Aggression in der Gegend gewundert. Damit hatte ich nicht gerechnet. Bei einem Training sind einige Frauen aufgetaucht, die ich noch nie gesehen hatte und die eigentlich nichts mit Fußball zu tun hatten. Sie haben mir erzählt, dass die Stimmung in ihrem Büro wegen des drohenden Abstiegs sehr angespannt ist, dass sie von Kollegen provoziert wurden und es fast zu einer Schlägerei gekommen ist. Deshalb haben sie von mir verlangt, dass ich einen Sieg verspreche. Ich habe gesagt, dass ich das gerne tun würde, aber nicht könne, weil es ein Spiel ist. Dann haben die Frauen angefangen zu weinen. In diesem Moment habe ich gespürt, wie wichtig es für die Stadt Wolfsburg war, diese Spiele zu überleben.

Im restlichen Deutschland werden gerne Witze über die vermeintliche Trostlosigkeit der Stadt Wolfsburg gemacht.

Jonker: Leute, die so etwas sagen, sind sehr verwöhnt. Es gibt in Wolfsburg alles, was man braucht - und viel schlechtere Orte auf der Welt.