Unvorbereitet. Undurchsichtig. Unwürdig.

Philipp Lahm beendet nach der Saison seine Karriere
© getty

Die Verkündung von Philipp Lahms Karriereende überlagerte am Dienstagabend den 1:0-Sieg des FC Bayern über den VfL Wolfsburg im Achtelfinale des DFB-Pokals. Die Bekanntgabe begann mit einer Schlagzeile, produzierte dann viele Widersprüche, entwickelte sich zum Chaos und wird dem Weltmeister von 2014 in keinster Weise gerecht.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Große Sportler verdienen einen großen Abschied. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die Entscheidung, seine Karriere zu beenden, eine sehr emotionale ist. Es sind auch die Verdienste des Athleten, denen noch einmal Respekt gebührt.

Es gibt viele Möglichkeiten, einen Rücktritt zu inszenieren und publik zu machen. Vor einer Woche wählte Frank Lampard eine recht schlichte: Nach 21 Jahren Profifußball gab er sein Karriereende via Instagram bekannt. Ein nostalgisches Bild, viele ehrliche Worte. Nicht spektakulär, aber auch nicht minder ergreifend.

Philipp Lahm blieb diese ehrenvolle Verkündung verwehrt.

Abend der Widersprüche

Der Abend der Widersprüche und (Un-)Klarheiten begann am Dienstag kurz vor Anpfiff des Pokal-Achtelfinals zwischen den Bayern und Wolfsburg. Der Paukenschlag kam von der Sport Bild, die den Headliner ihrer Mittwoch-Ausgabe veröffentlichte: "Lahm: Schluss mit Bayern. Der Kapitän beendet im Sommer seine Karriere und steht auch nicht als Sportdirektor zur Verfügung", lautete die überraschende Meldung. Der erste Rückschlag des FCB an diesem Abend.

Via Mundpropaganda verbreitete sich noch vor Spielbeginn die Information, Lahm gebe seinen Rücktritt nach der Partie offiziell bekannt. Der Bayern-Kapitän stand zu dieser Zeit bereits mit seinen Teamkollegen im Spielertunnel und bekam vom Trubel um seine Person vermutlich nichts mit.

Lahm spielte 90 Minuten durch und stach dabei heraus. Vor allem in der Anfangsphase der Partie demonstrierte er im Zusammenspiel mit Arjen Robben seine Wichtigkeit für den Klub. Es war eines seiner besten Spiele seit langem.

Dementi von Hoeneß

Die letztlich sehr fade Achtelfinal-Partie war nach Spielschluss kein Thema mehr. Lahm war das einzige. Wie viel er selbst zu diesem Zeitpunkt schon von den Enthüllungen der Sport Bild wusste, ist nicht bekannt. Seine Mitspieler jedenfalls beteuerten, nichts von alledem gehört zu haben.

Die Antwort konnte und sollte an diesem Abend nur Lahm selbst geben. Doch der entzog sich am Spielfeldrand erst einmal den Mikros und Kameras und verschwand in der Kabine. Vermutlich wird er dort auch nicht gesehen haben, wie Uli Hoeneß erst zur ARD, dann bei Sky sprach.

"Ich kann dazu nur sagen, dass er mir das nicht mitgeteilt hat", sagte der offensichtlich kochende Bayern-Präsident: "Solange keine klare Entscheidung bekanntgegeben worden ist, kann ich mich jetzt doch nicht diesen Spekulationen anschließen. Wenn eine Zeitung das ohne Nennung von Quellen raushaut, dann kann ich dazu nichts sagen. Dann sollen sie schreiben, wer ihnen das gesagt hat, dann kann ich mich dazu äußern."

Bestätigung von Lahm

Währenddessen schritt Thomas Müller durch die Mixed Zone. Vorbei an vielen Kameras, Smartphones und Mikrofonen. Grinsend. "Er kommt gleich", sagte der Nationalspieler und ging weiter. Jeder wusste, dass Lahm gemeint war. Müller wirkte, als wüsste er Bescheid. Der erste Widerspruch zu Hoeneß' Aussagen. Wenige Schritte später blieb Müller doch noch stehen und tat seinen Unmut kund - es passte ins Gesamtbild des Abends.

Dann kam tatsächlich Lahm. Und mit ihm viele Widersprüche.

Entgegen Hoeneß' Äußerungen sagte der Kapitän: "Ich habe den Verantwortlichen Bescheid gegeben, dass ich am Ende der Saison aufhöre, Fußball zu spielen. Ich habe die Gründe auch schon häufiger genannt: Ich sehe meinen Führungsstil so, dass ich jeden Tag das Beste und immer alles gebe. Ich glaube, dass ich dazu fähig bin, das in dieser Saison bis zum Ende abzuliefern, aber nicht darüber hinaus. Deswegen ist für mich klar, dass ich im Sommer aufhören werde."

Lahm bestätigt Karriereende: Das komplette Interview zum Rücktritt

Hoeneß' Wortlaut wenige Augenblicke zuvor: "Wir haben mit Philipp mehrere Gespräche geführt. Da ist überhaupt keine Entscheidung gefallen. Falls sich das in den letzten 24 Stunden verändert haben sollte, dann werden wir das in den nächsten Tagen schon erfahren."

Lahm mit FCB-Angebot nicht zufrieden?

In ziemlich jedem Punkt widersprachen sich die Aussagen. "Es ist so, dass es Gespräche gab, an deren Ende ich beschlossen habe, dass es für mich nicht der richtige Zeitpunkt ist, beim FC Bayern nach der aktiven Karriere einzusteigen", kommentierte Lahm auch die Information der Sport Bild, der Klub habe ihm 'nur' den Sportdirektor-Posten angeboten, nicht aber den des Sportvorstands.

Reaktionen zu Lahms-Karriereende - Hoeneß: "Mir hat er das nicht mitgeteilt"

Lahm wäre dadurch erst einmal ohne Sitz im Vorstand gewesen - anders als Matthias Sammer. Sein Posten wäre demzufolge vergleichbar mit dem von Christian Nerlinger gewesen. Der war von 2009 bis 2012 verantwortlich, allerdings auch ohne Platz in der Bayern-Führung. Das soll ihm nicht gereicht haben.

Unwürdige Kommunikation

Wie die Sport Bild letztlich an die detaillierten Informationen kam, ist ebenso undurchsichtig wie die Absprachen zwischen Hoeneß, Lahm und Karl-Heinz Rummenigge. Hoeneß schloss aus, dass die Meldung nach der Aufsichtsratssitzung am Montag durchgesickert sei: "Das ist schon mal ganz falsch. Die Sitzung endete gestern Abend um 21 Uhr, da war die Sport Bild schon längst im Druck." Das stimmt so allerdings nicht, die Sport Bild druckt um 23 Uhr.

Irgendein Schlupfloch muss es gegeben haben, gefunden wurde es an diesem Abend der unstimmigen Kommunikation allerdings nicht.

Wie groß das Chaos in der Personalie Lahm und wie unvorbereitet die Beteiligten auf diese Bekanntgabe allerdings waren, zeigte nicht nur der FCB selbst. Der versendete die Push-Nachricht "Kapitän Philipp Lahm kündigt Karriereende an" erst um 0.15 Uhr. Lahms Antwort auf die Frage nach der Mannschaft unterstrich das noch deutlicher: Wie hatten die Mitspieler auf seine Entscheidung reagiert? "Weiß ich nicht. Ich weiß nicht, ob alle das wissen", stammelte Lahm. Hatte er es denn überhaupt innerhalb der Mannschaft offiziell bekanntgegeben? "Nein. Ich wollte es ja sozusagen jetzt gerade bekanntgeben."

Uli Hoeneß kündigte an, an diesem Abend nicht mehr mit dem Kapitän zu sprechen: "Wir haben alle Zeit der Welt. In den nächsten Tagen werden wir das tun", sagte der Bayern-Boss. Vielleicht entschied er sich nach Lahms Interview, das fast alle seiner Aussagen entkräftete, am späten Abend doch noch um. Wie vieles, blieb aber auch das unbeantwortet.

Eine Pressemitteilung unter der Woche, eine außerordentliche Pressekonferenz oder eben auch ein emotionaler Facebook-Post hätten alledem vorbeugen können. Zumindest aber hätte es intern eine stimmige Absprache zu diesem bedeutsamen Thema geben müssen. So aber ist die Art und Weise, wie Lahms Karriereende am Dienstag publik wurde, eines Weltmeisters von 2014 und erst recht des größten Fußballklubs der Welt schlichtweg unwürdig.

Philipp Lahm im Steckbrief