Timo Werner im ersten Chelsea-Jahr: Unglücklicher Chancentod
Eins muss man Timo Werner lassen. Der 25-Jährige macht alles richtig. Er läuft unermüdlich. Er spielt mannschaftsdienlich. Er gibt sich in Interviews ob seiner Abschlussschwäche abgeklärt: "Mich haut so schnell wirklich nichts mehr um", sagte er etwa zu Sport1 und sprach davon, dass sein Fell "etwas dicker" geworden sei.
Sogar mit Humor versucht er es. Als ihn Thiago Silvas Ehefrau nach dem Halbfinal-Hinspiel gegen Real Madrid ob einer vergebenen Chance als "Wurm" tituliert hatte, nur um schnell zurückzuziehen und ihn eine Woche später überschwänglich zu loben, stellte Werner fest: "Es ist das schönste, wenn die Frauen daheim zufrieden sind." Und ja, er sei im Hinspiel ja auch der "Depp" gewesen.
Leider macht Werner dieser Tage nur abseits des Platzes alles richtig. Auf dem Platz läuft er vor allem unermüdlich ins Abseits - oder auf die falsche Spielfeldseite. Spielt so mannschaftsdienlich, dass er abspielt wenn er schießen und schießt wenn er abspielen sollte. Und wenn er mal trifft, dann ist es gefühlt immer Abseits, Handspiel oder gleich beides.
"Für mich war es die unglücklichste Saison, die ich jemals hatte und wohl auch haben werde, denn schlimmer kann es nicht werden", stöhnte er nach dem 2:1 gegen Leicester City, als seine Treffer zum wiederholten Male nicht zählen wollten.
Auf der Insel gibt es kein Äquivalent zum deutschen Begriff "Chancentod", sonst hätte ihn Werner wohl längst weg. Stattdessen zeigt sich in den sozialen Medien ein Mix aus Mitleid und Belustigung - wobei das Unverständnis darüber, dass Trainer Thomas Tuchel seinem Landsmann eisern die Treue hält und für Tammy Abraham teilweise nicht einmal mehr Platz im Kader ist, durchaus wächst.
Timo Werner: Er spielt auch für Bundestrainer Jogi Löw vor
Da hilft es nicht, dass Werner darauf verweisen kann, dass er mit 12 Toren und 15 Vorlagen Chelseas bester Scorer ist. Sein Selbstvertrauen ist im Keller, man sieht es an fast jeder Aktion, an fast jedem Abschluss. Dazu kommt: Niemand ärgert sich so telegen über vergebene Chancen wie der normalerweise so treuherzig dreinschauende Werner. Dass er den Killerinstinkt vor dem Tor hat, hat er in Leipzig zur Genüge bewiesen. Ansehen kann man ihn dem Deutschen nicht.
Der Druck im Champions-League-Finale wird immens sein, schließlich spielt Werner - so er denn in der Startelf steht - nicht nur für die wichtigste Trophäe im Vereinsfußball, sondern auch gegen die Notwendigkeit eines teuren Neuzugangs im Angriff bei den Blues (Harry Kane?). Und für einen Startplatz unter Bundestrainer Joachim Löw im anstehenden Kontinentalturnier.
Andererseits hat Werner schon Schlimmeres weggesteckt, man denke nur an die fast schon bundesweiten Schmähgesänge nach seiner Schwalbe 2016 im Trikot des VfB Stuttgart. Und er hat am Samstag die Möglichkeit, das letzte Kapitel einer recht verkorksten Saison selbst zu schreiben. Schießt er die Blues zum Sieg, sind die vergebenen Großchancen der letzten Wochen und Monate auf einen Schlag ausgelöscht.