Hoffenheims Videoanalyst Benjamin Glück im Interview: Von Taktiktafel bis Virtual Reality

Von Robin Haack
Benjamin Glück
© imago

Ob Virtual Reality, Trainingsbeobachtung per Drohne oder doch die klassische Taktiktafel - bei der TSG Hoffenheim schöpfte Trainer Julian Nagelsmann aus dem Vollen, wenn es um Taktik und Analyse geht. Nicht umsonst eilt dem 31-Jährigen der Ruf eines absoluten Taktik-Nerds voraus, schließlich wechselt er regelmäßig mehrfach während eines Spiels die Grundordnung seines Teams.

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Nagelsmanns wichtigster Helfer in Bezug auf die Eigen- und Gegeneranalyse ist Videoanalyst Benjamin Glück, der schon seit der U19 an seiner Seite ist und den Coach zur kommenden Saison auch zu RB Leipzig begleiten wird.

Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Glück über seinen Weg vom Kreisligatrainer ohne besondere Taktikaffinität bis in die Bundesliga und erklärt ausführlich, wie Videoanalyse in Deutschlands höchster Spielklasse funktioniert.

Herr Glück, Sie haben Sport und Mathematik auf Lehramt studiert. Nun arbeiten Sie als Videoanalyst bei der TSG Hoffenheim. Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Karriereweg?

Benjamin Glück: Durch meinen Onkel, der in der Nähe von Sinsheim wohnt. Im Rahmen meines Sportstudiums musste ich ein Praktikum bei einem Sportverein absolvieren und mein Onkel hat mir ans Herz gelegt, mich bei der TSG Hoffenheim zu bewerben. Das hat tatsächlich geklappt und ich habe mir fünf Wochen angeschaut, wie im Nachwuchsleistungszentrum gearbeitet wird. Damals habe ich aber im Vergleich zu heute wenig Videoanalyse betrieben, sondern eher Bälle aufgepumpt oder Garagen aufgeräumt. (lacht)

Wann begannen Sie mit der Analyse?

Glück: Der damalige NLZ-Leiter und heutige Direktor Profifußball, Alexander Rosen, hat mich nach meinem Praktikum gefragt, ob ich zu einem späteren Zeitpunkt wiederkommen möchte. Als ich mein Examen in der Tasche hatte, habe ich mich also bei ihm gemeldet und er bot mir ein weiteres Praktikum an. Diesmal in der Abteilung Scouting und Spielanalyse bei den Profis. Dieses Angebot habe ich sofort angenommen, weil ich wusste, dass ich wahrscheinlich nicht so schnell wieder die Chance bekommen würde, bei einem Profiklub zu arbeiten. Im Anschluss bekam ich eine Festanstellung bei der U19.

Waren Sie schon zu Ihrer aktiven Zeit als Amateurfußballer ein Taktik-Nerd?

Glück: Das würde ich nicht behaupten. Ich war zwar selbst auch Trainer beim SV Olhstadt, aber ohne großen taktischen Background. Ich habe mir damals nicht mehr Gedanken über Grundordnungen gemacht als meine Kollegen in anderen Vereinen. Die Affinität für Taktik habe ich erst in meiner Anfangszeit bei der U19 der TSG entwickelt, nachdem ich Julian Nagelsmann begegnet bin.

Was haben Sie von Nagelsmann gelernt?

Glück: Er war damals U19-Trainer. Wir haben sehr eng zusammengearbeitet, ich habe viel Input von Julian bekommen und enorm von ihm profitiert. Zu dieser Zeit haben wir uns viele Spiele gemeinsam angeschaut und kommende Gegner der U19 analysiert. Gerade dabei habe ich sehr viel gelernt und alles aufgesaugt. Wenn man so will, stammt ein großer Teil meines Knowhows aus der Zusammenarbeit mit Julian.

Es gibt mit Sicherheit schlechtere Lehrmeister.

Glück: Es ist immer gut, wenn der Cheftrainer und der Analyst eng zusammenarbeiten und dieselbe Denkweise entwickeln. Das ist bei Julian und mir der Fall. Wir harmonieren sehr gut und er weiß, dass er sich auf mich verlassen kann.

Schauen Sie Fußballspiele inzwischen anders als noch vor Ihrer Zeit bei der TSG?

Glück: Bei Weltmeisterschaften oder Spielen, die für uns nicht von Belang sind, lasse ich mich auch mal berieseln und analysiere nichts. Wenn ich aber in der Bundesliga eine Begegnung unseres nächsten Gegners schaue, achte ich auch in meiner Freizeit sehr auf Details. Gleiches gilt für internationale Spiele, bei denen ich immer versuche, zu analysieren, wie dort taktisch agiert wird.

Also können Ihre Kumpel nach wie vor entspannt mit Ihnen Fußball schauen?

Glück: Definitiv. Da mich mein Job häufig so sehr einspannt, dass wenig Zeit für private Dinge bleibt, geht es mir an Fußballabenden mit meinen Freunden weniger um den Fußball.

Haben Sie ein spezielles Schema, nach dem Sie Spiele zu Analysezwecken schauen?

Glück: Nicht direkt. Bei der Gegneranalyse gibt es kein Schema, aber ich teile das Spiel in die Phasen "Spiel mit dem Ball", "gegnerischer Ballbesitz", "Umschalten nach Ballverlust" und "Umschalten nach Balleroberung" ein. In erster Linie geht es in der Analyse darum, herauszufinden, wo einem der Gegner in eigenem Ballbesitz Räume bietet und wo man in gegnerischem Ballbesitz die Chance hat, Zugriff aufs Spiel zu bekommen, um den Ball zu erobern. Bei der Gegneranalyse geht man sehr lösungsorientiert vor, indem man Räume definiert, die spielentscheidend sein können und Stärken und Schwächen des Gegners aufdeckt.

Wie läuft die Analyse des eigenen Spiels ab?

Glück: Bei der Eigenanalyse geht es darum, zu kontrollieren, wie die Mannschaft den Plan umgesetzt hat, der vom Trainerteam vorgegeben wurde. Darüber hinaus wird darauf geachtet, ob die Spieler die generellen Inhalte umgesetzt haben, die wir in der Sommervorbereitung definiert haben. Dabei geht es um das individuelle und mannschaftliche Verhalten in unterschiedlichen Spielphasen. Zusätzlich gehen wir auch auf spezielle Schwerpunkte ein, die im eigenen Spiel auffällig waren. Bekommt man beispielsweise sechs Konter, wird die Kontersicherung angesprochen und analysiert. Bekommt man keinen Zugriff auf das Spiel, wird auf das Anlaufverhalten eingegangen.

Wie sieht eine normale Woche in Ihrem Beruf aus?

Glück: Bis vor zwei Jahren habe ich die Analyse komplett allein betrieben, daher blieb leider zu selten Zeit, unsere Trainingseinheiten zu beobachten. Nun haben wir einen zweiten Mitarbeiter aus der Jugend hochgezogen, der mich etwas entlastet. Gerade in englischen Wochen ist die Taktung heftig und es bleibt wenig Zeit, weil die Vorbereitung auf den kommenden Gegner Vorrang hat.

Sie sitzen also am Schreibtisch, schauen sich Spielszenen an und bereiten Präsentationen für den Trainer und die Spieler vor.

Glück: In einer normalen Woche schon. In der Vorbereitung bin ich aber auch viel auf dem Platz und filme Trainingseinheiten, um den Jungs Feedback geben zu können. Zusätzlich bin ich auch während der Saison bei jedem Elf-gegen-elf dabei, bei dem es um die Spielweise des kommenden Gegners geht. Ansonsten sitze ich viel vor dem PC und schaue unglaublich viel Fußball.

Sind Sie das Fußballschauen manchmal leid?

Glück: (lacht) Ich liebe meinen Job, habe aber nichts dagegen, zwischendurch auch mal abzuschalten - zum Beispiel an Weihnachten. Gerade, wenn man zuvor international vertreten war, war es zum Teil enorm anstrengend. Schon auf dem Weg zum Auswärtsspiel am Dienstag muss man sich mit dem Gegner des Wochenendes auseinandersetzen, um es zeitlich einigermaßen hinzubekommen. Auf dem Rückflug geht es dann weiter - da ist schon die eine oder andere Nachtschicht dabei. Eine 40-Stunden-Woche wie andere Arbeitnehmer ist in meinem Beruf Utopie. Im Vergleich dazu arbeiten in der Profi-Abteilung des FC Bayern sieben Analysten. Dort kann man die Aufgaben mit Sicherheit anders aufteilen.

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