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NFL - Jon Gruden bei den Oakland Raiders: Willkommen im Jahr 1998

Von Pascal De Marco
Jon Gruden coachte die Oakland Raiders von 1998 bis 2001.
© getty

Seit Jon Grudens Ankunft bei den Oakland Raiders stellen sich Football-Fans bei der Franchise aus Kalifornien mehr Offseason-Fragen als irgendwo sonst. Wohin führt der Coach, der mit dem teuersten Vertrag aller Zeiten ausgestattet wurde, das Team? Welchen Sinn machen seine Personalentscheidungen und überhaupt: Ist Gruden nach zehn Jahren ohne Coaching überhaupt noch fit für die NFL?

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Am liebsten sollte sich alles ändern bei den Männern in Silber und Schwarz. Die Raiders entschieden sich im Januar den im Gesamtumfang größten Vertrag aller Zeiten an ESPN-Experte Jon Gruden auszuhändigen. Er, der die Franchise um die Jahrtausendwende zu ihrer letzten Hochzeit pushte und seine schier grenzenlose Passion für das Spiel mit seiner energiegeladenen Art und einem stets knallroten Kopf zum Ausdruck brachte.

Eine Hochzeit, die allerdings ohne den ersehnten Super-Bowl-Erfolg endete. Den holte Gruden nämlich im ersten Jahr nach seiner Amtszeit in Oakland. Diese wurde damals auf eine für Trainer ungewöhnliche Art und Weise beendet. Und zwar durch einen Trade.

Zwei Erst- und zwei Zweitrundenpicks erhielten die Raiders aus der Westküste Floridas für die Dienste des aufbrausenden Coachs. Ausgerechnet im Super Bowl der anschließenden Saison hieß das Duell dann Raiders gegen Buccaneers, mit dem besseren Ende für die Piraten. Die Raiders sind seit dem Abschied Grudens nur noch zweimal in die Playoffs gekommen und haben den Trade im Nachhinein wohl bereut.

"Sechs Jahre lang bin ich ihm hintergelaufen"

Nicht anders ist es zu erklären, dass man seit Jahren verzweifelt versucht, den ehemaligen Head Coach als Heilsbringer zurück zu holen. "Sechs Jahre lang bin ich ihm hinterhergelaufen", erklärte Eigentümer Mark Davis lachend auf der Vorstellungs-PK von Gruden. Seit sechs Jahren besuchte Davis den Ex-Coach in der Offseason in Tampa und versuchte ihn zurückzuholen. Davis sagte ihm, dass er seine "Zeit verschwendet", in jeder Minute, in der er nicht coacht.

Doch Worte alleine reichten nicht, um Gruden aus dem gemütlichen TV-Studio zu locken, während dieser die Arbeit verrichtete, die ihn schon als Coach am meisten auszeichnete: Football-Tapes zu studieren. Überzeugungshilfe leisteten stattdessen ein Arbeitskontrakt über zehn Jahre mit dem Volumen von sage und schreibe 100 Millionen Dollar. Der mit Abstand größte Vertrag, der einem Coach jemals ausgehändigt wurde.

Gruden sagte zu und verlieh der Franchise einen kurzzeitigen Hype, der eine vollkommen enttäuschende Saison scheinbar vergessen machen ließ. Diejenigen, die ihr Gesicht Sonntags aber nicht in schwarz- und silberner Farbe zieren, stellten sich stattdessen berechtigte Fragen.

Hat sich das Spiel nach neun Jahren Media-Tätigkeit an ihm vorbeientwickelt? Wie wird der eher ruhige und religiöse Derek Carr mit dem notorisch vulgär fluchenden Gruden klarkommen? Und wie wird Grudens nachgesagter Old-School-Style zu den eitlen Athleten der Neuzeit passen?

Jon Gruden: Ein Coach aus dem Steinzeitalter?

Schon Grudens erste Worte ließen vermuten, welch großer Umbruch der Franchise zum einen bevorsteht und wie groß die Fallhöhe sein wird, in welche man sich zum anderen durch den riskanten Deal begeben hat. "Ich will das Spiel zurück nach 1998 bringen", erklärte Gruden nämlich und ließ den Großteil aller von der Technologie und der Entwicklung des Spiels überzeugten Fachverständigen die Hände vor dem Gesicht zusammenschlagen.

Doch was wollte Gruden damit überhaupt sagen?

Die Öffentlichkeit interpretierte die von Gruden gewählten Worte wohl als Unwille, sich an das moderne Spiel anzupassen. Gruden würde noch im Steinzeitalter leben und das Spiel hätte sich schon lange an ihm vorbei entwickelt.

Jeder Offseason-Move und jedes Wort, das Gruden aussprach, wurde von nun an genauestens unter die Lupe genommen und in die Waagschale gelegt. Seine dann getroffenen Personalmaßnahmen sollten schließlich eher den Kritikern zustimmen, hat Gruden doch zahlreiche ältere Spieler verpflichtet und wenig Atemberaubendes bestellt.

Als ihn ein Journalist während der Free Agency kritisch auf seine Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem "1998"-Zitat ansprach, entgegnete Gruden sauer: "Sie nehmt das komplett aus dem Kontext. Ich weiß, dass ihr Journalisten damit eine Menge Spaß habt", und stellte klar: "Wir haben 1998 eine Menge Veteranen verpflichtet, die harte Jungs und Leader auf ihren Positionen waren. Wir wollen die Arbeitsmoral von '98 zurückbringen und darauf freue ich mich!"

"Sorry, aber ich mag Tight Ends einfach"

Die Raiders trennten sich in der Offseason von den Wide Receivern Michael Crabtree und Cordarelle Patterson. Marquette King wurde ebenfalls entlassen, offenbar weil Gruden wenig Gefallen an dessen Verhalten auf dem Spielfeld gefunden hatte, welches den Raiders zahlreiche 15-Yard-Strafen einhandelte.

Gekommen sind eine ganze Menge der angesprochenen Veteranen. 15 Spieler, die mindestens fünf Jahre in der Liga gespielt haben und zehn, die bereits 30 Jahre oder älter sind. Die Highlights in Sachen Neuzugänge sind Jordy Nelson und Martavis Bryant. Doug Martin kam nach mehreren enttäuschenden Jahren aus Tampa Bay und soll gemeinsam mit Marshawn Lynch Fokuspunkt der von Gruden gerne praktizierten Power-Offense werden.

Aus diesem Grund installiert er auch viele Sets mit Blocking Tight Ends und Full Backs und musste sich selbstverständlich auch dafür rechtfertigen. "Verstehen sie mich nicht falsch. Auch wir werden das Feld breit machen, Bubble Screens und RPOs laufen, genauso wie die anderen. Aber wir werden auch Packages mit Fullbacks und Blocking Tight Ends haben. Vielleicht werden wir sogar einmal einen Offensive Tackle auf Tight End schieben."

Gruden verweist hierbei gerne auf den Erfolg, den Teams, die zuletzt mehrere Tight Ends einsetzen, vorwiesen: "Philadelphia hat gerade den Super Bowl gewonnen. Sie setzen drei Tight Ends ein und machen Defenses damit verrückt. Sorry, aber ich mag Tight Ends einfach."

Jon Gruden sorgt mit späten Draft-Picks für Aufregung

Auch im Draft traf Gruden zunächst Entscheidungen, die das Power-Run-Game unterstützen sollen. Nachdem der dem Vernehmen nach Wunschkandidat Mike McGlinchey einen Pick vor Oaklands Wahlrecht von Board ging, tradete man erst fünf Stellen nach unten, um sich dann mit dem 15. Pick Kolton Miller zu sichern. An dieser Stelle von vielen viel zu teuer bewertet gilt Miller als athletisches Prospect mit tollen Maßen und klaren Defiziten in der Technik, der sich aber noch zu einem hervorragenden Blindside-Protector für Quarterback Derek Carr entwickeln kann.

In der dritten Runde kam mit Brandon Parker ein weiterer Spieler in eine Offensive Line, die ohnehin schon eine der teuersten der Liga war. Laut Spotrac beanspruchte die Raiders-O-Line 2017 25 Prozent der Payroll, ein zuverlässiges Run Game kam dennoch nicht zustande. Das soll sich nun endlich ändern.

Für Aufregung sorgten erst die späteren Picks des Drafts. In Arden Key kam ein hochtalentierter Edge-Verteidiger, dessen Draft-Wert aufgrund von Problemen abseits des Football-Platzes litt. Michigans Maurice Hurst galt als sicheres Erstrundentalent, bevor offenbar ernsthafte Gesundheitsprobleme die Karriere des Interior Lineman in Frage stellten.

Jon Grudens Draft Picks im Überblick

RundePickOverallProspectPositionCollege
11515Kolton MillerOTUCLA
22557P.J. HallDTSam Houston St.
3165Brandon ParkerOTNorth Carolina A&T
32387Arden KeyDE/LBLSU
410110Nick NelsonCBWisconsin
53140Maurice HurstDTMichigan
536173Johnny TownsendPFlorida
642216Azeem VictorLBWashington
710228Marcell AtemanWROklahoma State

Derek Carr über Gruden: "Der Mann muss 20 Kaffee trinken"

Infrage stellen muss man bei den Raiders nach der letzten Saison aber nicht nur das, was nach der Gruden-Entscheidung passiert ist. Allen voran die Personalie Carr hat für große Sorgenfalten gesorgt. Nach 60 Touchdown-Pässen in den Jahren 2015 und '16 war die abgelaufene Saison ein sehr großer Rückschritt.

Trotz guter Protection (Oaklands Offensive Line hatte nach Pro Football Focus die dritteffizienteste Pass-Protection) war Carr nur 35. von 41 Quarterbacks in Sachen Big-Time-Throws und belegte Platz 37 bei Third Downs. Zwar halfen seine Receiver Carr auf keinen Fall, doch gingen die Raiders auch zu einem großen Teil durch seine Person als Super-Bowl-Contender in die neue Saison, nur um diese dann als enttäuschender Dritter in der AFC West abzuschließen.

Falls es jemanden braucht, um ihn aufzuwecken, dann hat Carr nun aber auf jeden Fall den richtigen Mann an seiner Seite. "Der Mann muss 20 Kaffee trinken", sagte Carr über seinen neuen Coach. "Anders kann ich es mir nicht erklären. Wenn er los legt, ist er auf einem anderen Level als alles, was ich vorher gesehen habe."

Crabtree, dessen 20 Drops in den letzten zwei Jahren einer der Tiefstwerte der Liga sind, zu verlieren, schadet dem Receiving-Corps zwar in Sachen Händen nicht, doch auch Ersatz Nelson hat in der letzten Saison einen gehörigen Schritt zurück gemacht. Ohnehin war die Entscheidung ursprünglich so interpretiert worden, dass die Crabtree-Trennung (7,7 Millionen Dollar) benötigten Cap Space für eine Verlängerung mit Superstar Khalil Mack schafft. Dafür allerdings ist der 14 Millionen-Dollar-Vertrag über zwei Jahre von Nelson dann zu teuer.

"Entweder man passt sich an oder man stirbt"

Nelson wird mit seinen 33 Jahren im Receiving Corps auf Amari Cooper (23), Seth Roberts (27) und die Newcomer Martavis Bryant (26) und Ryan Switzer (23) treffen. Vor allem für Dinge wie die vokale Präsenz wurden Alt-Stars wie er geholt und sollen sowohl für bessere Kommunikation auf dem Platz und im Training als auch für ein anderes Klima in der Umkleidekabine sorgen.

Gruden hofft indes, dass seine Worte im Bezug auf 1998 nicht noch einmal falsch interpretiert werden. Er schätzt erfahrene Spieler mit Qualität schlichtweg sehr, was weder bedeutet, dass er ein Trainer-Dinosaurier ist, noch, dass sein Spiel wie das aus einer vergangenen Ära anzusehen sein wird.

Selbst ein derart von sich überzeugter Coach wie Gruden weiß nämlich, dass man mit der Zeit gehen sollte: "Man muss sich anpassen", so Gruden. "Entweder man passt sich an oder man stirbt. Und ich habe nicht vor zu sterben."

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