Es schien so, als wolle er es seinen Kritikern ein letztes Mal beweisen und seine herausragenden Fähigkeiten zur Schau stellen, ehe der Sprung in die NBA ansteht: Kraftvolle Drives, bei denen er mit Kontakt am Ring abschloss, oder Stepback-Dreier mit der Hand des Verteidigers im Gesicht - Jalen Green lieferte alles.
In der ersten Runde der G-League-Playoffs im März legte der Shooting Guard für G-League Ignite einen persönlichen Bestwert von 30 Punkten sowie 7 Assists, 5 Rebounds und 3 Steals in 41 Minuten auf, gegen die topgesetzten Raptors 905 war dennoch kein Kraut gewachsen (102:127), nicht zuletzt deshalb, weil mit Jonathan Kuminga sein Co-Star fehlte.
20 Punkte erzielte der 19-Jährige allein in der zweiten Halbzeit, trotz der fehlgeschlagenen Aufholjagd geriet Ignite-Coach Brian Shaw im Anschluss ins Schwärmen: "Er hat gezeigt, warum er DER Mann ist. Er hat all die Sachen gemacht, um die es geht. Ich habe ihn mehrfach gefragt, ob er müde ist, aber er wollte drinbleiben. All die Auszeichnungen und all der Hype sind gerechtfertigt."
In der Tat war der angesprochene Hype ein Jahr zuvor sogar noch größer, als der Junge aus Merced/Kalifornien sich in der High School für die San Joaquin Memorial in Fresno und insbesondere in seiner Senior-Saison an der Prolific Prep in Napa in die Notizbücher sämtlicher Scouts spielte. 31,1 Punkte, 7,5 Rebounds und 5 Assists legte er durchschnittlich auf, wurde am Ende zum McDonald's All-American gewählt und stand auch im Kader für das Jordan Brand Classic.
Green wurde als Five-Star-Recruit geführt, ESPN listete ihn gar als besten Spieler des gesamten High-School-Jahrgangs auf. Nicht erst jetzt flatterten Angebote der Top-Colleges herein. Bereits 2016 hatte der damals noch 14-Jährige Offerten von UNLV, Fresno State, Florida State, Creighton, Arizona und USC vorliegen. Doch Green entschied sich anders. Am 16. April 2020 gab er bekannt, künftig in der G-League aufzulaufen.
Green entscheidet sich gegen College und für die G-League
"Der Hauptgrund für meine Entscheidung ist, dass ich besser werden will", erklärte er damals seine Wahl, die er als "beste Vorbereitung für die NBA" sah. Möglich macht diesen Karriereplan ein neues G-League-Programm, das bereits 2018 vorgestellt wurde und eine Alternative zum College bieten soll. Neben der Tatsache, sich mit NBA-erfahrenem Personal zu messen, lockt außerdem der finanzielle Aspekt. Minimalverträge sehen ein Gehalt von 125.000 Dollar vor, das bei Spielern wie Green um einiges höher ausfallen kann.
Eine halbe Million Dollar soll er für die Saison in der G-League kassiert haben, hinzu kam ein mehrjähriger Schuhdeal mit adidas in Millionenhöhe, den er im März abschloss. Auf dem College wäre ein solcher nicht erlaubt gewesen. Mussten High-School-Stars wie zuletzt LaMelo Ball oder Brandon Jennings im Jahr 2008 noch ins Ausland wechseln, um professionelle Spielpraxis zu sammeln, konnte Green seine Entwicklung vor der Haustür fortsetzen.
In Walnut Creek unweit von San Francisco wurde eine Franchise aus dem Boden gestampft, die keiner NBA-Organisation zugehört und in der vielversprechende Talente aufgebaut werden sollen. Neben Green und Kuminga darf sich auch Isaiah Todd Chancen ausrechnen, in der ersten Draftrunde gezogen zu werden. Angeleitet werden sie von Veteranen wie Jarrett Jack, Amir Johnson oder Bobby Brown.
G-League Ignite: Eine Bühne für die Top-Picks
Während der Teamerfolg in einer Entwicklungsliga wie der G-League zu vernachlässigen ist - die Ignite zogen mit einer Bilanz von 7-8 als achtes und letztes Team in die Playoffs in der Bubble, wo dann umgehend Schluss war -, lohnt sich ein Blick auf die Statistiken von Green dennoch. 17,9 Punkte, 4,1 Rebounds und 2,8 Assists legte er (ohne Berücksichtigung des Playoffs-Spiels) in durchschnittlich 32 Minuten auf.
Dabei traf er 46,1 Prozent aus dem Feld und gute 36,5 Prozent aus der Distanz bei immerhin 5,7 Versuchen pro Spiel. Sein Scoring ist im Vergleich zu seinen Altersgenossen nur mit einem Wort zu beschreiben: elitär! Green ist athletisch, kann sich seinen eigenen Wurf kreieren und auf nahezu jede Art abschließen. Sein Wurf ist flüssig, ähnlich wie ein Bradley Beal, Devin Booker oder Zach LaVine ist er ein natürlicher Scorer.
NBA Draft 2021: Die G-League-Statistiken von Ignite-Guard Jalen Green
Spiele / Minuten | Punkte | Rebounds | Assists | Steals | FG% | 3FG % | FT % |
15 / 32,0 | 17,9 | 4,1 | 2,8 | 1,5 | 52,9 | 36,5 | 82,9 |
Cunningham Favorit auf Top-Pick - Green sauer
Doch dass Green seinen Status als Nummer eins des Landes nicht untermauern konnte und Oklahoma-Star Cade Cunningham als klarer Favorit auf den ersten Pick in den Draft geht, hat seine Gründe. Green sieht diesen Fakt auch darin begründet, dass das Scheinwerferlicht auf der G-League nicht mit dem auf der NCAA mithalten kann: "Es ist eine Tatsache, dass die Diskussion eine andere wäre, wer an Nummer eins gezogen wird, wenn ich auf das College gehen würde", schrieb er im Mai in einem Tweet, den er kurz darauf wieder löschte.
Doch diese Sichtweise greift zu kurz: Während das Spiel von Cunningham so gut wie keine klare Schwäche aufweist, gibt es bei Green gleich mehrere Punkte, die deutlich Raum für Verbesserungen lassen. Sein Wurf ist gut, aber noch recht streaky, vor allem aus der Distanz (Spiele mit 0/6 und 0/7 3FG).
Negativ ins Auge springt das Assist-Turnover-Verhältnis (2,8/2,7), was auch mit der Ballführung zusammenhängt, die noch enger werden muss. In Anbetracht seiner Explosivität sind 2,3 Freiwürfe pro Spiel viel zu wenig, auch der Abschluss mit der schwachen linken Hand ist ausbaufähig. Zudem ist seine Wurfauswahl durchwachsen, er tendiert dazu, zu überdrehen und unnötig schwere Würfe zu nehmen.
Jalen Green: Fällt er tiefer als Position 2?
Über die Jahre wurde ihm des Häufigeren eine fehlende Reife und Ernsthaftigkeit in seinem Spiel zugesprochen, in der G-League machte er diesbezüglich einen Schritt nach vorne. Um sich defensiv zu steigern, muss er an Muskelmasse zulegen, was in seinem Alter keine Sorgen bereiten sollte. Dadurch sollte sich auch das Rebounding weiter verbessern. Außerdem leistete er sich mehrfach Konzentrationsschwächen.
Trotz allem ist Greens Potenzial enorm, alles spricht dafür, dass er an zweiter oder dritter Position gezogen wird. Durch Trades könnte es in der Lottery noch zu Bewegungen kommen, erste Kandidaten für die Dienste von Green sind Stand jetzt Houston (#2) und Cleveland (#3). Bei den Rockets könnte er den Rebuild weiterführen und sich austoben, ähnlich würde es bei den Cavs an der Seite von Darius Garland, Collin Sexton und Jarrett Allen aussehen (falls es keine Trades gibt).
Am Selbstbewusstsein wird eine große NBA-Karriere nicht scheitern. Wie ESPN berichtet, wird Green vor dem Draft nur Workouts bei den Pistons (#1) und Rockets abhalten. Er ist sich seiner Sache sicher.