Noch vor gut zehn Jahren hätte es keine Diskussionen um den ersten Pick gegeben. Ein hochtalentierter Center in der Draft-Klasse war fast schon automatisch der erste Pick seines Jahrgangs. In einer NBA, welche mittlerweile mehr auf Speed und Skills setzt, ist die Nachfrage nach Centern aber zurückgegangen.
Seit 2010 wurden in Karl-Anthony Towns und Deandre Ayton nur zwei klassische Fünfer als erstes aufgerufen, in der Dekade zuvor waren es noch fünf (Kwame Brown, Yao Ming, Dwight Howard, Andrew Bogut und Greg Oden). Die Center-Position stirbt deswegen nicht aus, sie befindet sich jedoch im Wandel. Nikola Jokic und Joel Embiid sind gute Beispiele dafür, dass talentierte Center weiter einen Unterschied machen können und gar regelmäßig in MVP-Diskussionen genannt oder in Jokics Fall tatsächlich ausgezeichnet werden. Jedoch ist das Anforderungsprofil komplexer geworden.
Diese Playoffs sind bestes Anschauungsmaterial dafür. Ein Defensivanker wie Rudy Gobert wurde von den kleinen Clippers fast komplett aus dem Spiel genommen, solide Center wie Brook Lopez oder Ivica Zubac haben Schwierigkeiten, auf dem Feld zu bleiben. Es reicht nicht mehr, nur den Korb zu beschützen, stattdessen müssen Bigs vermehrt am Perimeter verteidigen und offensiv zumindest ein elitäres Tool haben, sei es Shooting oder Rim Running.
Bei den Suns zeigt Ayton als überqualifizierter Rollenspieler, dass er als Center das Spiel positiv beeinflussen kann. In Evan Mobley steht im kommenden Draft zumindest ein Spieler bereit, dem eine solche Rolle ebenfalls zugetraut werden kann. Die gängigen Mocks sehen den USC-Big alle in den Top 3, wenn auch einstimmig hinter Cade Cunningham.
NBA Draft: Evan Mobley, ein 2,13 Meter großer Flügelspieler
Womöglich liegt das auch an der jüngeren Vergangenheit. Die Entscheidungen, Ayton über Luka Doncic zu picken oder etwa James Wiseman über LaMelo Ball, sehen für den Moment nicht besonders glorreich aus, vielleicht zögern Teams wie Detroit, Houston oder Cleveland deshalb, Mobley so früh vom Board zu nehmen.
Doch das könnte die falsche Herangehensweise sein, denn Mobleys Skillset ist eher das eines Flügelspielers denn eines Big Man. Der 20-Jährige bewegt sich trotz seiner Größe flüssig, kann passen, penetrieren oder werfen - eine seltene Kombination in diesem Alter, die auch auf einen späten Wachstumsschub zurückzuführen ist.
"Er ist ein 2,13 Meter großer Flügelspieler", teilte vor kurzem ein anonymer Scout seine Einschätzung gegenüber CBS Sports. "Das Ding bei ihm ist, dass er als Point Guard aufgezogen wurde, aber nun ist er ein 7-Footer. Man kann ihn auf viele verschiedene Arten einsetzen, was bei den Centern der vergangenen fünf oder sieben Jahre selten der Fall war."
NBA Draft - Evan Mobley: Talent liegt in der Familie
In der Middle School lief Mobley noch als Guard auf, die dazu passenden Fähigkeiten hatte er schon früh erlernt. Dabei spielte Vater Eric, der selbst als Profi in Portugal, Mexiko und Indonesien sein Geld mit Basketball verdiente und mittlerweile bei den USC Trojans als Assistant Coach auf der Bank sitzt, eine wichtige Rolle.
"Wir fanden, dass die Moves für Bigs recht einfach zu lernen sind", sagte Mobley in einem Interview mit The Athletic. "Guard-Skills sind viel komplizierter, deswegen haben wir uns früh auf Ballhandling, Shooting und Dribbling konzentriert."
Das Talent, mit dem orangefarbenen Leder umzugehen, wurde Evan ohnehin in die Wiege gelegt, nicht nur von väterlicher Seite. Mutter Nicol gewann als Point Guard in San Diego High-School-Meisterschaften, sein älterer Bruder Isaiah spielte an der Seite von Evan für USC. Mit ihm duellierte sich Evan über Jahre in der Garageneinfahrt, bevor die beiden so sehr gewinnen wollten, dass die Spiele in Schubsereien endeten.
"Es ist manchmal ausgeartet", verriet Isaiah Mobley, der gut ein Jahr älter ist als Evan und sich ebenfalls für den Draft 2021 angemeldet hat. "Das war nicht immer gesund, was wir da gemacht haben." Diese Zeiten sind längst vorbei, im Vorjahr besetzten die beiden Seite an Seite den Frontcourt der Trojans und führten die Kalifornier nach exakt 20 Jahren mal wieder unter die besten Acht, ins Elite Eight.
Draft-Prospect Evan Mobley: DPOY-Potenzial mit Guard-Skills
Defense war dabei vornehmlich die Calling Card, mit ihrer Athletik stellten die Mobley-Brüder ihre Gegner reihenweise vor Probleme. Mit seiner Spannweite von 2,26 Meter ist vor allem Evan ein hervorragender Ringbeschützer, der in seinem ersten und einzigen College-Jahr 2,9 Blocks pro Partie verzeichnete. Er verfügt über gutes Timing und gute Instinkte, die sich problemlos auf das NBA-Level übertragen lassen sollten.
Der Pac-12 Defensive Player of the Year definiert sich allerdings nicht allein durch seine Rolle als Rim Protector. Er ist für seine Größe schnell auf den Füßen und damit in der Lage, auch am Perimeter vor gegnerischen Guards zu bleiben. Soll heißen: Mobley hat die Mittel, auch gegen das Mismatch-Hunting heutiger NBA-Offenses im Pick'n'Roll mit kleineren Guards gegen schlaksige Bigs zu bestehen. In ihm steckt auch in der besten Basketballliga der Welt DPOY-Potenzial, der sich in den Playoffs nicht so leicht vom Parkett spielen lässt.
Auf der anderen Seite des Courts besticht er mit einer beeindruckenden Mixtur aus klassischen Big-Qualitäten und ausgeprägten Guard-Skills. Da wäre zum einen sein Finishing am Ring und stete Lob-Gefahr im Pick'n'Roll - laut Synergy Sports erzielte er für USC 1,4 Punkte pro Possession in direkter Ringnähe.
Mobley kann aber eben auch aus dem Dribbling für sich selbst kreieren, wird in einer potenziellen Rolle als Ballverteiler mit NBA-Größen wie Bam Adebayo oder Jokic verglichen und strahlt auch im Pick'n'Pop mit seinem weichen Touch gewisse Gefahr aus, auch wenn sein Wurf noch etwas Feinabstimmung benötigt (30 Prozent Dreier- und 69,4 Prozent Freiwurfquote am College). Dennoch verbindet er Geschwindigkeit, Skills und Größe, wie es von einem Big in den vergangenen Jahren nur selten zu sehen war.
NBA Draft 2021: Die College Statistiken von USC-Big Evan Mobley
Spiele / Minuten | Punkte | Rebounds | Assists | Blocks | Steals | FG% |
33 / 33,9 | 16,4 | 8,7 | 2,4 | 2,9 | 0,8 | 57,8 |
NBA Draft - Evan Mobley: Mischung aus Giannis und Durant
"Ich nenne ihn ein 'Generational Talent'", sagte Etop Udo-Ema, der Mobley in dessen AAU-Team trainiert hat, bereits 2020 gegenüber The Undefeated, bevor sein ehemaliger Schützling ans College ging. "Er hat eine Mischung aus Giannis Antetokounmpo und Kevin Durant in seinem Spiel und er ist ein großartiger Verteidiger, der den Verlauf eines Spiels verändern kann."
Er habe in den vergangenen 30 Jahren so gut wie jeden Top-Spieler aus Süd-Kalifornien gesehen, Mobley könne "besser als jeder von ihnen sein", ist sich Udo-Ema sicher. "Sobald er körperlich zulegt und stärker wird, gibt es für diesen Jungen kein Halten mehr."
Letzteres ist einer der Kritikpunkte, der wohl wichtigste in Mobleys Scouting Report. Bei seinen 2,13 Metern bekommt er derzeit nur knapp über 97 Kilogramm auf die Waage. Zum Vergleich: Embiid oder Jokic, mit denen er sich in der Association womöglich herumschlagen müsste, bringen knapp 30 Kilogramm mehr Kampfgewicht bei gleicher Körpergröße mit.
Seine physische Entwicklung ist mit 20 Jahren aber natürlich noch lange nicht abgeschlossen, er könnte zudem neben einem weiteren Center auflaufen. Dieses Argument schreckt entsprechend nur wenige Beobachter ab.
NBA Draft - Evan Mobley: Die Ausnahme der Big-Regel?
Selbst die Detroit Pistons, die den Nr.1-Pick halten, sollen Mobley auf dem Zettel haben, aber wohl nur, wenn sie einen Trade um den Top-Pick einfädeln und selbst erst später picken. An Position eins wird mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit Cade Cunningham über die Theke gehen.
Dahinter wird es aber spannend. Zuletzt hieß es, die Houston Rockets (#2) würden Jalen Green oder Jalen Suggs präferieren, auch wenn Draft-Experte Chad Ford gewisse Mobley-Gerüchte in Verbindung mit den Texanern gehört haben will. Spätestens die Cleveland Cavaliers würden an Position drei beim Big Man aber wohl zuschlagen.
Gleichzeitig ist es alles andere als ausgeschlossen, dass Mobley am Draft-Abend doch schon früher die Hand von Commissioner Adam Silver schütteln darf. Oftmals heißt es, in der modernen NBA sei die Bedeutung von Bigs im Keller - außer man findet den richtigen. Evan Mobley könnte mit seinem vielseitigen Paket eine dieser Ausnahmen sein.