NBA

Glücksgriff oder Pulverfass

Lance Stephenson hat eine katastrophale Saison bei den Charlotte Hornets hinter sich
© getty

Vor einem Jahr galt Lance Stephenson als einer der begehrtesten Free Agents der Offseason, eine historisch miese Saison später haben die Hornets ihn aufgegeben. Dementsprechend kritisch wird auch sein Wechsel zu den Clippers bewertet. Dabei ergeben sich durch den Wechsel für alle Parteien Chancen - und Doc Rivers ist noch nicht fertig.

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"Ich habe meine Zeit in Charlotte sehr genossen, auch wenn das Jahr nicht so gelaufen ist, wie ich es mir erhofft hatte", schrieb Lance Stephenson vor wenigen Tagen bei Twitter in einer Abschiedsnachricht an die Stadt und ihre Franchise. Artig bedankte er sich bei den Teammates, der Franchise und allen voran der Fans.

Es war nicht unbedingt der Ton, den man von Stephenson kennt. "Born Ready" fiel schon als relativ unflätiger Rapper, als Großmaul und natürlich als königlicher Ohrenpuster auf. Diesmal gab er sich ganz handzahm, obwohl er durchaus wütend hätte sein können.

Wahrscheinlich war er den Hornets einfach nur dankbar, dass sie das gemeinsame, für alle Beteiligten katastrophale Kapitel in Form eines Trades nach einem Jahr beendet haben.

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Historisch mies von draußen

Denn dass das Kapitel katastrophal verlief, daran besteht kein Zweifel. Stephenson galt vor der Saison als großer Hoffnungsträger, der aus einem aufstrebenden Playoff-Team einen Anwärter auf die Conference Finals machen sollte. Der Free Agent war aus Indiana gekommen, wo er zuvor die beste Saison seiner jungen Karriere gehabt und die Liga bei den Triple-Doubles angeführt hatte.

Beim Team von Michael Jordan, der ihn vergangenen Sommer noch selbst rekrutiert hatte, passte es jedoch von Anfang an nicht für Stephenson. Harmonie mit Point Guard Kemba Walker gab es kaum, das Team spielte regelmäßig besser, wenn ihr Neuzugang die Bank drückte. So machte ihn Coach Steve Clifford erst vom Starter zum Sixth Man, bis er letztlich komplett aus der Rotation verschwand.

Wenn man wissen möchte, wie Stephensons Saison in Charlotte verlief, reicht eigentlich folgende Statistik aus: Von 105 genommenen Dreiern traf er in der letzten Saison 18. Das war gut für 17,1 Prozent und damit den schlechtesten Wert aller Spieler, die mindestens 100mal von draußen draufgehalten hatten. Nicht in der letzten Saison. In der NBA-Geschichte.

Objektiv einseitiger Deal

Da er zudem nicht gerade als einfacher Charakter gilt, konnten ihn die Hornets gar nicht schnell genug wieder abgeben. Bereits während der Saison versuchten sie es vor der Trade Deadline, fanden allerdings keinen Abnehmer. Nun wurde ein Deal mit den Clippers eingefädelt, der objektiv wenig Vorteile für die Hornets hat. Abgesehen davon natürlich, dass sie Stephenson loswerden.

Aus L.A. kamen Matt Barnes und Spencer Hawes zu den Hornets. Während Barnes wohl gewaived wird und sich anderswo anschließen wird, war Hawes in L.A. eine ähnlich große Enttäuschung wie Stephenson in Charlotte. Zudem verdient er über die nächsten drei Jahre noch 17,4 Millionen Dollar, während bei Stephenson (9 Mio.) nach der Saison eine Team-Option besteht.

Stephenson ist damit faktisch ein "expiring contract", besser bekannt als die beliebteste Trade-Ware der NBA. Es ist von daher nicht einmal garantiert, dass er die Saison bei den Clippers beendet. Falls doch, bestehen zumindest keine weiterführenden finanziellen Verpflichtungen.

In der Not...

Insofern war der Trade aus Clippers-Sicht ein durchaus vertretbarer und sinnvoller Move, allen Zweifeln zum Trotz. In einer Notsituation kann man nicht wählerisch sein, und aufgrund der Cap-Situation, dem Alter und der fehlenden Tiefe des Kaders kann man in Tinseltown durchaus von einer Not sprechen.

Die vergangene Postseason offenbarte, dass Rivers im Prinzip nur über sechs verlässliche Spieler verfügte, von denen einem (DeAndre Jordan) ein üppiger Zahltag winkt und ein weiterer (Jamal Crawford) langsam aber sicher alt wird. Dass sich etwas tun müsste und würde, war also relativ klar, zumal die Clippers über keinen Erstrundenpick verfügen.

"Lance kann drei Positionen spielen, weil er ein herausragender Passer ist", erklärte Rivers die Stephenson-Verpflichtung in einer Radiosendung. "Ich weiß nicht, ob ich ihn als Starter sehe, sondern eher als ein Schweizer Taschenmesser von der Bank. Wir brauchten mehr Toughness und Athletik, und er bringt beides mit."

"Hat gezeigt, was er kann"

Das ist der Knackpunkt: Wenn sich Stephenson in den Dienst der Mannschaft stellt, kann er tatsächlich enorm nützlich sein. Daran ändert auch eine verkorkste Saison nichts. Rivers sprach bei seiner Vorstellung nicht zufällig hauptsächlich über die Indiana-Zeiten, als er seinen neuen Swingman beschrieb.

"Man muss das große Ganze sehen. Lance hat gezeigt, was er kann. Er hat auch gezeigt, dass er - wieder jeder von uns - ein schwaches Jahr haben kann", sagte Rivers, "natürlich hoffen wir, dass er zu seiner alten Form zurückfindet."

Stephenson, der noch immer erst 24 Jahre alt ist, hofft ebenfalls auf einen Neuanfang. "Als mir am Telefon vom Wechsel erzählt wurde, sagte ich nur: 'Was? Ist das dein Ernst?' Ich war sehr glücklich." Die Rolle, die Rivers ihm zuschreibt, wolle er bereitwillig annehmen: "Er will von mir, dass ich Defense spiele, ein guter Rollenspieler bin und mich für die neue Saison in den bestmöglichen Zustand bringe."

Wo ist der Jumper

Natürlich sind solche Worte immer mit Vorsicht zu genießen. Sein Ruf als Troublemaker kommt sicher nicht ganz von ungefähr, zudem stößt er zu einem Team, bei dem es in der letzten Saison Berichten zufolge alle paar Wochen zwischen Chris Paul und Jordan oder Blake Griffin krachte.

Ihn einer derart angespannten Teamchemie auszusetzen, ist ein interessantes Experiment: Insbesondere CP3 ist berühmt dafür, seine Mitspieler gerne mal zusammenzustauchen. Wie wird Stephenson damit umgehen?

Was fürs Erste noch wichtiger sein wird, ist allerdings sein Jumper. In seinen letzten beiden Indiana-Saisons traf er jeweils über 52 Prozent aus dem Feld und über 33 Prozent vom Perimeter, in Charlotte krachten diese Werte auf 42,5 und die erwähnten 17,1 Prozent herunter.

Er muss seinen Wurf unbedingt wiederfinden, um vor allem mit Jordan überhaupt koexistieren zu können. Abgesehen von seinem generellen "Benehmen" wird das der wohl entscheidende Faktor dafür sein, ob er seinem neuen Team helfen kann oder nicht.

Viel Arbeit für Doc

Rivers wiederum hat selbst noch viel Arbeit vor sich, wie er selbst auch ankündigte: "Wir sind noch nicht fertig." Priorität eins dürfte, neben der Weiterbeschäftigung von Jordan, die Stelle des Starters auf der Drei sein. Rivers möchte Stephenson lieber von der Bank bringen und arbeitet angeblich fieberhaft daran, seinen alten Bekannten Paul Pierce in dessen Heimatstadt zu lotsen.

Zudem muss unbedingt die fehlende Tiefe im Frontcourt angegangen werden. Sollte Jordan bleiben, wären er und Griffin immer noch die einzigen Großen im Kader. Im Backcourt dagegen tummeln sich derzeit so viele Spieler, dass wohl gerade ein Trade von Crawford und dessen auslaufendem Vertrag für Big-Man-Backups zur Option wird.

Rivers wollte auch nicht ausschließen, dass er noch versuchen wird, sich in die erste Draft-Runde einzukaufen. Mit der Weiterverpflichtung seines Sohnemanns Austin, der ebenfalls Free Agent wird, wird allgemein gerechnet.

"Talent irgendwie formen"

Dieser Trade war erst der Anfang. Stephenson ist eine klassische "Make-or-Miss"-Verpflichtung. Wenn er sich im Griff hat, kann Born Ready ein echter Glücksgriff sein. Wenn nicht, macht er aus den Clippers ein noch größeres Pulverfass als bisher.

Doc jedenfalls ist überzeugt: "Man kann es drehen wie man will, aber er bringt positive Eigenschaften mit, die meiner Meinung nach alle Risiken aufwiegen. Man bringt so viel Talent zusammen wie möglich, und dann muss man es eben irgendwie formen."

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