Thomas Greilinger vor dem Eishockey-Finale im Interview: "So etwas darf man nicht verpassen"

Von Dirk Sing
Thomas Greilinger spielte bereits für die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft.
© getty

Thomas Greilinger spielt seit 2008 für den ERC Ingolstadt in der DEL. Im Interview spricht der ehemalige Nationalspieler über den Final-Einzug der deutschen Eishockey-Mannschaft bei den Olympischen Winterspielen und schätzt die Chancen gegen die russische Auswahl ein.

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Außerdem erklärt er, was das DEB-Team so stark macht und warum er nicht glaubt, dass sich in Deutschland nun ein Eishockey-Boom breit macht.

SPOX: Herr Greilinger, die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft hat das Endspiel bei den Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang erreicht. Wie klingt das in Ihren Ohren?

Thomas Greilinger: Einfach überragend! Das ist natürlich super für das deutsche Eishockey. Auch für die Jungs, die gerade in Pyeongchang sind, freut es mich riesig. Ich hoffe, dass wir den Schwung speziell in der DEL mitnehmen können und etwas vorwärtsgeht.

SPOX: Dass die DEB-Auswahl nun um die Goldmedaille kämpft: Würden Sie das als Überraschung oder sogar Sensation bezeichnen?

Greilinger: Na gut, dass das deutsche Team jetzt um Gold spielt, damit konnte man sicherlich nicht rechnen. Ich habe aber in einem anderen Interview vor den Olympischen Spielen bereits gesagt, dass ich mit Ausnahme der russischen Mannschaft alle anderen Teams ungefähr auf einer Augenhöhe sehe. Wenn dann der Torhüter - wie in unserem Fall Danny aus den Birken - derart gut spielt und die Akteure zueinanderfinden, ist im Eishockey vieles möglich. Dass genau das beim deutschen Team nun eingetreten ist und man bis ins Endspiel vorstößt, ist aber sicherlich eine große Überraschung.

SPOX: Was ist in Ihren Augen das Erfolgsgeheimnis der deutschen Mannschaft bei diesem Turnier?

Greilinger: Nun, im Endeffekt haben die Jungs defensiv sehr gut agiert, was sich unter anderem bei den knappen Siegen gegen die Schweiz und Norwegen gezeigt hat. Auch das Powerplay ist für deutsche Verhältnisse ausgezeichnet. Darüber hinaus hat sich jeder Spieler voll und ganz in den Dienst der Mannschaft gestellt, um erfolgreich zu sein.

SPOX: Kann man dementsprechend auch sagen, dass sich die DEB-Auswahl das nötige Quäntchen Glück, das man in einem solchen Turnier ebenfalls benötigt, quasi hart erarbeitet hat?

Greilinger: Ja, auf alle Fälle! Man darf eines nicht vergessen: Auch wenn vor allem bei den Top-Nationen die ganzen NHL-Leute gefehlt haben, sind diese nach wie vor in der Lage, eine hohe Qualität aufs Eis zu schicken. Und wenn du dann gegen diese Teams spielst, brauchst du einfach auch dieses gewisse Quäntchen Glück, um zu gewinnen. Aber das ist im Sport ganz normal. Allerdings hat die Truppe auch hervorragend Eishockey gespielt. Die Jungs haben sich nicht nur hinten reingestellt, sondern auch sehr schöne Tore herausgespielt - wie beispielsweise im Halbfinale gegen Kanada. Das war schon Spaß gemacht, diese Partie anzuschauen.

SPOX: Bei der deutschen Mannschaft hat sich in den vergangenen Jahren doch ein bestimmter Kern herausgebildet, der regelmäßig bei Turnieren dabei ist. Im Gegensatz dazu mussten vor allem die Top-Nationen bei diesen Olympischen Spielen aufgrund der Tatsache, dass die NHL-Klubs ihre Akteure nicht freigegeben haben, Formationen ins Rennen schicken, die größtenteils bislang noch nie zusammengespielt haben. Ein Vorteil für das DEB-Team?

Greilinger: Definitiv. Man muss ja beispielsweise nur schauen, wie viele NHL-Spieler bei uns - im Gegensatz zu Kanada, USA, Schweden oder Finnland - fehlen. Auch die Tatsache, dass Bundestrainer Marco Sturm seit seinem Amtsantritt im Jahr 2015 zumeist auf den von Ihnen angesprochenen festen Kern an Spielern immer wieder zurückgreifen kann, ist natürlich enorm hilfreich. Gegenüber anderen Nationen hat man da schon einen kleinen Vorteil, ja.

SPOX: Um nochmals auf die fehlenden NHL-Profis bei diesem Turnier zurückzukommen: Schmälert diese Tatsache den Erfolg des deutschen Teams in irgend einer Weise?

Greilinger: Na ja, ich denke, es ist jedem klar, dass, wenn jetzt die ganzen NHL-Jungs dabei wären und man dann ins Finale einziehen würde, es nochmals eine andere Hausnummer wäre. Da muss man sich ja nicht selbst anlügen. Aber abgesehen davon muss man ja auch in der jetzigen Situation erst einmal so weit kommen. Teams wie Schweden oder Kanada haben ihre Akteure allesamt aus den europäischen Top-Ligen rekrutiert. Was ich bisher gesehen habe, ist da kein einziger ausländischer Spieler aus der Deutschen Eishockey-Liga dabei. Von dem her ist das schon ein toller Erfolg. Und man sieht vor allem auch, dass die Deutschen Eishockey spielen können beziehungsweise wie gut sie wirklich sind, wenn sie entsprechend Vertrauen und Eiszeit bekommen.

SPOX: Sie selbst waren bei den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver dabei. Worin liegen für Sie die Hauptunterschiede, wenn Sie die Partien heute verfolgen?

Greilinger: Nun, es wäre ja traurig und schlimm, wenn zum Beispiel zwischen einem mit NHL-Stars gespickten kanadischen Team wie damals und einer Truppe wie jetzt in Pyeongchang kein Unterschied zu erkennen wäre. Man braucht sich ja nichts vormachen: 2010 in Vancouver hatte man nicht mal den Hauch einer Chance, gegen einen solchen Gegner zu gewinnen. Da ging es im Grunde nur um Schadensbegrenzung. Nicht umsonst verdienen die Profis in der besten Liga der Welt, NHL, richtig viel Geld. Da spiegelt sich dann natürlich auch die Qualität dieser Spieler wider.

SPOX: Welchen Anteil hat Bundestrainer Marco Sturm am aktuellen Höhenflug der deutschen Mannschaft?

Greilinger: Der Chefcoach hat mindestens den gleichen Anteil wie die Spieler. Meiner Meinung nach ist es unglaublich wichtig, dass der deutsche Bundestrainer selbst aus Deutschland kommt. Da entwickelt sich einfach ein ganz anderer Zusammenhalt. In der Zeit zwischen Uwe Krupp und Marco Sturm hat es ja selbst bei großen Turnieren immer wieder Absagen regelrecht gehagelt. Das ist jetzt gar nicht mehr der Fall. Jeder fährt gerne zur Nationalmannschaft und ist froh, wenn man dabei sein darf. Und daran hat Marco Sturm zweifelsohne einen ganz großen Anteil.

SPOX: Lassen Sie uns einmal in die nahe Zukunft blicken: Wird der Erfolg der DEB-Auswahl bei den Olympischen Spielen 2018 Ihrer Meinung nach positive Auswirkungen auf das Eishockey in Deutschland haben?

Greilinger: Ich hoffe es zwar stark. Aber um ehrlich zu sein, kann ich mir es eigentlich nicht vorstellen.

SPOX: Warum nicht?

Greilinger: Leider war es in der Vergangenheit schon immer so, dass wenn die Nationalmannschaft mal erfolgreich war, hat man einige Tage noch darüber gesprochen. Danach ist alles wieder verpufft. Man wird trotz des jetzigen Erfolges den deutschen Akteuren in der Liga auch nicht mehr Vertrauen geben. Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass plötzlich das öffentliche Fernsehen richtig beim Eishockey einsteigen wird. Ich würde es mir natürlich wünschen, bin diesbezüglich aber eher pessimistisch.

SPOX: Und wie ist es um Ihren Optimismus hinsichtlich des Endspiels am Sonntag gegen das Team der Olympischen Athleten aus Russland bestellt?

Greilinger: Wenn man im Finale steht, ist alles möglich! Auch wenn für mich die Russen schon vor dem Turnier der Topfavorit waren, hoffe ich selbstverständlich, dass Deutschland auch diesen Gegner knacken kann.

SPOX: Hat die Truppe von Marco Sturm nach den gezeigten Leistungen in diesem Finale überhaupt etwas zu verlieren?

Greilinger: Nun, wenn du schon einmal so weit gekommen bist, möchtest du natürlich auch gewinnen und die Goldmedaille holen. Klar, wenn man dann tatsächlich verlieren sollte, wäre freilich auch Silber ein Mega-Erfolg - zumal man nie weiß, ob man jemals wieder die Gelegenheit bekommt, um Medaillen zu spielen. Aber wenn man derart nahe an Gold dran ist, hat man schon auch etwas zu verlieren. Von dem her werden unsere Jungs alles daran setzen, diese letzte Begegnung des Turniers siegreich zu gestalten.

SPOX: Das Finale beginnt am Sonntag um 5.10 Uhr unserer Zeit. Werden Sie sich den Wecker stellen?

Greilinger: Ja, auf alle Fälle! Wer weiß, wann eine deutsche Eishockey-Nationalmannschaft jemals wieder in einem olympischen Endspiel stehen wird. So etwas darf man nicht verpassen.

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