Olympische Spiele - Ruder-Superstar Oliver Zeidler im Interview: "So stelle ich mir das Sterben vor"

Oliver Zeidler
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Ein Grund für Ihren Erfolg ist sicher die Fähigkeit, sich quälen zu können. Woher kommt das?

Zeidler: Ich bin wahrscheinlich das, was man einen positiv Besessenen nennt. Ich habe die Fähigkeit, ja sogar die Lust, mich zu quälen und nicht aufzuhören, bevor nicht die letzte Trainingseinheit gemacht wurde. So musst du aber im Rudern auch sein. Wenn du Schmerz nicht ertragen kannst, bist du bei uns falsch. Dazu kommt eine perfektionistische Ader, die ich wohl auch in mir habe. Wenn ich etwas mache, will ich ganz genau wissen, warum wir diese Übung jetzt zum Beispiel machen, warum dies oder jenes auf dem Plan steht. Und wenn ich das weiß und verstehe, ziehe ich es durch bis zum letzten Moment. Mein Ziel ist es immer auch, auf ein psychisch höheres Level zu kommen als meine Gegner.

Gibt es Sportler, die Sie dabei inspirieren?

Zeidler: Ich habe "The Last Dance" mit Michael Jordan angeschaut, das hat mich sehr inspiriert. Auch weil ich da gewisse Parallelen zu mir und meinem Mindset gefunden habe. Jordan hat sich ja phasenweise motiviert, indem er Feindbilder aufgebaut hat. Nach dem Motto: Du willst MVP werden? Vergiss es! Und so ticke ich auch. Ich stelle mir auch meine Gegner vor und denke mir: Du willst mich schlagen? Vergiss es! Ich zeige Dir, wer hier der Stärkste ist. Diese Triggerpunkte sind ganz wichtig für mich.

Was ist das Härteste, das Sie jemals gemacht haben?

Zeidler: Es gibt diesen zwei Kilometer langen Ergotest. Das ist wie eine Nahtoderfahrung.

Wie bitte?

Zeidler: Ja, wirklich. Das ist eine sehr spezielle Erfahrung. Man muss sich das so vorstellen: Du bist in einer Turnhalle, zehn Leute werden zu diesem Test rausgeschickt und hinter ihnen wird die Tür zugesperrt. Warum auch immer machen wir in Deutschland ein großes Geheimnis um die Ergebnisse, ich sehe das nicht so eng und teile meines immer auf Instagram. Auf jeden Fall hört man trotz der verschlossenen Türen die Geräusche. Das Heulen der Räder, die schreienden Trainer. Und dann kommen irgendwann halbe Leichen aus dem Raum raus, ganz blass im Gesicht, komplett zerstört. Da werden Laktatwerte von weit über 20 gemessen, das ist kurz vorm Nierenversagen. Du sitzt auf dem Rad und denkst dir echt: Entweder ich kotze jetzt, oder es bleibt was stehen in meinem Körper. So stelle ich mir das Sterben vor. Bitte, liebe Kinder, don't try this shit at home. (lacht)

Zeidler: "Ausstrahlen, dass hier niemand anders Gold holt"

Alle Qualen sollen ja zum großen Erfolg auf dem Wasser führen. Was ist für Sie persönlich die Faszination am Rudern?

Zeidler: Bei uns dreht sich viel um die Suche nach dem perfekten Schlag. Wenn du im Boot sitzt und diesen perfekten Schlag fühlst, wie das Boot sich richtig am Wasser abdrückt und gefühlte 30 Meter nach vorne weiterzieht, ist das einfach grandios.

Was durchlebt ein Körper während eines Rennens, das ja bis zu sieben Minuten lang sein kann?

Zeidler: Ein Rennen geht über 2000 Meter, aber du merkst schon nach 500 Metern, dass die Beine schwer werden. Und schon nach 750 Metern kommst du langsam in den Tunnel und dein Gehirn kann sich nur noch auf ganz wenige Dinge konzentrieren. Dann musst du schauen, wie du auf Zack bleibst. Ich versuche immer, für mich die Schläge zu zählen, das hilft mir. Und zwischen 1000 und 1500 Metern geht es darum, deine Gegner zu zerstören, die Psychokeule herauszuholen und den richtigen Stich zu setzen. Da ist dann Taktik gefragt. Da bist du aber wie gesagt längst im roten Bereich. Wenn die Hupe endlich ertönt und du als Sieger ins Ziel gekommen bist, tut es wirklich viel weniger weh, als wenn du auf Rang fünf landest.

Rang fünf wäre in Tokio kein Erfolg, so dominant wie Sie in dieser Saison waren. Zählt ehrlicherweise nur Gold im Finale am 30. Juli?

Zeidler: Ich will nichts verschreien, aber mein Ziel ist klar: Olympiasieger zu werden. Keine Medaille zu gewinnen wäre nach der Dominanz, die ich ausgestrahlt habe, auch komisch. Mein Ziel ist es, dass ich, sobald ich in Tokio an der Regattastrecke ankomme, mit jeder Zelle meines Körpers ausstrahle, dass hier niemand anders Gold holt. Dass es für die anderen nur um Rang zwei bis sechs geht. Das wird mein Mindset sein.

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