Olympische Spiele - Ruder-Superstar Oliver Zeidler im Interview: "So stelle ich mir das Sterben vor"

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Wie ist Ihr Blick auf die Sportförderung in Deutschland?

Zeidler: Da muss ich sagen, dass sich in den vergangenen Jahren wirklich einiges getan hat. Die Deutsche Sporthilfe hat vor Tokio durchaus aufgetrumpft, das muss ich ausdrücklich loben und da kann ich mich auch gar nicht beschweren. Klar, es geht immer mehr, aber da sind wir dann wieder bei der Politik, die ein Paket schnüren und viel mehr Geld in den Sport reinbuttern müsste. Dadurch müsste sich die Sporthilfe nicht mehr zwischen einer international konkurrenzfähigen Olympiaprämie und der Förderung der Jugend entscheiden. Sonst werden wir die Talente, die wir immer noch haben, irgendwann nicht mehr bei der Stange halten. Weil sie nicht abgesichert sind, weil eine lange Sportkarriere die berufliche Perspektiven verschlechtert und es keine vernünftige Altersvorsorge für die Jahre im Sport gibt - da sehe ich das größte Problem, dass wir viele junge Top-Athleten verlieren werden und uns dann wundern, warum wir nichts mehr gewinnen.

Sie haben vorhin erklärt, warum die Austragung der Sommerspiele so wichtig ist. Dennoch gibt es natürlich auch eine kritische Seite der Betrachtung. Es werden Spiele sein, die während einem Corona-Notstand in Tokio stattfinden. Ohne Fans. Kann man das ausblenden?

Zeidler: Ich muss es ausblenden. Eines vorneweg: Niemand will die Bevölkerung in Tokio in Gefahr bringen und eine neue Welle an Infektionen auslösen, deshalb werden wir ja quasi mit niemandem in Kontakt kommen und deshalb empfinde ich die Entscheidung, auf Zuschauer zu verzichten, auch als richtig. Aber mehr Gedanken darf ich mir darüber nicht machen. Das würde meinen Erfolg gefährden. Ich bin komplett fokussiert auf den Tag X, an dem ich meine Bestleistung abrufen muss. Wenn ich da Unsicherheiten oder Zweifel aufkommen lasse, in welcher Form auch immer, kann mich das die entscheidenden Prozentpunkte kosten.

"Mist, da bin ich ja schwimmend schneller als mit dem Boot"

Aber die Umstände werden nicht so sein, wie man es sich bei Sommerspielen wünscht.

Zeidler: Klar, die Umstände werden sicher nicht so sein, wie ich mir meine ersten Olympischen Spiele vorgestellt habe. Ich hätte gerne die Familie dabei zum Beispiel. Aber trotz der widrigen Umstände wird sich für mich mein olympischer Traum erfüllen. Trotz der Umstände kriege ich gerade Gänsehaut, wenn ich daran denke. Und trotz der Umstände ist es nüchtern betrachtet der Saisonhöhepunkt, auf den alles ausgerichtet ist. Ich weiß, dass keine Party möglich sein wird, deshalb werde ich mich voll und ganz auf den Wettkampf konzentrieren. Und das Gute an meiner Situation ist, dass ich in drei Jahren in Paris ja auch noch dabei sein kann und dort das Flair hoffentlich erleben werde. Das macht es für mich auch einfacher, mich in diesem speziellen Fall nur auf meine Rennen zu fokussieren.

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Sie kommen aus einer totalen Ruderer-Familie, insofern erscheint es "normal", dass Sie auch ein erfolgreicher Ruderer geworden sind. Ihr Weg dahin ist aber alles andere als normal. Erzählen Sie.

Zeidler: Das stimmt. Ich wurde zwar in eine Ruderer-Familie hineingeboren und ich weiß noch, wie beeindruckend ich es als kleiner Steppke fand, in den Olympia-Büchern meines Opas Bilder von meiner eigenen Familie zu entdecken. Dennoch bin ich erstmal beim Schwimmen gelandet. Ich war ein sehr aufgedrehter Junge und habe alles Mögliche ausprobiert, Schwimmen, Leichtathletik, oder auch Basketball. Und auch das Rudern, aber da bin ich nach drei Schlägen sofort ins Wasser gefallen und dachte mir nur: Was für ein Mist, da bin ich ja schwimmend schneller als mit dem Boot. Ich war dann auch recht erfolgreich im Schwimmen, sodass es nie einen Grund gab, vom Wasser aufs Wasser zu wechseln. Ich bin beim Schwimmen geblieben, meine Eltern haben mich auch da total unterstützt und saßen tagelang in chlorigen Schwimmhallen wegen mir. Ich habe mich nie als "schwarzes Schaf" der Familie gefühlt, nur weil ich nicht beim Rudern war.

Wann war der Wendepunkt, als Sie doch mit dem Schwimmen aufgehört haben?

Zeidler: Das war 2016, als ich an der Olympia-Quali scheiterte und vor allem als peu a peu meine Trainingsgruppe zerbrach. Diese Trainingsgruppe hat mir extrem viel bedeutet. Das war mehr als eine Gruppe an jungen Menschen, die zusammen geschwommen sind. Wir haben Partys zusammen gefeiert, ich werde diese Zeit nie vergessen, da sind echte Freundschaften entstanden. Als sich diese Gruppe auflöste, ging viel an Spaß verloren für mich. Dazu kam, dass ich im Schwimmen zu dem Zeitpunkt vielleicht auch schon meinen Zenit erreicht hatte, es ging nicht mehr wirklich weiter für mich auf diesem Weg.

Zeidler: "Von Null auf Hundert, das ist einzigartig"

Dass Sie im Anschluss doch das Rudern für sich entdeckt haben, ist die eine Sache. Die andere ist aber, dass Sie aus dem völligen Nichts sofort in die Weltspitze vorgestoßen sind. Ein Märchen?

Zeidler: Man kann das schon als Märchen bezeichnen. Es gab schon Sportler, die innerhalb von verwandten Sportarten gewechselt sind und schnell Erfolg hatten, Biathlon und Langlauf fallen mir da ein. Aber Schwimmen und Rudern haben nichts miteinander zu tun. Dass ich es da von Null auf Hundert geschafft habe, ist einzigartig. Und ich kann mir das auch gar nicht so richtig erklären. Es ist einfach so passiert.

Wie ging es überhaupt los?

Zeidler: Ich weiß noch, dass ich nach dem Schwimmen einen Monat lang nichts gemacht hatte körperlich und merkte, dass mir das gar nicht gut tut. So habe ich den Ruderergometer im Keller entdeckt und einfach mal losgelegt. Es war für mich selbst eine Art Wow-Moment, als ich sah, was für Ergebnisse ich da erzielen kann. Also bin ich zu meinem Vater gegangen und habe ihn gefragt, ob er mir das mit dem Rudern doch mal beibringen kann. (lacht) Und so ging es los, erst mit einem Anfängerboot, später mit einem Holzboot eines ehemaligen Ruder-Kollegen meines Opas, bis ich relativ schnell schon in einem Spitzenboot saß und 2018 meine erste Weltcup-Regatta absolviert habe.

Bei dieser Weltcup-Regatta in Belgrad ist dann auch Ihre Liebe zum Rudern endgültig entbrannt.

Zeidler: Das war ein magischer Moment. Ich hatte mich knapp für das Finale qualifiziert und mein Vater meinte zu mir: Leg' dich doch einfach mal vor das gesamte Feld und schaue, was passiert. Ich habe ihm einfach mal blind vertraut und es genauso umgesetzt. Ich bin 1500 Meter lang vor dem amtierenden Weltmeister hergefahren, mit der schlechtesten Technik der Welt. Am Ende bin ich "nur" Dritter geworden, aber alle haben über den deutschen Typen geredet und was der da veranstaltet hat. Das war unfassbar. Da habe ich auch das gespürt, was ich im Schwimmen nie gespürt habe: Dass ich hier in der Weltspitze mit dabei sein kann. Dass ich es hier echt drauf habe. Das war wie im Traum.

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