EuroBasket 2022: BBL-Legende Per Günther im Interview: "Die Brechstange von Dennis Schröder ist immer eine Option"

Per Günther spielte 14 Jahre für ratiopharm Ulm.
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Gegen Slowenien waren vor allem die Bigs das große Thema, darauf hatte der Europameister keine Antwort. Wie stehen sie der Formation mit zwei Bigs gegenüber, auch mit dem Hintergrund, dass der Bundestrainer fast ausschließlich so spielte? Small-Ball-Alternativen wären schließlich da.

Günther: Ich bin ein Fan von kleineren Lineups und es ist auch nicht so, dass Gordie Herbert nicht wüsste, was Small Ball ist und wie man seine Gegner mit solchen Aufstellungen vor Probleme stellen könnte. Er ist aber der Trainer, er hat seine Marschroute und nach dem Turnier wird er sich daran messen lassen müssen. Ich würde gerne Niels Giffey auf der Vier sehen, weil er als Small Forward auch Pick'n'Rolls laufen muss und manchmal etwas verloren aussieht. Auf der Vier würde er ganz andere Looks bekommen und würde sich mit Franz Wagner toll ergänzen. So bekommst du Shooting aufs Feld, erst recht wenn Joe Voigtmann den Center gibt. Ich glaube, dass dies das beste Lineup wäre. Wir müssen nur auf unsere Gruppengegner wie Frankreich oder Litauen schauen, die eher schwerfällige Vierer haben, wodurch dieses Lineup durch Pick'n'Pops gute Würfe kreieren kann. Das ist gerade gegen Frankreich wichtig, wenn da ein Rudy Gobert in der Zone steht, der Dennis und Franz das Leben schwer machen wird. Du musst in solchen Spielen viel Shooting auf dem Feld haben.

War es ein Fehler, dass dies in der Vorbereitung nicht häufiger probiert wurde?

Günther: Ich hätte sehr gerne mehr Minuten mit kleinen Lineups gesehen, sporadisch gab es das ja. Ich erinnere mich an das erste Spiel gegen Belgien oder im vierten Viertel gegen Slowenien. Es bringt dem deutschen Spiel mehr Variabilität, aber es kann sein, dass der Bundestrainer seiner Mannschaft es schlichtweg zutraut, dass sie im Verlaufe eines Turniers das schnell umsetzen können, wenn Herbert es von ihnen verlangt. Oder er sagt, dass er es nicht spielt und dann muss er schauen, dass er mit seinen beiden Bigs erfolgreich spielen kann.

Blendet der Sieg gegen Slowenien in dieser Hinsicht ein wenig?

Günther: Der Sieg kann das Bild verzerren, gleiches gilt aber auch für die Supercup-Pleite gegen Serbien mit 25 Punkten. Das muss nicht schlecht sein. Positive Verzerrung ist mir wesentlich lieber. Hätte man noch gegen die USA ohne NBA-Spieler mit 30 gewonnen, auch das nehme ich. Es ist doch schön, wenn die deutschen Fans eine gute Meinung von ihrem Team haben. Dann sind die Hallen voll, dann schalten mehr Leute ein. Der Sieg gegen Slowenien war ein schönes Signal, medial wird positiv berichtet. Selbst wenn jetzt Slowenien am Limit gespielt hätte und mit 10 Punkten gewonnen hätte, wäre das vielleicht für die Basketball-Nerds aussagekräftiger gewesen, aber für das große Ganze im Hinblick auf das Turnier wäre es schlechter gewesen. Beim DBB wird man dieses Ergebnis richtig einschätzen, da mache ich mir keine Sorgen und wenn jetzt mehr Fans denken, dass bei diesem Turnier vieles möglich ist, dann umso besser.

Wer hat Sie in der Vorbereitung positiv überrascht?

Günther: Franz muss natürlich hier die Antwort sein. Dass er das alles so gut umsetzt, wie man sich das vorher erhofft hat, ist toll. Mit diesem Mix aus europäischen und amerikanischen Spiel fällt er sofort auf. Bei Orlando hatten sie viele Verletzungen und deswegen durfte er da wahnsinnig viel machen. Das war aber keine Garantie, dass er auch bei FIBA-Spielen sofort daran anknüpfen und so dominant aufspielen kann. Ansonsten möchte ich noch Jonas Wohlfarth-Bottermann nennen, der eine undankbare Aufgabe hat. Von überall heißt es: 'Jetzt muss WoBo spielen, wir wünschen uns lieber einen der anderen acht Bigs, die abgesagt haben'. Das ist für einen Spieler sehr unangenehm und macht keinen Spaß, wenn man das Gefühl hat, dass die Leute einen gar nicht sehen wollen und denken, dass du zwei, drei Klassen schlechter als die anderen Spieler bist. Er hat das dennoch super gemacht. Andi Obst gefällt mir auch. Der wird gegen Slowenien für Nick Weiler-Babb, ein Spieler, der erst kurz dabei ist, auf die Bank gesetzt und liefert dann so ab. Werfer können auf sowas sensibel reagieren, wenn man sich Stereotypen bedienen möchte. Und dann kommt er rein und tritt so selbstbewusst auf.

Bei Andi Obst gehe ich voll mit, der sollte meiner Meinung nach neben Dennis Schröder starten. Aber kommen wir noch einmal zu Franz Wagner zurück. Einen Forward, der scoren, kreieren und verteidigen kann, gab es wohl seit Ademola Okulaja nicht mehr. Ist er das, was dem DBB so lange gefehlt hat?

Günther: Bei anderen Teams haben sicher mehrere Dinge gefehlt, aber es stimmt schon. Franz ist ein Geschenk für die Nationalmannschaft. Ich hoffe, dass er diese Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit behält. Und wie ich schon gesagt habe: Er könnte auch auf der Vier spielen, wo er noch mehr Räume hätte. Dass er auf Small Forward schon so dominant auftritt, das ist sehr erstaunlich und schließt ein Loch im Team, welches sehr lange da war.

Durch die Präsenz von Wagner profitiert vor allem Dennis Schröder, der nicht mehr die komplette Last schultern muss. Nehmen wir mal das Slowenien-Spiel, da sah Schröder sehr reif aus und fand die richtige Balance. Was sagt der Point Guard in Ihnen dazu?

Günther: Das ist ein bisschen Huhn und Ei. Was war zuerst? Dennis hat jetzt eine Mannschaft, bei der er nicht mehr das Gefühl hat, dass er alles machen muss. Natürlich gab es in der Vorbereitung Momente, vor allem in zweiten Halbzeiten oder vierten Vierteln, wo man gemerkt hat, dass er zu sich sagte: 'So, das sind jetzt meine fünf Minuten'. Da hat er fünf Abschlüsse in Folge genommen oder durch seine Penetration Würfe kreiert. Es ist wichtig, dass er sich das beibehält. Es bleibt die Gefahr, dass Franz mit 21 Jahren oder allgemein die Halfcourt-Offense in einem vierten Viertel mal wackeln kann. Da gibt es dann mal keine Offball-Screens oder gezogene Freiwürfe. Deswegen ist die Brechstange von Dennis immer eine Option.

Dennis Schröder will mit dem DBB bei der Heim-EM im September angreifen.
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Dennis Schröder will mit dem DBB bei der Heim-EM im September angreifen.

Trotzdem ist es für das deutsche Spiel doch gut, wenn dies etwas dosierter eingesetzt wird.

Günther: Ich hatte das Gefühl, auch in den Phasen, in denen er viel Kritik einstecken musste, dass er so viel selbst gemacht hat, weil er dachte, dass es sonst keiner macht. Dazu waren seine besten Mitspieler auf dem Feld meist eher Rollenspieler und er wusste vielleicht nicht, wie er aus dem Fluss der Offense ihnen gute Würfe geben konnte. Da kann man ihm keinen großen Vorwurf machen. Jetzt ist es dafür umso besser und es ist schon lustig, wenn Michael Körner beim Slowenien-Spiel fordert, dass wir ein bisschen mehr Dennis gebrauchen könnten. Das hat er die letzten Jahre nicht gesagt. Das kann man als Lob für Dennis verstehen, auch wenn ich nicht glaube, dass er sich großartig verändert hat. Wenn die Mannschaft ihn als Scorer nicht braucht, dann scort er einfach nicht und gibt den Ball ab. Früher war das nicht anders, aber jetzt ist es ein anderes Gefühl. Er verteidigt hart und ist topfit, dafür sollte er definitiv seinen Respekt bekommen.

Das ist der Knackpunkt. Erinnern wir uns vor allem an die Kritik an seiner Defense vor drei Jahren, unter anderem in jenem Spiel gegen die Dominikanische Republik, welches das deutsche Aus besiegelte.

Günther: Wenn du 20- bis 30-mal zum Drive ansetzt, dabei Fouls ziehst und jede Verteidigung sich nur auf dich konzentriert, dann kostet das Kraft. Er hat er auch damals schon auf einem hohen Niveau verteidigt. Wenn ein gegnerischer Guard heiß läuft, dann wird Dennis hin und wieder auch die Herausforderung annehmen und ihn checken. Im Post nimmt er es sehr persönlich, wenn Gegner es dort versuchen. Was seine Defense angeht, mache ich mir bei der EM keine Sorgen.

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