Tennis - Macher von neuer Netflix-Doku im Interview: "Es funktioniert nur, wenn die Spieler sich nackig machen!"

Von Felix Kneidl
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Mit "Break Point" schicken die Macher der umjubelten Formel-1-Dokumentation "Drive to Survive" eine neue Sport-Doku ins Rennen um die Gunst der Zuschauer. Die viel erwartete Netflix-Serie startet am 13. Januar mit fünf Folgen, bevor dann im Juni der zweite Teil der Serie mit fünf weiteren Folgen abrufbar sein wird. SPOX hat sich mit den Machern der Show zum Interview getroffen.

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Dabei erzählen Oscar-Preisträger und Executive Producer James Gay-Rees und Showrunner Kari Lia vom steinigen Weg bis zur Umsetzung, dem Umgang mit den Superstars der Szene, Video-Botschaften von Rappern und wie wichtig es war, dass sich die Profis "nackt machen".

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"Drive to Survive" war ein großer Erfolg und wurde zu einem weltweiten Phänomen. Warum haben Sie Tennis als Ihr nächstes Projekt gewählt?

James Gay-Rees: Das ist eine gute Frage. Ich hatte schon seit einigen Jahren immer wieder mit Wimbledon darüber gesprochen, etwas zu machen. Ich habe es aber nie ganz geschafft, das zu verwirklichen. Dann wurde es möglich, etwas im Tennis umzusetzen. Und wie Sie wissen, ist es eine komplizierte Welt mit den vier Grand-Slam-Turnieren, der ATP und der WTA. Es ist also nicht wie in der Formel 1, wo es nur ein Gremium gibt. Das Ganze wurde von einigen Tennis-Leuten intern angetrieben, und wir haben ziemlich schnell festgestellt, dass Netflix daran interessiert wäre. Aber es war nicht einfach, sechs Verträge zu bekommen. Dennoch waren wir sofort voll dabei, weil ich glaube, dass die meisten Leute auf irgendeiner Ebene Tennisfans sind. Es hat etwas mit der individuellen Natur des Sports zu tun. Ich erinnere mich daran, wie ich über die Jahre hinweg Andy Murray zugeschaut habe. Ich habe fast schon lächerlich emotional überreagiert und den Fernseher angeschrien. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich für viele Leute spreche. Tennis kann dich in den totalen Wahnsinn treiben, weil der Spielraum für Fehler so gering ist. Es ist einfach eine unglaublich emotionale Erfahrung. Deshalb dachte ich, dass wir etwas wirklich Interessantes daraus kreieren könnten.

Haben die Verantwortlichen die Idee von "Break Point" von Anfang an begrüßt oder mussten Sie sie überzeugen, Ihnen unbegrenzten Zugang zu gewähren?

James Gay-Rees: Nein, auf der obersten Ebene hatten wir natürlich die Zustimmung der Organisationen, aber dann haben Kari (Lia) und das Team mit den Beratern und den Spielerinnen und Spielern die Details ausgearbeitet, wie und wann wir die Serie machen würden.

Kari Lia: James und Paul (Martin, Anm. d. Red.) haben einen unglaublichen Job gemacht, um sicherzustellen, dass wir den vollen 360-Grad-Zugang haben, was entscheidend ist, um so etwas zu machen. Und dann gab es Schlüsselpersonen, die jeder von Anfang an an Bord haben wollte und von denen wir dachten: "Okay, diese Leute könnten ein fantastisches Jahr haben und das könnte interessant werden." Aber es geht auch darum, auf unser Bauchgefühl zu hören. Und manchmal lagen wir richtig, manchmal nicht. Aber meistens lagen wir richtig, und es war faszinierend, das zu sehen. Es geht also darum, welche Geschichten wir erzählen wollen. Wir haben am Anfang sehr offen darüber gesprochen. Wir wollen Geschichten darüber erzählen, wie einsam der Sport ist, über die unglaubliche mentale Ausdauer, über die psychischen Probleme, die damit einhergehen, über das Verlieren, darüber, wie es ist, ständig zu verlieren. Und dann will man Underdogs sehen, die einen unglaublichen Sieg erringen.

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Wenn man will, dass eine Show ein Erfolg wird, ist es naheliegend, sich auf die größten Stars zu konzentrieren, weil diese eine riesige Fangemeinde mitbringen. Sie haben sich jedoch dafür entschieden, sich auf die nächste Generation und die Zukunft des Tennis zu konzentrieren. Wie schnell haben Sie intern entschieden, welche Spieler Sie begleiten wollen?

James Gay-Rees: Wir haben wirklich die gesamte ATP- und WTA-Landschaft durchforstet. Die Leute dort konnten uns sehr gute Ratschläge geben, welche Spielerinnen und Spieler wo sind und warum wir uns möglicherweise für sie interessieren sollten, wer gute Geschichten liefert etc. Es ist anders als bei "Drive to Survive", wo im Grunde alle Teams dazu verpflichtet sind, sich zu beteiligen. Aber hier war es eher ein Blick in die Kristallkugel, um herauszufinden, welche Spielerinnen und Spieler sich in interessanten Phasen befinden und wer einen Sprung machen kann. Natürlich sind die "Big Four" und ihre ikonischen Geschichten recht gut bekannt. Wir sind große Fans dieser Jungs und es wäre interessant, etwas mit ihnen zu machen. Aber ich habe das Gefühl, dass es endlich eine kleine Wachablösung gibt, mit Alcaraz und Swiatek, um nur zwei von vielen zu nennen. Weil diese vier Spieler (Federer, Nadal, Djokovic, Murray, Anm.d.Red.) schon so lange so dominant sind, ist es gesund, in die Zukunft zu blicken, denn es wird eine Zukunft geben. Sie gehen jetzt nach und nach in den Ruhestand und es kommen einige unglaubliche Spieler und Persönlichkeiten nach. Diese hatten nicht den Raum, den sie jetzt haben könnten, weil die Jungs und Mädels vor ihnen so dominant waren. Es war also ein ziemlich organischer Prozess, und am Ende haben wir so ziemlich die Spieler bekommen, die wir bekommen wollten.

Stand die Auswahl immer fest oder sind Sie während der Saison mit dem Strom geschwommen? Denn man weiß immer, dass Nick Kyrgios eine tolle Geschichte liefert, aber man kann nicht erwarten, dass er ein Grand Slam gewinnt und das Finale eines anderen erreicht.

Kari Lia: Nein. Nick war jemand, der von Anfang an bei den Australian Open gefilmt wurde, vom ersten Tag an. Das war sehr interessant. Und dann gibt es natürlich eine Reihe von Leuten, von denen wir wussten, dass wir sie haben wollten, aber man muss abwarten, was mit ihnen passiert. Wir wollten zum Beispiel bei Roland Garros mit Ons Jabeur filmen, aber dann ist sie dort in der ersten Runde ausgeschieden, dafür aber ins Wimbledon-Finale eingezogen. Es hat auch niemand darauf gewettet, dass Nick in Wimbledon besonders gut abschneiden würde. Er hatte es noch nie so weit geschafft. Und das ist in unserem Film zu sehen. Ich glaube, für viele der jüngeren Spieler ist es das erste Mal, dass sie all das tun, wobei wir sie filmen. Es geht also nur darum zu sehen, wo sie ihren Moment haben. Und dann mussten wir sicherstellen, dass wir dabei waren, wenn es so weit war.

Waren die Spieler offen für die Dokumentation oder gab es auch schwierige Momente während der Dreharbeiten?

James Gay-Rees: Mit Sportlern ist es nie unkompliziert. Wir können nicht über Details sprechen, aber ob es nun um "Drive to Survive" geht oder um Golf oder was auch immer für Shows wir machen: Ihr Tagesgeschäft ist ihr Tagesgeschäft. Das muss man respektieren. Und ich denke, solange man eine Beziehung zu ihnen aufbaut und sie sich grundsätzlich darauf einlassen, muss man einfach schnell sein und ein gutes Gespür dafür haben, dass man manchmal einfach die Kamera weglegen muss.

Kari Lia: Natürlich möchte jeder gefilmt werden, wenn er gewinnt. Ich meine, das ist doch ein natürlicher menschlicher Instinkt, oder? Aber wir haben viel mit ihnen darüber gesprochen und gesagt: "Wenn ihr dabei seid, dann seid ihr dabei." Egal ob sie gewinnen oder verlieren und dass das wirklich wichtig ist. Wenn sie dann verloren haben, was unweigerlich der Fall ist, denn in der Show geht es viel mehr um das Verlieren als um das Gewinnen, mussten wir sie manchmal daran erinnern: "Das ist der Moment, darüber haben wir gesprochen." Und weil wir diese Gespräche geführt hatten, war es dann okay. Wir haben auch respektiert, genau wie James sagt, dass es manchmal besser ist, die Kamera wegzulegen und genau das haben wir dann getan. Wir haben ihnen mitgeteilt, dass sie jederzeit zu uns sagen können: "Das reicht." Und wissen Sie was? Nur sehr wenige haben das getan, weil das Vertrauen einfach da war.

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Können Sie uns irgendwelche verrückten Geschichten erzählen, die sich hinter den Kulissen abgespielt haben und die nicht in der Show vorkommen?

Kari Lia: Meine Lieblingsgeschichte hinter den Kulissen ist die, dass ich vor dem Wimbledon-Finale den Rapper Stormzy auf dem Flur traf und er über Nick Kyrgios sprach. Ich wusste, dass Nick Stormzy's Songs gehört hatte, als er sich auf das Finale vorbereitete. Darum fragte ich ihn: "Nick hört deine Musik, möchtest du ihm eine Nachricht schicken?" Und er war sofort Feuer und Flamme. Also habe ich ihn gefilmt und das Video dann Nick geschickt. Der war völlig aus dem Häuschen. Das war sehr lustig.

Wenn man die Folgen ansieht, dann fällt einem auf, dass Sie Rafael Nadal in drei von fünf Folgen als Antagonisten Ihrer Figuren eingesetzt haben. Kann man das so sagen?

James Gay-Rees: Ich denke, es passt einfach gut. Er hat zu dem Zeitpunkt eine Menge Turniere gewonnen, also kommt man nicht an ihm vorbei. Da Djokovic und Federer zu der Zeit nicht so oft dabei waren, war Nadal die verbliebene Säule der legendären Generation. Wenn das Thema der Show also gewissermaßen die Wachablösung war, dann repräsentiert er die alte Garde. Es überrascht mich also nicht, dass er so oft zu sehen ist, denn er ist immer noch im Geschäft. So einfach ist das. Es war keine Entscheidung, ihn bewusst einzubauen oder wegzulassen. Es war einfach so, dass er nicht verschwinden wollte (lacht).

Günther Steiner und Daniel Ricciardo wurden in "Drive to Survive" schnell zu Fan-Lieblingen. Wer, glauben Sie, wird in "Break Point" am ehesten in ihre Fußstapfen treten?

James Gay-Rees: Ich bin gespannt, was Kari denkt, aber ich glaube, es wird Nick Kyrgios sein. Ich denke, die Leute werden ihn besser verstehen, wenn sie die späteren Folgen sehen und sich mehr in ihn hineinversetzen können. Manche Leute lieben ihn. Andere lieben ihn nicht. Eine weitere Figur, die sich in der Serie erstaunlich entwickelt, ist Ajla Tomljanovic. Sie blüht im Laufe der Serie auf, besonders in der zweiten Hälfte, und es ist einfach erstaunlich, das zu sehen. Sie stiehlt definitiv ein bisschen die Show. Sie hat eine großartige Beziehung zu ihrem Vater, die auf dem Bildschirm wirklich deutlich wird, und ich glaube, die Leute werden sie lieben, weil sie sehr menschlich und normal ist und man sich leicht mit ihr identifizieren kann. Viele der Spieler werden sehr gut dabei wegkommen. In unserer Branche gibt es ein Sprichwort, das besagt, dass diese Shows nur dann funktionieren, wenn sich die Leute, die man filmt, nackig machen. Denn sonst hat es keinen Sinn. Viele von ihnen machen sich nackig und das finde ich sehr, sehr liebenswert. Man denkt sich: "Scheiße, ich hatte keine Ahnung, dass es so schwer ist, ein professioneller Tennisspieler zu sein. Respekt."

Kari Lia: Ich denke da an Frances Tiafoe, der in der zweiten Hälfte der Serie vorkommen wird. Er ist einfach fantastisch und seine Geschichte ist so unglaublich. Er wird jetzt wirklich erwachsen und findet sich. Das wäre einer für die Zukunft. Ich denke, man sollte ihn im Auge behalten.

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Die Tennis-Fans in Deutschland fragen sich natürlich, ob Alexander Zverev in der Zukunft zu sehen sein wird. Planen Sie, ihn in den kommenden Saisons zu begleiten?

Kari Lia: Es ist so schade. Ich habe ihn getroffen und mit ihm über die Serie gesprochen, und wir waren alle darauf vorbereitet, mit ihm zu filmen. Und dann hatte er natürlich diesen schrecklichen Unfall bei Roland Garros. Es ist so schade, er ist ein sehr interessanter Typ und ein fantastischer Spieler. Also, nein, ich denke, es hängt alles von der zweiten Staffel ab, für die noch kein grünes Licht gegeben wurde. Es hängt alles davon ab, was dort passiert. Aber er ist ein fantastischer Spieler und ein sehr interessanter Mensch. Es ist einfach so schade, was passiert ist.

Zu guter Letzt: Warum sollten sich nicht nur Tennisfans "Break Point" anschauen?

James Gay-Rees: Weil man eine Seite des Tennissports sieht, die man in keiner Fernsehsendung zu sehen bekommt. Im Leben geht es nur um das Timing. Ich denke, dass der Zeitpunkt richtig ist, um die Härte des Tour-Lebens zu beleuchten, denn es hat das Image eines schönen Jobs. Wenn man z.B. Wimbledon nimmt, dann gilt es als nett, höflich, gehoben und gebildet. Aber Tennis ist eine Schinderei. Die Leute haben ja keine Ahnung. Ich glaube, sogar die Tennisfans haben keine Ahnung, wie hart es ist, ein professioneller Tennisspieler zu sein oder wie schwer es ist, unter die Top 50 zu kommen oder unter die Top Ten zu kommen und dort zu bleiben. Es ist nicht einfach, es gibt so viele großartige Spieler, es ist so schwierig, seine Form zu halten. Der Profisport ist gerade deshalb so faszinierend. Ich bin zum Beispiel Liverpool-Fan. Ich sehe die Reds spielen und frage mich: "Wie konntest du den nicht reinmachen?!" Ich habe keine Ahnung, wie leicht oder schwer es ist, den Ball im Tor unterzubringen. Ich denke, das Gleiche gilt auch für Tennis. Es ist unglaublich schwierig, den Sport auf diesem Niveau zu spielen. Wenn wir das Verständnis dafür erhöhen können, werden Fans und Nicht-Fans die Serie zu schätzen wissen.

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