Kein Lionel Messi, kein Kylian Mbappé: Bei PSG ist die Zeit der Superstars vorbei

Von Thomas Hindle
psg-montage
© SPOX

Paris Saint-Germain hat Lionel Messi verloren. Kylian Mbappé dürfte der nächste sein. Bei Frankreichs Edelklub deutet sich eine Zeitenwende an.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

PSG hat letzte Woche die erste kostspielige Verpflichtung des Sommers getätigt. Es ist Manuel Ugarte.

Wer nicht regelmäßig die Europa League oder Portugals Primeira Liga verfolgt, mag den Namen gar nicht kennen. Das liegt daran, dass er ein eher unspektakulärer Fußballer ist. Ugarte ist ein 1,80 Meter großer defensiver Mittelfeldspieler, der viele Dinge gut macht, aber selten heraussticht. Der 22-Jährige ist ein bärenstarker Zweikämpfer mit blitzgescheitem Passspiel und beeindruckender Physis. Sein Potenzial ist riesig, auch wenn er längst noch kein fertiger Spieler ist.

Damit passt er trotz seiner Ablöse von 60 Millionen Euro so gar nicht in das PSG-Beuteschema der letzten Jahre. Da hätten die Verantwortlichen des Ligue-1-Meisters wohl eher händeringend versucht, schnell einen hochkarätigen Ersatz für den abwandernden Superstar Lionel Messi an Land zu ziehen. Mohamed Salah vom FC Liverpool wäre solch ein Spieler gewesen.

Stattdessen hat PSG mit Ugarte einen Rohdiamanten geholt, der eine Baustelle im aktuellen Kader schließt. Ausdruck eines strategischen Umdenkens? Denn seit der Verpflichtung Neymars für 222 Millionen Euro Ablöse im Jahr 2017 setzten die Pariser Verantwortlichen bei ihren Transfers immer wieder auf große Stars, die sich auf dem Höhepunkt ihres Schaffens oder schon kurz darüber hinaus befanden. Starappeal ging vor Sinnhaftigkeit, große Namen wurde für horrende Summen geholt, auch wenn sie nicht unbedingt in den Kader passten.

Auch deshalb wurde der große Wurf in der Champions League verpasst. Der Erfolg beschränkte sich auf nationale Titel, die aber den Hunger von Fans und Öffentlichkeit nicht zufriedenstellten.

Ugartes Transfer könnte der Startschuss zu einer sympathischeren Herangehensweise sein - und auch die wahre Geburtsstunde eines Projekts, das die Pariser seit Jahren versprechen.

neymar
© getty

Pseudo-Galacticos: PSG agiert maßlos auf dem Transfermarkt

PSGs Volltrefferquote bei Sommerneuzugängen war in den letzten Jahren nicht besonders gut. Eine Art Pseudo-Galacticos-Politik wurde betrieben und die größtmöglichen Namen wurde geholt. Egal, ob sie ähnliche Positionen bekleideten.

In den ersten Jahren nach der Übernahme der Pariser durch Qatar Sports Investment im Jahr 2011 machten die namhaften Einkäufe noch halbwegs Sinn. Die großen Namen kamen in Scharen und brachten dem Klub die erwünschte Publicity. Zuerst war es Javier Pastore. Dann kam Thiago Silva, gefolgt von Zlatan Ibrahimovic. Im darauffolgenden Sommer war es Edinson Cavani. Damals wurde noch nicht bei 50 Millionen Euro mit der Schulter gezuckt, weil das alltäglich geworden war. So stellten die 65 Millionen Euro, die für Cavani nach Neapel flossen, eine horrende Summe dar.

Verständlich war es in Maßen zunächst dennoch: Der Klub war noch dabei, sich zu etablieren. Paris war ein großer Markt, der Klub hatte coole Trikots und ein legendäres Stadion. Die ersten Schachzüge der QSI-Ära waren in gewisser Hinsicht taktisch und abzielend auf Vermarktbarkeit. Man drängte mit aller Macht in das Konzert der Großen.

Aber schon bald wurde das Ganze maßlos. Im Jahr 2017 war Neymar zu haben, nachdem er sich in Barcelona mit Luis Enrique zerstritten hatte und danach lechzte, die absolute Nummer eins in einer Mannschaft zu sein. Etwas, das mit Lionel Messi und Luis Suárez an seiner Seite bei Barca nicht möglich schien. PSG zückte das vom Staat finanzierte Scheckbuch und investierte stolze 222 Millionen Euro in seinen ersten Superstar.

Geld spielte spätestens nun keine Rolle mehr und das maßlose Einkaufen nahm seinen Lauf. Kylian Mbappé kam, weil er das französische Aushängeschild werden sollte. Messi kam, weil er 2021 verfügbar war. Dazu kam mit Achraf Hakimi ein offensivstarker Außenverteidiger, um eine Mannschaft zu verstärken, der es an defensiver Stabilität mangelte. Gianluigi Donnarumma unterschrieb für ein Jahresgehalt von zwölf Millionen Euro, obwohl PSG im Tor noch Keylor Navas hatte.

Letztes Jahr gab PSG über 100 Millionen Euro für vier zentrale Mittelfeldspieler aus. Einer von ihnen, Renato Sanches, hatte seit 2016 nicht mehr als 20 Spiele in einer Saison bestritten. Die drei anderen (Carlos Soler, Vitinha und Fabián Ruiz) passten nicht zusammen. Diese Liste ließe sich noch ewig fortsetzen.

asensio
© getty

Wen holt PSG in diesem Sommer noch?

Nun kehrt sich der Trend um. Während PSG sich anstrengte, stets die Spieler mit den meisten Followern und dem größten Standing in den Parc des Princes zu lotsen, deutet sich nun das Gegenteil an: Messi geht zu Inter Miami, Sergio Ramos ist auch weg, und Kylian Mbappé verlässt den Klub vermutlich noch in diesem Sommer.

Große Stars sind für PSG nun aber nicht verfügbar. Vinícius Júnior hat bei Real Madrid gerade die Nummer '7' übernommen und steht langfristig unter Vertrag. Erling Haalands Verbleib bei Manchester City ist in diesem Sommer in Stein gemeißelt und Liverpool wird Mohamed Salah gewiss nicht verkaufen.

So ist PSG schließlich gezwungen, sich anderweitig umzusehen. Ugarte war der Anfang, aber das von Berater Luis Campos geleitete Team hat bereits einige Schritte unternommen. Marco Asensio wurde ablösefrei geholt, nachdem er sich mit Real nicht auf einen neuen Vertrag einigen konnte. Er ist nicht mehr der Spieler, der er einmal war - ein Kreuzbandriss bremste seine Karriereentwicklung. Aber er ist immer noch ein erstklassiger Rechtsaußen, ein Spieler, der gut genug ist, um für PSG zu spielen und der auf der Position Messi ersetzen kann.

Auch der Südkoreaner Lee Kang-in (RCD Mallorca) soll laut Foot Mercato bald für PSG spielen. Als offensiver Mittelfeldspieler war er im vergangenen Jahr eine der größten Überraschungen in LaLiga und führte den Klub mit 13 Torbeteiligungen in die obere Tabellenhälfte. Mit einer Ablöse von weniger als 20 Millionen Euro wäre der 22-Jährige eine sinnvolle Kaderergänzung.

Ebenfalls auf dem Sprung soll Bernardo Silva stehen. Bereits im letzten Jahr war er ein Kandidat, allerdings scheiterte es an einer Einigung mit ManCity. Der Portugiese pflegt eine gute Beziehung zu Campos und strebt nach dem großen Erfolg in Manchester in diesem Sommer einen Wechsel an. Er wäre ebenfalls ein exzellenter Transfer und kann in der Offensive so ziemlich jede Position bekleiden.

Mit Milan Skriniar vom Champions-League-Finalisten Inter Mailand wurde der Transfer eines starken Innenverteidigers bereits frühzeitig und ablösefrei eingetütet. Womöglich kommt noch ein zweiter Mann für die Defensivzentrale, die sich in dieser Saison nicht immer sattelfest präsentiert hat und in der mit Presnel Kimpembe ein Spieler mit einer schweren Achillessehnenverletzung noch lange ausfällt.

Das größte Fragezeichen steht im Sturm. Geht Mbappé, spricht viel dafür, dass sich PSG um dessen Nationalmannschaftskamerad Randal Kolo Muani von Eintracht Frankfurt bemüht. Er ist jung, stammt aus dem Pariser Speckgürtel und wäre auf vielen Ebenen ein Transfer, der dem Hauptstadtverein gut täte. Kolo Muanis Ablöse wäre happig, allerdings mit der zu erwartenden Einnahme aus einem Mbappé-Verkauf locker stemmbar.

sergio-ramos
© getty

Wer verlässt PSG in diesem Sommer?

Der Zeitpunkt für einen Umbruch ist gerade ohnehin günstig. Messi, Ramos und Mbappé machen große Ressourcen im Gehaltsetat frei. Eine ganze Reihe von ausgeliehenen Spielern wird ihnen folgen: Mauro Icardi, Leandro Paredes, Julian Draxler, Gini Wijnaldum und Keylor Navas spielen in den Zukunftsplänen keine Rollen mehr und sollen abgegeben werden.

Und dann ist da die Frage, wie es mit dem verletzten Neymar weitergeht. Auch er sollte eigentlich gehen, um viel Geld einzusparen.

nagelsmann
© getty

PSG: Die Trainerfrage

Über der Personalplanung schwebt an der Seine noch immer die ungeklärte Trainerfrage. Der Abgang Christophe Galtiers gilt als sicher, wenngleich er nicht offiziell verkündet wurde. Als aussichtsreichster Kandidat auf seine Nachfolge gilt Julian Nagelsmann. Eine schnelle Klärung wäre wünschenswert, um nicht irgendwann einem Trainer einen fertigen Kader vorzusetzen, ohne dass dieser Einfluss auf die Gestaltung nehmen konnte.

Galtier ließ häufig eine spezielle 3-4-1-2-Formation spielen. Auch dadurch mangelt es in Paris an fähigen Flügelspielern und Kreativität in der Zentrale. Ugarte, Silva (falls er denn kommt) und Asensio könnten diese Defizite schonmal mildern, dazu kommen noch talentierte Eigengewächse wie der junge Warren Zaïre-Emery.

Klar ist: Der neue Trainer muss die Mannschaft komplett neu aufbauen und ein System finden, in dem die Stärken des Kader bestmöglich zur Geltung kommen und die benannten Schwächen optimal kaschiert werden.

psg-bosse
© getty

PSG: Und was ist mit der Champions League?

Die Pariser geben derzeit also einen Vorgeschmack auf ein Transferfenster, das von Pragmatismus und Nüchternheit geprägt ist. Ugarte, Asensio und bald auch Silva sind allesamt maßvolle Neuzugänge, das genaue Gegenteil der impulsiven Arroganz der letzten Jahre.

Aber wo genau will PSG damit hin? Es ist kein Geheimnis, dass die Pariser die Champions League anstreben. In der Tat sind sie seit fast zehn Jahren ein perfektes Beispiel dafür, wie man den Wettbewerb nicht gewinnen kann.

Mbappes wahrscheinlicher Abgang trübt die Lage noch mehr. Falls der Rekordtorjäger wie erwartet den Verein bis Ende August verlässt, wirkt ein Gewinn der Königsklasse im nächsten Jahr utopisch. Langfristig könnte es aber eine gute Sache sein, denn es ermöglicht den Aufbau einer neuen Mannschaft, die klug zusammengestellt und ohne den ganz großen Druck agieren kann. Eine PSG-Version ohne Mbappe kann die Ligue 1 immer noch ganz bequem gewinnen, während die Neuzugänge dazu beitragen könnten, eine weitaus ausgeglichenere Mannschaft aufzubauen.

Diese sinnvollen Neuverpflichtungen werden sich nicht sofort auszahlen. Aber in fünf Jahren, falls PSG auf dem Transfermarkt die Nerven behält, blickt man auf diesen Sommer vielleicht als Beginn des richtigen PSG-Projekts.

Artikel und Videos zum Thema