Leroy Sané bleibt beim FC Bayern München ein Rätsel - aber Thomas Tuchel liefert Erklärungsansätze: Die große Analyse zum Formtief

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Nach einer grandiosen Hinrunde schlitterte Leroy Sané seit der Winterpause in ein eklatantes Formtief. Das hat beim 28-jährigen Flügelstürmer bereits Tradition. Trainer Thomas Tuchel enthüllte nun gesundheitliche Probleme, Bundestrainer Julian Nagelsmann empfiehlt freie Tage. Sané steht vor wegweisenden Monaten.

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Diese feine Ballbehandlung, diese blitzartigen Dribblings, diese genialen Pässe, diese präzisen Abschlüsse - und vor allem auch diese Arbeit gegen den Ball: Leroy Sané war der beste und konstanteste Bayern-Spieler der Hinrunde.

Woran das beeindruckende Formhoch lag? "Wir wissen es nicht", sagte Thomas Müller damals. Ja, genau der Thomas Müller, der eigentlich zu allem etwas weiß. Und wenn er mal nichts weiß, trotzdem eine Erklärung abgibt. Sané aber scheint selbst Müller ein Rätsel zu sein.

Schickte Sané im Herbst seinen besseren Zwillingsbruder, oder jetzt seinen schlechteren? Es kann sich doch unter keinen Umständen um dieselbe Person handeln. Die Unterschiede zwischen dem Damals- und dem Jetzt-Sané sind schlicht zu frappierend. Sowohl was seine Leistungen angeht, als auch seine Körpersprache. Gewissermaßen ist Sané die Personifizierung des Münchner Abwärtstrends, der in der Sommer-Trennung von Trainer Thomas Tuchel mündete.

FC Bayern München, Leroy Sané, Harry Kane, Eric Dier
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Leroy Sané: Einbruch bei den Scorerpunkten - aber nicht in allen Kategorien

Vor der Winterpause verzeichnete er in 24 Pflichtspielen 18 Scorerpunkte, seitdem waren es drei in neun - wobei zwei Assists auf den 3:0-Sieg beim Rückrundenauftakt gegen die TSG Hoffenheim entfielen. In sieben der letzten acht Spielen blieb Sané demzufolge ganz ohne Torbeteiligung, auch beim 2:1-Sieg gegen RB Leipzig am Samstag.

Interessant ist bei Sané aber auch ein Blick auf die Statistiken, die über Scorerpunkte hinausgehen. Im Vergleich zwischen Hinrunde und Rückrunde baute er zwar in den meisten Kategorien ab. Jedoch nicht dermaßen eklatant, wie die tatsächlichen Spieleindrücke vermuten lassen würden. Teilweise steigerte er sich sogar. Sané macht folglich beileibe nicht alles schlecht, trifft in den entscheidenden Situationen nun aber offensichtlich falsche Entscheidungen.

Leroy Sané: Statistik-Vergleich zwischen Hinrunde und Rückrunde

KategorieHinrundeRückrunde
Einsatzminuten1914695
Scorerpunkte183
Passquote84,2283,73
Zweikampfquote45,9348,24
Erfolgsquote bei Dribblings56,2960,47
Expected Goals pro 90 Minuten0,470,24
Expected Assists pro 90 Minuten0,380,3
Schüsse pro 90 Minuten3,012,85
Chancen kreiert pro 90 Minuten2,872,46
Ballgewinne pro 90 Minuten4,094,92
Ballverluste pro 90 Minuten17,0717,35
Union Berlin, FC Bayern München, Bundesliga, heute live, Leroy Sané
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Abwinken statt Lächeln: Leroy Sanés Rückschritt bei der Körpersprache

Statistisch nicht erfasst wird die Kategorie Körpersprache. Im Herbst wirkte Sané stets positiv, hatte sichtlich Spaß am Platz. Und nun? Als ihn Trainer Thomas Tuchel beim 0:1 gegen Werder Bremen Ende Januar auf die linke Außenbahn vor eine Dreierkette versetzte, beklagte sich Sané gestenreich. Nachdem die chancenlosen Münchner im Topspiel gegen Bayer Leverkusen den Endstand zum 0:3 kassiert hatten, drosch er den Ball zunächst wutentbrannt auf die Tribüne und schlug anschließend die Tor-Kamera zu Boden.

Vor dem ersten Gegentor gegen Leverkusen verteidigte Sané viel zu inkonsequent, Leon Goretzka und Dayot Upamecano ärgerten sich sichtlich über ihren Teamkollegen. Auch bei der 2:3-Pleite gegen den VfL Bochum fiel Sané mit mangelhaftem Defensivverhalten auf.

In Bochum wechselte Tuchel Sané nur ein, gegen Leipzig beorderte er ihn wieder in die Startelf. Von Beginn an fiel Sané mit unerklärlichen Fehlern auf. In der 34. Minute verplemperte er eine Riesenchance leichtsinnig, in der 42. blockte er einen Abschluss von Harry Kane und haderte anschließend so intensiv, dass er ganz vergaß nachzusetzen. Nachdem Sané in der 65. Minute für Mathys Tel ausgewechselt worden war, verschwand er direkt in den Stadion-Katakomben.

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"Wellental mit Schmerzen": Thomas Tuchel enthüllt Probleme bei Leroy Sané

Sané habe über Schmerzen geklagt, enthüllte Tuchel anschließend - und das nicht erst beim Duell mit Leipzig. "Ich spüre, dass er ständig auf die Zähne beißt und ein bisschen zu viel draufbeißt. Heute ging es dann nicht mehr. Wir hatten den Wechsel eh vorbereitet und er hat ihn dann auch eingefordert", sagte Tuchel. Sané durchschreitet laut dem Trainer "seit ein paar Tagen, seit ein paar Wochen ein Wellental mit Schmerzen".

Was Sané genau schmerzt, behielt Tuchel für sich. Zumindest teilweise führt der Trainer darauf aber Sanés Formtief zurück: "Er ist nicht ganz frei, so wie er sich bewegt, wie er sprintet, wie er abstoppt. Das hat dann auch einen Einfluss auf seine Passgenauigkeit. Es ist im Moment eine schwierige Phase für ihn mit vielen Ballverlusten." Immerhin lobte Tuchel Sanés "Aufwand gegen den Ball".

Warum ihm Tuchel trotz Schmerzen und offensichtlichem Formtief zuletzt nicht mehr Pausen gewährte, erscheint unterdessen äußerst fragwürdig. Die Münchner leiden zwar unter einer tragischen Verletzungsmisere, gerade in der Offensive gab es aber stets hochkarätige Alternativen. Mathys Tel wartet beispielsweise seit Ende November sehnsüchtig auf eine Startelf-Chance. Thomas Müller und Eric Maxim Choupo-Moting saßen ebenfalls oft nur auf der Bank.

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Wiederkehrendes Muster: Frühlings-Formtiefs haben bei Leroy Sané Tradition

So eklatant wie in dieser Saison war Sanés Leistungsabfall nach der Winterpause wohl noch nie, generell ist diese Entwicklung bei ihm aber kein neues Muster: In jeder Saison seit seinem 49 Millionen Euro schweren Wechsel von Manchester City zum FC Bayern 2020 baute Sané im Laufe der Spielzeit ab. 2021/22 trieb er damit den jetzigen Bundestrainer Julian Nagelsmann zur Verzweiflung.

"Leroy ist schon speziell. Ein toller Mensch mit feinem Charakter. Aber auf dem Platz mit Ecken und Kanten", sagte sein alter und neuer Trainer Nagelsmann nun im Interview mit dem Spiegel. Wie kaum ein anderer Spieler lebt Sané vom Gefühl, vom Selbstvertrauen. "Mit Frustration kann er schlechter umgehen, etwa wenn ein Pass nicht ankommt", ergänzte Nagelsmann. "In einem guten Mannschaftsgefüge kann man so was auffangen, und am Ende profitieren alle von ihm. Denn er hat als Fußballer etwas Besonderes, kann Spiele entscheiden."

In den kommenden Testspielen muss der Bundestrainer ohne Sané auskommen. Nach starken Auftritten bei den ersten beiden Nagelsmann-Länderspielen gegen Mexiko und die USA leistete sich Sané bei der Niederlage gegen Österreich eine Tätlichkeit und wurde anschließend für drei Partien gesperrt.

Womöglich tun Sané die Pausen nicht nur aus gesundheitlichen Gründen ohnehin gut. Auch Tuchel, seinem Nachfolger als Bayern-Trainer, empfahl Nagelsmann: "Leroy Sané bekommt man damit, wenn man ihm mal einen freien Tag in Aussicht stellt. Dann hat er danach wieder den Kopf frei und ist voll bei der Sache."

LEROY SANÉ, DFB-Team
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Leroy Sané steht vor richtungsweisenden Monate beim FC Bayern und DFB

Eine baldige Rückkehr zur Formstärke wäre für Sané von ursächlicher Bedeutung, liegen doch richtungsweisende Monate vor ihm. Bei der Heim-EM im Sommer will er gemeinsam mit seinen Generations-Genossen Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Serge Gnabry & Co. in der Nationalmannschaft das notorische Verlierer-Image abstreifen.

Beim FC Bayern geht es um seine Zukunft. Sanés Vertrag läuft 2025 aus. Verlängern oder verkaufen lautet in solch einer Situation die Devise. Kürzlich wechselte Sané den Berater, nun wird er von derselben Agentur wie sein Kumpel Jamal Musiala betreut. Als Hinweis auf einen angestrebten Wechsel sollte das nicht gedeutet werden. Bei einem Fanclub-Besuch Ende Januar stellte der 28-Jährige erstaunlich offen eine Vertragsverlängerung in Aussicht. "Wir sind auf einem sehr, sehr guten Weg", sagte er und sprach sogar von einem möglichen Karriereende in München.

Zu einer Vertragsverlängerung zählen aber bekanntlich zwei Parteien, konkrete Gespräche über einen neuen Kontrakt wurden laut kicker noch nicht geführt. Spätestens seit der angekündigten Sommer-Trennung von Tuchel stehen alle Spieler des FC Bayern unter besonderer Beobachtung. Nach der Saison wird ein großer Kader-Umbruch erwartet, dem auch prominente Spieler wie Sané zum Opfer fallen könnten.