FC Bayern - Formation mit Dreierkette in der Taktikanalyse: Der Linien-Effekt und jede Menge Cancelo

Von Constantin Eckner
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Bayern München zeigt sich taktisch verändert, vitalisiert durch Neuzugang João Cancelo, und streicht fast zwangsläufig einen Sieg in Mainz ein. Auch wenn die Bayern nur eine Halbzeit wirklich optimal performten, lässt sich darauf aufbauen.

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Nach einer kurzzeitigen Ergebniskrise hat sich Bayern München am Mittwoch mit einem 4:0-Sieg über Mainz 05 zurückgemeldet. Einher mit dem Erfolg im Pokal-Achtelfinale ging eine Formationsumstellung von Cheftrainer Julian Nagelsmann. Die Bayern spielten nicht wie zuvor im 4-2-3-1, auf das auch die Mainzer vorbereitet schienen, sondern in einer Art 3-1-4-2. Inwieweit es in der Vorbesprechung konkrete Vorgaben von Nagelsmann gab, wie die Grundformation positionell ausgestaltet werden sollte, lässt Raum für Spekulation.

Allerdings zwingen derartige Umstellungen ohnehin jeden Spieler, sich entsprechend anzupassen. Einiges im Spiel der Bayern wirkte vor allem instinktiv oder aus dem Moment heraus geboren. Stellvertretend steht eigentlich der gesamte Auftritt von Neuzugang João Cancelo, der als rechter Flügelläufer aufgeboten worden war. Gerne werden die zwei Akteure auf den Außenbahnen in einer Formation mit Dreierkette als "Schienenspieler" bezeichnet. Auf Cancelo trifft der Begriff allerdings nicht zu, denn geradlinig war das Spiel des Portugiesen nur bedingt.

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FC Bayern, Taktikanalyse: Die Flügelzange überzeugt

Ähnlich wie schon in den Vorjahren unter Pep Guardiola besetzte Cancelo punktuell den nächstgelegenen Achter-Raum. Nicht nur entstanden dadurch eine Raute im Mittelfeld und entsprechend auch einige Dreierecke, sondern die Bewegungen Cancelos im frühen Spielaufbau führten auch zu einer Entlastung Kimmichs, der sich momentan vor allem auf die Basics konzentriert. Pavard übernahm meist im weiteren Verlauf von Angriffen eine verkappte Sechserposition neben Kimmich.

In Erinnerung bleiben sicherlich die tiefen Flügelläufe und Flanken Cancelos, die den offensichtlichsten Unterschied etwa zu einem Rechtsverteidiger Pavard oder einem Rechtsaußen Serge Gnabry darstellten. Aber das initiale Positionsspiel von Cancelo, der unter Guardiola immerzu an seinen inversen Bewegungen arbeiten konnte, war mit ein Grund für die zeitweilige Stabilität im Ballbesitzspiel der Bayern.

Die Flügelzange Cancelo und Kingsley Coman wusste in Mainz zu überzeugen, spielte jedoch anders als bayerische Flügelpaarungen der Vergangenheit. Zudem könnte es sein, dass Alphonso Davies in dieser Formation auf der linken Seite häufiger den Vorzug erhält, denn als die Bayern tiefer verteidigen mussten, wirkte Coman im Positionsspiel an der letzten Linie nicht immer sattelfest. Cancelo hingegen kann beides: progressiver Außenverteidiger in einer Viererkette oder Flügelläufer vor und neben einer Dreier-Abwehr.

Cancelo steuerte in der Regel zwei Räume an, Pavard besetzte vielfach im Verlauf von Angriffen den Sechserraum
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FC Bayern, Taktikanalyse: Linien sind immer gut

Was die Umstellung gegen Mainz mit sich brachte, war ein stärker gestaffeltes Bayern-Team. Es gilt gemeinhin die Faustregel: Je mehr Linien ein Team hat, desto proaktiver kann es den eigenen Ballbesitz gestalten. Normalerweise sind damit die Horizontallinien gemeint, die mit den traditionellen Nummern-Angaben widergespiegelt werden.

Bayern stand am Mittwoch neutral betrachtet in einem 3-1-4-2, aber daraus ergaben sich innerhalb der Ballbesitzphasen noch einige weitere Linien - weil beispielsweise Cancelo rechts und Kingsley Coman links ihre positionelle Höhe variierten, weil Thomas Müller selten neben Eric Maxim Choupo-Moting agierte und weil Jamal Musiala auch nicht direkt den Raum neben Leroy Sané bespielte.

Ergo bildeten sich situativ mehr Linien, die Staffelungen wurden komplexer und das Passspiel gefälliger. Gut zu erkennen war der Effekt vorm ersten Treffer der Bayern, als gleich fünf Spieler zunächst auf einer Linie vorm Strafraum von Mainz standen, aber dann die gegenläufigen Bewegungen einsetzten.

Hinzu kam aufgrund der vertikalen Staffelung, auf die etwa ein Guardiola noch mehr Wert legt, dass Bayern im Spielaufbau eine fast schon automatische Dreiecksbildung besaß und das Pressing der zunächst nicht optimal positionierten Heimmannschaft ins Leere laufen ließ. Mainz gelang es in der zweiten Halbzeit, die erste Pressingphase besser abzusichern, weil sich die Mittelfeldreihe intelligenter in die Passwege stellte und die hinteren Verteidiger nicht vogelwild nach vorn rausrückten.

Schematische Darstellung der zahlreichen Dreiecke, die Mainz gerade in der ersten Halbzeit nicht gut verteidigen konnte, weil die Hausherren flach verteidigten, wenn das Pressing nicht griff.
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FC Bayern, Taktikanalyse: Dreierkette wackelt gehörig

Es gibt viele positive Ansätze, die aus dem 4:0-Sieg mitgenommen werden können. Da wären beispielsweise die angesprochene Rolle von Cancelo, die freien Bewegungen Müllers sowie Musialas Spielgestaltung, die weniger auf komplexen Durchbrüchen beruhte, sondern wirklich zunächst eine Gestaltung von Angriffszügen war. Was jedoch nicht funktionierte und gegen einen vorbereiteten Gegner auch problematisch werden könnte, ist die Funktionsweise der Dreierkette bei eigenem Ballbesitz.

Eigentlich ergaben sich besonders in der ersten Halbzeit für die drei Verteidiger regelmäßig Anspielstationen, die ohne übermäßig großes Risiko zu erreichen waren. Allerdings wirkte Matthijs de Ligt auf der für ihn ungünstigen linken Seite unsicher, was an einige Einsätze im Trikot von Juventus erinnerte. Darüber hinaus war Dayot Upamecano ein weiterer Unsicherheitsfaktor, weil ihm teils die Präzision, teils die Passgewichtung abging.

Der Franzose hat in Leipzig häufiger unter Nagelsmann als Mittelmann einer Dreierkette agiert, wobei er damals vielfach mit dem Ball nach vorn stoßen durfte und quasi eine Überbrückung des Mittelfelds initiierte. Diese risikoreiche Spielweise passt weniger zum FC Bayern, und sie traut sich Upamecano in seiner aktuellen Rolle im Team auch nicht zu.

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Das führt zum abschließenden Punkt: Die Grundformation erinnerte natürlich zumindest von der reinen Aufteilung her an vorherige Nagelsmann-Teams. In Hoffenheim und Leipzig hatte er nahezu eine Carte blanche, wenn es darum ging, taktische Änderungen zu vollziehen, auch mal ein wenig zu experimentieren und hohes Risiko einzugehen. Seit seiner Ankunft in München ist aufgrund des hohen Anspruchs und Drucks wenig davon zu sehen. Harakiri-Auftritte kann sich der 35-Jährige nicht leisten.

Wie viel Input er momentan hat, wird sich noch zeigen. Dass Nagelsmann nach der Partie - wohl fälschlicherweise - davon sprach, dass sich die Spieler auch mal ohne ihn zusammengesetzt haben, erweckt fast den Eindruck, als hätte der Cheftrainer nur bedingt an der Partie in Mainz mitgewirkt.

Sein Input wird aber gefragt sein, wenn sich Gegner auf die veränderte Spielweise einstellen und beispielsweise einen de Ligt von innen anlaufen und auf den linken Fuß zwingen oder Müller im Zwischenraum besser von außen abschnüren, damit er nicht so viel Zeit für seine Pässe hat. Dann reicht eine bloße Formationsumstellung nicht mehr aus.

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