Themenwoche zum Fußball in Russland: Lew Jaschin, der beste Torwart aller Zeiten

Lew Jaschin versucht beim Semifinale der WM 1966 einen Schuss von Uwe Seeler zu parieren.
© imago

Lew Jaschin hielt im Laufe seiner Karriere 151 Elfmeter, gewann als bisher einziger Torwart der Fußball-Geschichte den Ballon d'Or und spielte seine gesamte Karriere für Dynamo Moskau. Um Topleistungen abzurufen, vertraute er auf Zigaretten und Schnaps.

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Im Rahmen der Themenwoche 'Fußball in Russland' stellt SPOX den legendären Torhüter der Sbornaja vor.

1953, nur drei Jahre nach seinem Debüt für die erste Fußball-Mannschaft von Dynamo Moskau gewann Jaschin bereits seinen ersten Titel: den sowjetischen Pokal. Jedoch nicht im Fußball, sondern im Eishockey. Weil er auch in der Liga überzeugte und dort zum drittbesten Keeper der Saison gewählt wurde, stand er sogar vor einer Nominierung in den sowjetischen Kader für die anstehende Eishockey-WM in Stockholm. Mitgefahren ist er aber nicht, er widmete sich lieber wieder dem Fußball.

Die beiden bisherigen Dynamo-Torhüter Walter Sanaja und Alexei Khomich verließen den Klub, Jaschin wurde Stammkeeper. In der folgenden Saison bejubelte er erneut einen Pokalsieg, diesmal im Fußball. Und außerdem den Meistertitel. Das Double. Jaschin wurde ins Nationalteam berufen und fuhr 1958 doch noch zu einer WM nach Stockholm, zur Fußball-WM. Die Sowjetunion scheiterte zwar im Viertelfinale, aber Jaschin wurde zum besten Torwart des Turniers gewählt - und erreichte dadurch weltweite Bekanntheit.

Diese Jahre waren der Beginn einer großen Karriere. Einer Karriere, für die Jaschin 2000 - zehn Jahre nach seinem Tod - von der FIFA den Titel "Jahrhundertkeeper" verliehen bekam. Und einer Karriere, die davor eigentlich schon beendet war.

Zigarette für die Nerven, Schnaps für die Muskeln

Während des zweiten Weltkriegs spielte Jaschin in der Werksmannschaft der Rüstungsfabrik, in der er arbeitete. Dort entdeckte ihn Dynamo. 1949 trat Jaschin dem Klub bei, bis zu seinem Karriereende sollte es sein einziger blieben.

Bei seinem Premiereneinsatz für die erste Fußball-Mannschaft von Dynamo aber, einem Freundschaftsspiel, kassierte Jaschin ein Tor durch einen direkten Abstoß des gegnerischen Keepers. Nach zwei weiteren enttäuschenden Einsätzen beorderte ihn der Trainer wieder auf die Bank. Um fit zu bleiben, spielte Jaschin eben Eishockey. Und manchmal auch Basketball, Tennis oder Wasserball. Als sich drei Jahre später die zweite Chance im Fußball bot, nutze er sie.

Jaschin begann eilig, das Torwartspiel zu revolutionieren. Bei der WM 1958 soll er der erste Keeper gewesen sein, der Handschuhe trug. Er verstand es aber nicht nur mit seinen Handschuhen umzugehen, sondern auch mit seinen Schuhen. Bekannt war er vor allem für sein sicheres Passspiel und seine schnellen Spieleinleitungen. "Er spielt besser Fußball als ich", sagte einst der italienische Ex-Nationalspieler Sandro Mazzola, der nachweislich sehr gut Fußball spielte.

Besonders in den wichtigen Spielen rief Jaschin stets seine besten Leistungen ab. Etwa im Olympia-Finale 1956 oder im EM-Finale 1960, beide Spiele mit der Sowjetunion gewann er. "Ich habe einen ganz einfachen Trick", erklärte er. "Ich rauche eine Zigarette, um die Nerven zu beruhigen, und trinke anschließend einen Schluck Schnaps, um die Muskeln zu stärken."

Jaschins 151 gehaltene Elfmeter

Nach dieser Vorbereitung warf sich Jaschin stets in seine schwarze Kleidung. So ist er nämlich in Erinnerung geblieben: schwarze Stutzen, schwarze Hose, schwarzes Trikot und auf dem Kopf seine berühmte schwarze Kappe. "Black Spider", riefen sie ihn deshalb. Gegnerischen Schützen soll Jaschin bei Elfmetern wie eine Spinne vorgekommen sein, so schnell bewegten sich seine Arme. Auch wenn sie es nicht glauben wollten, aber auch er hatte tatsächlich nur zwei.

151 Elfmeter hielt Jaschin der Legende nach im Laufe seiner Karriere, mehr als jeder andere Torwart der Fußball-Geschichte. "Die Freude, den sowjetischen Astronauten Juri Gargarin im All fliegen zu sehen, wird nur von der nach einer guten Elfmeterparade übertroffen", sagte Jaschin.

Bei der WM 1958 verwehrte ihm der englische Nationalspieler Tom Finney diese Freude. Die Sowjetunion führte mit 2:1, als England einen Elfmeter zugesprochen bekam. "Ich trat an und im Tor stand Jaschin, ein unglaublicher Torwart, der einen mit seiner Statur und seiner schwarzen Kleidung ganz schön einschüchterte", erzählte Finney später.

Die einzige Möglichkeit, die er sah um ihn zu überwinden, war die Überraschung. "Ich beschloss, mit meinem schwächeren rechten Fuß zu schießen, weil ich wusste, dass er bereits Elfmeter von mir gesehen hatte, die ich mit links ausgeführt hatte", sagte Finney. "Und ich habe verwandelt. Ich habe Jaschin ausgetrickst!"

Ballon d'Or, Lenin-Orden, Poster und ein Stadion

Ausgetrickst wurde Jaschin auch bei der WM vier Jahre später. Bei einem 4:4 gegen Kolumbien kassierte er ein ähnlich kurioses Gegentor wie einst bei seinem ersten Spiel für Dynamo. Diesmal war es kein direkt verwandelter Abschlag, sondern eine direkt verwandelte Ecke. 33 Jahre war er damals alt und die französische Zeitung L'Equipe erdreistete sich, seine Karriere als Top-Keeper für beendet zu erklären. Ein Jahr später gewann Jaschin den Ballon d'Or. Als erster Keeper. Und bis heute auch als einziger.

"Jaschin ist der beste Torwart der Welt", sagte der ehemalige englische Nationalkeeper Gordon Banks. "Und das steht völlig außer Frage." 270 Mal spielte er im Laufe seiner Karriere Zu-Null, neunmal innerhalb von elf Jahren wurde Jaschin zum besten Torwart Europas gewählt. Mit Dynamo gewann er fünf sowjetische Meistertitel und drei Pokale. 1976 bekam er den Lenin-Orden verliehen, die höchste Auszeichnung eines sowjetischen Bürgers überhaupt.

1970 bestritt Jaschin seine vierte WM, danach beendete er seine Karriere. Dynamo blieb er aber trotzdem erhalten. Er erfüllte bis zu seinem Tod die verschiedensten Aufgaben, war unter anderem Jugendtrainer. Mit nur 60 Jahren verstarb Jaschin, doch eigentlich lebt er noch heute. Während der WM auf dem offiziellen Turnier-Poster aber auch überall sonst in Russland. Dutzende Straßen sind nach ihm benannt, es gibt Statuen und das neugebaute Dynamo-Stadion trägt seinen Namen. Es ist eine Multifunktionsarena, gespielt wird darin nicht nur Fußball. Sondern zum Beispiel auch Eishockey.

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