Die erfolgreichste Zeit des FC Liverpool: Weltherrschaft aus dem Boot Room

Trainer Joe Fagan bejubelt mit seiner Mannschaft den Sieg gegen die AS Rom im Finale des Europapokals der Landesmeister 1984.
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Von der Stiefelkammer aus transformierte ein Trainerquartett den FC Liverpool ab 1959 von einem Zweitligisten in den erfolgreichsten Klub der Welt. Der Gewinn des Europapokals der Landesmeister 1984 gegen die AS Rom war das letzte große Highlight einer Dynastie. Am Dienstag kommt es im Champions-League-Halbfinale zur Neuauflage des Duells (20.45 Uhr im LIVETICKER).

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Joe Fagan arbeitete 27 Jahre lang für den FC Liverpool und besaß ein blaues Notizbuch, in dem er diese 27 Jahre dokumentierte. Alles Wichtige schrieb er nieder und im Mai 1984, Fagan war zu diesem Zeitpunkt Cheftrainer, notierte er folgendes: "Rom. Europapokalfinale. Sieg nach Elfmeterschießen mit 4:3. Was gibt es sonst noch zu sagen? Das große Ding geholt und zwar verdientermaßen. Wir waren das bessere Team, verpassten es nur zu treffen."

Der FC Liverpool hatte gerade zum vierten Mal den Europapokal der Landesmeister gewonnen. In Rom, gegen Rom. Liverpools frühe Führung durch Phil Neal glich die Roma aus und dann passierte bis zum Ende der Verlängerung nichts mehr. Elfmeterschießen. Zwei Römer verschossen und nur ein Liverpooler.

Der Europapokal der Landesmeister war der dritte wichtige Titel der Saison, kurz zuvor hatte Liverpool bereits die Meisterschaft und den Ligapokal gewonnen. Es wusste damals noch keiner, aber es sollte die letzte große Saison einer Dynastie sein. Der Dynastie aus der Stiefelkammer, der "Boot Room Boys".

Der Boot Room: Keine Fenster, viele Schuhe

Begonnen hat alles, da arbeitete Fagan gerade seit einem knappen Jahr im Trainerstab von Liverpool. Der Klub spielte seine fünfte Saison in der zweiten Liga und es deutete nichts auf einen Aufstieg hin. Trainer Phil Taylor trat zurück und im Dezember 1959 kam sein Nachfolger Bill Shankly erstmals ans Vereinsgelände, um den bestehenden Trainerstab zu treffen. Fagan sowie seine beiden Kollegen Bob Paisley und Reuben Bennett erwarteten ihre Entlassung.

Doch Shankly kam und sprach: "Freunde, eure Arbeitsplätze sind sicher. Manche Trainer bringen ihre eigenen Mitarbeiter mit, aber ich will mit euch zusammenarbeiten und verlange dafür nur eins: Loyalität." Er sollte sie bekommen. Shankly ließ das Trainingsgelände renovieren, tauschte innerhalb weniger Monate den kompletten Kader aus und die Kollegen zogen mit.

So modern Shanklys Ansätze waren, so rustikal war der Ort, an dem sie vorgeschlagen, besprochen und beschlossen wurden. Er befand sich in den Katakomben des Stadions an der Anfield Road, irgendwo hinter der Spielerkabine. Fensterlos, mit niedriger Decke. Es roch feucht und modrig, denn an den Wänden hingen die getragenen Fußballschuhe der Profis. Der Boot Room.

Bald nach Shanklys Amtsantritt traf sich das Trainerquartett hier erstmals zu Besprechungen. Unter der Woche ging es um Trainingsplanungen, Taktiken, Verletzungen und Aufstellungsvarianten. Vor den Spielen um die Einstellung des Teams auf den Gegner, danach um das Geschehene und Verbesserungsmöglichkeiten. "Wenn am Samstag ein Spiel stattgefunden hatte, saßen wir sonntags schon wieder da und diskutierten Szenen der Partie", erinnerte sich Paisley später. Er, Shankly, Bennett und Fagan.

Liverools Trainerquartett: Shankly, Paisley, Bennett und Fagan

Paisley war schon am längsten im Verein, seit 1939. Erst als Spieler und seit dem Ende seiner aktiven Laufbahn als Self-Made-Physiotherapeut und Co-Trainer. Seine Leidenschaft war die Taktik, der er sich besonders akribisch widmete. Bennett kümmerte sich als ehemaliger Torwart vor allem um die Keeper und das Fitness-Training der Mannschaft. Fagan, zunächst auch Trainer der Reservemannschaft, war sowohl dem Stadion an der Anfield Road am nächsten (er wohnte nur einige Straßen entfernt), als auch den Spielern. Liebevoll riefen sie ihn "Uncle Joe" und der Ex-Profi Roy Evans nannte ihn mal "den Klebstoff, der alles zusammenhält".

Mit einer einfachen Maßnahme sorgte Fagan auch dafür, dass das Trainerquartett immer und immer öfter im Boot Room kleben blieb. Der Legende nach brachte er eines Tages einige Flaschen Guinness mit, die er als Dank für seine Hobby-Tätigkeit als Trainer des Brauerei-Teams geschenkt bekommen hatte. Bald darauf soll Paisley das Getränkesortiment um Gin erweitert haben. Die Sitzungen wurden launiger und länger. Es bestand Bedarf nach neuer Einrichtung.

"Angeschafft wurde purer Luxus", vermerkte Fagan in seinem Notizbuch. "Ein alter wackeliger Tisch, mehrere Plastikstühle, ein ausgetretener Teppich und ein Kalender, den wir später mit aus Zeitungen gerissenen Fotos von Oben-Ohne-Models verzierten. Nichts deutete darauf hin, dass dieser Raum Teil eines großen Fußballklubs ist." Dank des Trainerquartetts wurde aus dem großen Klub auch wieder ein erfolgreicher.

Viel trinken und vernünftig streiten

Zweieinhalb Jahre nach Shanklys Amtsantritt stieg der FC Liverpool in die erste Liga auf, zwei weitere Jahre später war er Meister. Es folgte Titel auf Titel und einher ging die Professionalisierung des Vereins. Bald erhielt der gebürtige Liverpooler Tom Saunders eine Anstellung als erster Jugend-Koordinator des Landes, später übernahm er auch den Posten des Chef-Scouts. Außerdem ergänzten die Ex-Spieler Ronnie Moran und Roy Evans den Trainerstab.

Gefragt war das Duo vor allem nach den Spielen. Dann, wenn der gegnerische Trainer traditionell in den Boot Room eingeladen wurde. Gesprochen wurde zunächst natürlich über die Szenen der Partie und den Fußball ganz allgemein. Nach ein paar Drinks aber gerne auch über alle möglichen Gerüchte und Interna. Unglückliche Spieler? Angebliche Talente? Taktische Ideen? Neuartige Trainingsmethoden? Moran und Evans galten als Spezialisten für unterschwellige Informationsbeschaffung von gegnerischen Trainern, die sich im Ambiente wohlfühlten und ins Plaudern kamen.

"Es war eine faszinierende Atmosphäre", erinnerte sich Moran später. "Natürlich gab es immer mal wieder auch unterschiedliche Ansichten und Differenzen, aber wir stritten vernünftig und respektvoll", sagte Paisley. "Alles blieb im Boot Room."

Ab 1974 fehlte dort jedoch einer: Shankly trat als Trainer zurück und wechselte in die Direktoren-Ebene des Klubs. Die Macht blieb aber im Boot Rom, denn sein Nachfolger wurde wie selbstverständlich Paisley. Innerhalb von neun Jahren führte er den Klub zu sechs Meisterschaften und drei Siegen im Europapokal der Landesmeister. Dann hatte auch Paisley genug und ging den gleichen Weg wie Shankly. Beerbt wurde er von Fagan. Natürlich.

Die Titel der "Boot Room Boys"

TitelBill ShanklyBob PaisleyJoe Fagan
Meisterschaft1964, 1966, 19731976, 1977, 1979, 1980, 1982, 19831984
FA Cup1965, 1974--
League Cup-1981, 1982, 19831984
Charity Shield1964, 19651974, 1976, 1977, 1979, 1980, 1982-
Landesmeistercup-1977, 1978, 19811984
UEFA Cup19731976-

Heysel-Katastrophe: Das Ende der Boot-Room-Dynastie

Nach der ersten Saison unter Joe Fagan hatte Liverpool zwei nationale Titel gewonnen und sich in Rom erneut zum besten Team des Kontinents gekrönt. Es war der Höhepunkt, doch der Tiefpunkt lag nur zwölf Monate entfernt. Die Katastrophe von Heysel.

Liverpool erreichte 1985 erneut das Finale des Europapokals der Landesmeister und im Heysel Stadion von Brüssel wartete Juventus Turin. Doch was zählte, trug sich nicht auf, sondern abseits des Platzes zu. Liverpool-Fans stürmten einen neutralen Stadion-Sektor und lösten eine Massenpanik aus. 39 Menschen starben, 454 wurden verletzt und als Konsequenz englische Vereine für unbestimmte Zeit von allen europäischen Wettbewerben ausgeschlossen. Liverpool verlor das Finale und blieb erstmals seit zehn Jahren titellos. Fagan trat zurück und nach 26 Jahren endete die Dynastie der "Boot Room Boys".

Ein Jahr später verließ mit Bennett der Letzte des ursprünglichen Trainerquartetts den Verein, Coach war mittlerweile Ex-Spieler Kenny Dalglish. Er nutze den Boot Room zunächst weiterhin für Besprechungen, ehe die Katakomben des Stadions an der Anfield Road 1993 unter seinem Nachfolger Graeme Souness renoviert wurden.

Für den Boot Room war kein Platz mehr. Er wurde herausgerissen und mit ihm ein Teil der Seele des FC Liverpool. Meister wurde der Verein seitdem nicht mehr.

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