BVB vs. FC Bayern München, Erkenntnisse: Risiko von Thomas Tuchel geht auf - Sebastian Kehl muss Fehler von Edin Terzic ausbaden

Von Tim Ursinus
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Der FC Bayern München hat den BVB in seine Einzelteile zerlegt und eindrucksvoll auf die Blamage im DFB-Pokal reagiert. Das lag vorrangig an zwei Dingen. Aufseiten von Borussia Dortmund herrscht auf mehreren Positionen Handlungsbedarf. Zudem geht die herbe Klatsche auch auf die Kappe von Edin Terzic. Erkenntnisse zum Klassiker.

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Zu den Noten und Einzelkritiken der BVB-Spieler gelangt Ihr hier.

Durch die deutliche 0:4-Niederlage bleibt der BVB mindestens fünf Jahre gegen den FC Bayern München in der Bundesliga sieglos. Der letzte Dortmunder Erfolg geht auf den 18. November 2018 zurück (3:2), die nächste Chance bietet sich logischerweise erst im nächsten Jahr.

Hier geht's zu den Noten und Einzelkritiken der Bayern-Spieler.

Warum es am Samstag nicht wenigstens mit einem Punktgewinn klappen sollte, hat mehrere Gründe. Das lag sowohl an den Entscheidungen der beiden Trainer Thomas Tuchel und Edin Terzic als auch an der Einstellung der FCB-Profis sowie den defensiven Baustellen der Borussia.

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FC Bayern München: Aus Wut und Druck wird Heldenfußball

Sobald eine Mannschaft ein Formtief durchmacht oder eine herbe Niederlage einstecken muss, ist häufig die Rede davon, dass jetzt doch bitte eine "Reaktion" gezeigt werden solle. Die Umsetzung davon gelingt aber zweifellos keinem anderen Verein besser als dem FC Bayern München.

Mal wieder hat der deutsche Rekordmeister unter Beweis gestellt, dass er mit ordentlich Wut im Bauch und dem daraus resultierenden Druck umgehen kann wie kein anderer. Auf das blamable 1:2 in Saarbrücken mal eben den zuvor ebenfalls noch ungeschlagenen Erzrivalen aus Dortmund mit 4:0 aus dessen Stadion fegen? Mehr Bayern-like geht eigentlich nicht.

Den Spielern war durchaus anzumerken, dass sie ihre Schuld begleichen wollten - und zwar so schnell wie möglich. Schon nach neun Minuten war die Messe im Westfalenstadion mehr oder weniger gelesen. Erst köpfte Dayot Upamecano nach einer Ecke ein, dann schlug Harry Kane das erste von drei Malen zu.

Der Knackpunkt in diesen und nahezu allen anderen Szenen: Die Bayern waren deutlich griffiger, galliger und auch geiler auf den Ball bzw. das Tor als über weite Strecken jeder Schwarzgelbe auf dem Platz. Wäre nicht der erste Titel durch das Pokal-Aus weg, könnte man fast sagen, dass die Blamage zum genau richtigen Zeitpunkt kam.

FC Bayern München mit bester Saisonleistung

Was folgte, war die wohl beste Saisonleistung der Münchner. "Wir waren alle angefasst", erklärte Goretzka nach dem Spiel und gab zu: "Mich nervt es immer noch, dass wieder ein Titel futsch ist." Vorstandschef Jan-Christian Dreesen erklärte: "Die Mannschaft wollte einfach was gutmachen. Am meisten haben sie sich über sich selbst geärgert."

Deshalb wären die Spieler in Saarbrücken auch den groß thematisierten Gang zu den Fans nicht angetreten. Es sei der "totale Frust" gewesen, sagte Dreesen und ergänzte (natürlich, was auch sonst): "Heute haben sie eine Reaktion gezeigt." Das habe er "in dieser Art und Weise nicht erwartet".

Es war bemerkenswert, wie die Mannschaft die angespannte Kader-Situation zumindest für 90 Minuten in Vergessenheit geraten ließ. Das fällt schon in die Kategorie Heldenfußball. Insbesondere gilt das für die beiden eigentlich noch gar nicht fitten Upamecano (Muskelverletzung) und Goretzka (Mittelhandfraktur), die trotz Schmerzen auf die Zähne bissen und beispielhaft vorangingen.

Während Upamecano nach rund einer Stunde ausgewechselt wurde, powerte Goretzka über die volle Distanz durch. Hinsichtlich seiner Beschwerden sagte er: "Es ist natürlich schon ambitioniert. Es ist erst zwei Wochen her. Mit der Schiene war es okay, es pocht ein bisschen."

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FC Bayern München: Das Risiko von Thomas Tuchel geht auf

Das Risiko von Thomas Tuchel ging also auf, Upamecano und Goretzka trotz kaum vorhandener Vorbereitung im wohl wichtigsten Bundesligaspiel der Hinrunde direkt in die Startelf zu beordern.

Bei Goretzka und Upamecano habe man "beide Augen zugedrückt", sagte Trainer Thomas Tuchel vor Beginn des Spiels bei Sky. Gerade bei Upamecano "überspringen wir auf jeden Fall ein paar Schritte, aber so, dass wir es verantworten können."

Dass Tuchel aber auch kaum eine andere Wahl hatte, bewies die Hereinnahme von Talent Aleksandar Pavlovic für Upamecano. Goretzka rückte anschließend eine Position zurück in die Verteidigung und Konrad Laimer interpretierte seine Rolle anschließend noch defensiver.

"Das Spiel war fast ein bisschen ungewöhnlich, gerade die zweite Halbzeit. Das ist auch unserer personellen Situation geschuldet, wir haben auf eine Fünferkette umgestellt und hatten dann wenig den Ball. Über Konter, die wir heute sehr gut ausgespielt haben, haben wir den Gegner plattgemacht", erklärte Goretzka.

Thomas Tuchel: "Keine Konstanz in Innenverteidigung und auf der Sechs"

Weil Joshua Kimmich wegen einer Rotsperre noch ein weiteres Spiel fehlt und Matthijs de Ligt noch einige Wochen ausfällt, braucht Tuchel derzeit jeden Mann in der Defensive. Eine weitere Verletzung, die bei Upamecano und Goretzka keine Überraschung gewesen wäre, kann er sich eigentlich nicht leisten. Dass diese Maßnahmen weder gesund noch nachhaltig sind, weiß auch Tuchel. Umso mehr ist seine Risikobereitschaft zu honorieren.

"Wir haben wenig Konstanz in der Innenverteidigung und auf der Sechs, einen Torwartwechsel in der Mitte der Saison", erklärte er abseits seines Wortgefechts mit Lothar Matthäus dahingehend. Dennoch stehen in der Liga erst zwei Remis und in der Champions League nur Siege auf dem Konto - und das liegt vorrangig an der Offensive.

Bayerns Angriff scheint sich gefunden zu haben. Harry Kane und Leroy Sané harmonieren ungemein, Jamal Musiala befindet sich wieder in Topform und Kingsley Coman ist auf dem aufsteigenden Ast und vor allem endlich verletzungsfrei.

BVB vs. FC Bayern München: Die Daten zum Spiel

BVB vs. FC Bayern - 0:4

Tore

0:1 Upamecano (4.), 0:2 Kane (9.), 0:3 Kane (72.), 0:4 Kane (90.+3.)

Aufstellung Borussia Dortmund

Kobel - Wolf (46. Süle), Hummels, Schlotterbeck, Ryerson - Özcan (57. Nmecha), Sabitzer - Malen (57. Adeyemi), Reus, Brandt (66. Moukoko) - Füllkrug (79. Haller)

Aufstellung FC Bayern München

Neuer - Mazraoui, Upamecano (60. Pavlovic), Kim, Davies - Laimer, Goretzka - Coman, Musiala (89. Choupo-Moting), Sané (89. Müller) - Kane

Gelbe Karten

Hummels (61.), Ryerson (74.), Sabitzer (76.) / Sané (22.), Tuchel (43. außerhalb des Platzes), Laimer (85.)

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BVB: Edin Terzic hat falsch aufgestellt

Was für die Bayern offensiv gilt, sieht beim BVB ganz anders aus. Edin Terzic hat noch keine Lösung gefunden, wie er seine Angriffsreihe um die derzeit einzig konstanten Julian Brandt und Marco Reus bauen will - und selbst das unzertrennliche Duo fand gegen die Münchner nur in Ansätzen statt.

Bis kurz vor Ende der zweiten Hälfte waren weder Brandt und Reus noch Niclas Füllkrug oder Donyell Malen wirklich ins Spiel eingebunden. Letztere beiden hatten zum Pausenpfiff lediglich drei Ballaktionen mehr als Torhüter Gregor Kobel.

Nach dem Seitenwechsel kamen immerhin Reus und Brandt besser in die Partie, prallten aber symbolisch für den Spielverlauf gleich zweimal an Upamecano und dem ebenso starken Min-Jae Kim ab. Nur einmal gelang es der ersten BVB-Elf - als Reus an Neuer scheiterte (56) -, die Bayern ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Nahezu kein Tempo im Spiel, kaum Überzahlsituation im Zentrum und auf den Flügeln. Ebenso wenig wurden die Außenverteidiger effektiv überlaufen.

Edin Terzic: "Sie waren in allen Bereichen überlegen"

Erst als Terzic nach 57 Minuten Felix Nmecha und Karim Adeyemi brachte, war über längere Sequenzen etwas Zug hinter den Dortmunder Angriffen. Kurz nach der Hereinnahme von Youssoufa Moukoko (67.) folgte ein weiterer Schwung. Der Glaube, das Ruder noch herumreißen zu können, war jedoch nur noch bedingt vorhanden und durch das 0:3 (72.) schließlich begraben.

"Sie waren in allen Bereichen überlegen. Das darf uns auf dem Niveau nicht passieren, wenn man was gegen die Bayern holen will. Es hat vorne und hinten in allen Bereichen nicht gepasst", sagte Terzic, der sich durchaus den Vorwurf gefallen lassen muss, auf das falsche Personal gesetzt zu haben.

Mehr Tempo, wie es beispielsweise ein Bynoe-Gittens - der gegen die TSG Hoffenheim unter der Woche überzeugte und gar nicht erst beachtet wurde - oder Moukoko von Beginn an mitgebracht hätten, wäre dem BVB gut zu Gesicht gestanden. Zumal das auch vermutlich für mehr Entlastung für die überforderte Defensive gesorgt hätte.

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BVB: Zwei Baustellen müssen dringend behoben werden

Denn gegen den Ball glich die Leistung des BVB einer Katastrophe. Mats Hummels und Nico Schlotterbeck, die sich in der Innenverteidigung in den Spielen zuvor eigentlich als sicherer Rückhalt präsentiert hatten, erwischten einen rabenschwarzen Tag. Bei jeweils drei Gegentoren waren sie tatkräftig beteiligt. Mal fehlte es am richtigen Positionsspiel, mal an der Abstimmung, mal gingen kapitale Fehlentscheidungen voraus.

Mit gutem Willen lässt sich das noch auf die Tagesform schieben. Ganz anders verhält sich das auf der rechten und linken Abwehrseite. In Sachen Konstanz kann dort nur von Julian Ryerson die Rede sein, der allerdings für gewöhnlich auch kein Mann für die ganz großen Taten ist.

Gegen die Bayern bekam Marius Wolf den Vorzug vor Ramy Bensebaini, der in Frankfurt in der Woche zuvor einen erschreckenden Auftritt abgeliefert hatte. Doch auch das entpuppte sich nicht als des Rätsels Lösung, um die immer wieder rochierenden Leroy Sané und Kingsley Coman zu stoppen.

Wolf, der immerhin im Spiel nach vorn ein paar gute Aktionen hatte, wusste sich vor allem gegen Sané überhaupt nicht zu helfen. Weil er sich irgendwann gar nicht mehr in den Zweikampf traute, straften ihn die BVB-Fans sogar mit Pfiffen ab. Zur Halbzeit kam Niklas Süle für ihn ins Spiel.

Bezeichnend: Es blieb nicht nur bei dieser Umstellung in der Viererkette. In der Schlussphase rückte Süle von rechts nach innen und Schlotterbeck auf die linke Seite, während Ryerson den Rechtsverteidiger gab. Ein Schritt, der den schon länger kursierenden Verdacht nur stärkt, dass der BVB im Winter einen Außenverteidiger verpflichten will.

BVB: Problemzone defensives Mittelfeld

Das gilt auch für das defensive Mittelfeld. Dort machte Salih Özcan nicht zum ersten Mal seit seinem BVB-Wechsel eine äußerst schlechte Figur. Der 25-Jährige gewann nicht einen seiner Zweikämpfe, verlor obendrein mehrfach in denkbar ungünstigen Momenten den Ball. Dabei hieß sein Gegenspieler in vielen Fällen nicht der körperlich starke Goretzka, sondern Jamal Musiala.

Özcan hatte Emre Can, der beim Topspiel verletzt fehlte, in den vergangenen Wochen mehr oder weniger den Rang abgelaufen, weil Marcel Sabitzer zwischenzeitlich ebenfalls unpässlich war. Über mehrere Spiele, geschweige denn gegen größere Mannschaften, wusste aber keinen von ihnen so richtig zu überzeugen. Eine beunruhigende Statistik, die dies untermalt: Für einen Ballgewinn brauchte der BVB in der ersten Hälfte im Schnitt 25 Sekunden anstelle der üblichen 13.

Musiala und Co. hatten, sobald sie auch nur ein bisschen aufs Gaspedal drückten, ein denkbar leichtes Spiel, das Dortmunder Zentrum zu überspielen. Erst als der etwas offensiver denkende Nmecha für Özcan aufs Feld kam, war eine gewisse Stabilität zu erkennen.

Darüber hinaus fehlt es weiterhin an den Mitteln, im eigenen Ballbesitz die Verbindung zwischen Defensive und Offensive herzustellen. Dabei hatte sich Terzic im Sommer noch gegen eine Verpflichtung eines solchen Spielertypen (Edson Álvarez) entschieden.

Nun hat Sportdirektor Sebastian Kehl, der dem Vernehmen nach bei Álvarez von Terzic überstimmt wurde - und diese Fehleinschätzung jetzt ausbaden darf, die schwere Aufgabe, im Winter gleich zwei Löcher zu stopfen.

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BVB vs. FC Bayern München: Die letzten Duelle

DatumWettbewerbHeimGastErgebnis
4. November 2023BundesligaBVBFC Bayern München0:4
1. April 2023BundesligaFC Bayern MünchenBVB4:2
8. Oktober 2022BundesligaBVBFC Bayern München2:2
23. April 2022BundesligaFC Bayern MünchenBVB3:1
4. Dezember 2021BundesligaBVBFC Bayern München2:3
17. August 2021SupercupBVBFC Bayern München1:3
6. März 2021BundesligaFC Bayern MünchenBVB4:2
7. November 2020BundesligaBVBFC Bayern München2:3
30. September 2020SupercupFC Bayern MünchenBVB3:2