FC Bayern München nach dem Remis beim BVB: Erstmals brüllt der Funktionärs-Titan

Borussia Dortmund, FC Bayern München
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Es schien, als sei die Krise vorbei, doch dann verspielte die Mannschaft von Trainer Julian Nagelsmann völlig unverhofft eine 2:0-Führung bei Borussia Dortmund. Was ist nur los beim FC Bayern München?

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Mit weit aufgerissenem Mund und zusammengekniffenen Augen sank Oliver Kahn in seine Sitzschale. Er schrie die Wut aus sich heraus, seine Hände schlugen gleichzeitig auf das Geländer vor ihm. Nach Anthony Modestes Ausgleichstor für Dortmund tief in der Nachspielzeit des Bundesliga-Spitzenspiels sorgte der Vorstandsvorsitzende für legendäre Bilder.

Seit rund drei Jahren gehört Kahn dem Vorstand des FC Bayern nun schon an, seit Sommer 2021 leitet er ihn. Bisher wurde dem einst so emotionalen Keeper-Titan gerne vorgeworfen, als Funktionär zu stoisch und distanziert zu wirken. Kein Vergleich zu der Show, die seine Vorgänger Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß gerne zelebrierten.

Tatsächlich ging Kahn seit Beginn seiner Funktionärs-Laufbahn öffentlich wohl noch nie so aus sich heraus wie am Samstagabend in Dortmund. Vielleicht auch, weil er sich bisher noch nie so sehr ärgern musste.

"Das ist schon eine erstaunliche Saison", sagte Kahn nach dem Spiel in der Mixed Zone und suchte nach einem historischen Kontext. "Wie wir es immer wieder hinbekommen, uns um den verdienten Lohn zu bringen. Ich muss lange zurückdenken, um mich an so eine Saison erinnern zu können, wo wir jedes Mal entweder viele Torchancen haben und das Tor nicht machen oder wie heute vergessen, den Sack zuzumachen."

FC Bayern: So lief die bisher "erstaunliche Saison"

Es war eine alarmierende Analyse des mächtigsten Mannes im Klub und letztlich ein bitteres Urteil für Trainer Julian Nagelsmann und die Mannschaft. Dabei handelt es sich diese Saison doch gewissermaßen um den ersten echten Kahn-FC-Bayern. Nagelsmann war 2021 seine erste Trainer-Verpflichtung, ein Vertrag über fünf Jahre zeugte von allerhöchstem Vertrauen. In diesem Sommer wurde schließlich die Mannschaft kostspielig und prominent wie nie zuvor verstärkt.

Der FC Bayern legte furios los und feierte einige Schützenfeste auf nationaler Bühne. In der Champions League gelangen anschließend beachtliche Siege bei Inter Mailand und gegen den FC Barcelona, wobei zweiterer eher glücklich zustande kam. In der Bundesliga schlitterte die Mannschaft unterdessen in eine Ergebniskrise. Begründet wurde sie von den Protagonisten in erster Linie mit einer mangelhaften Chancenverwertung, was vor allem nach der Niederlage beim FC Augsburg nach Schönrednerei roch.

Es folgten zwei Schützenfeste gegen Bayer Leverkusen und Viktoria Pilsen, bei denen der FC Bayern auf einmal wieder höchste Effizienz bewies. Dabei profitierte die Mannschaft aber von dankbaren Gegnern und Spielverläufen. Auch in Dortmund nutzten die Münchner ihre Chancen zunächst konsequent und drängten beim Stand von 2:0 sogar hochdominant auf das 3:0.

Die Krise schien ganz weit weg, doch dann trafen Youssoufa Moukoko (74.) und Anthony Modestes (90.+5) zum späten Ausgleich, Kahn rastete auf der Tribüne aus und auf einmal war sie wieder voll da, die Krise. Oder war sie nie weg?

Das Gebilde FC Bayern wirkt bedenklich fragil

"Dass man hier unentschieden spielt, ist kein Beinbruch", analysierte Kapitän Manuel Neuer. "Aber die Art und Weise war hergeschenkt." Das Ergebnis an sich sollte weniger Sorgen bereiten, als das Zustandekommen und vor allem die begleitende Stimmung, bestens symbolisiert von Kahns Ausraster. Das Gebilde FC Bayern wirkt bedenklich fragil, kleinste Einflüsse können es zum Einsturz bringen.

Nagelsmann vermittelt aktuell keine Stabilität, auch nicht mit seinen öffentlichen Auftritten. Nach Siegen gibt er sich übertrieben spaßig, nach Punktverlusten übertrieben gereizt. So auch bei seiner kurzen Pressekonferenz und dem Sky-Interview in Dortmund. Dabei wurde er auf eine Aussage von Rummenigge angesprochen, der ihn neulich als "Trainer-Talent" bezeichnet hat. "Das sagen alle, nicht nur Karl-Heinz Rummenigge", erwiderte der 35-jährige Nagelsmann sichtlich angefressen. "In meinen Augen sagen es zu viele."

Tatsächlich sollte man Nagelsmann nicht auf sein Alter reduzieren, immerhin ist er seit sechseinhalb Jahren ein überdurchschnittlich erfolgreicher Bundesliga-Trainer. Sicherlich auch wegen dieser steilen Karriere ist er aber äußerst überzeugt von sich und seiner Arbeit, was er gerne etwas offensiv zur Schau stellt. Übereinstimmenden Berichten zufolge kommt das Klub-intern nicht immer gut an.

Nach dem Remis in Dortmund kritisierte Nagelsmann Schiedsrichter Deniz Aytekin, der den bereits verwarnten Jude Bellinghams für dessen Tritt gegen den Kopf von Alphonso Davies nicht vom Platz stellte. Genau wie Neuer verwies auch Nagelsmann auf eine Schiedsrichter-Schulung vor der Saison. Da sei erklärt worden, dass solche Situationen mit einer Roten Karte zu ahnden seien.

Julian Nagelsmann und die Sache mit den Wechseln

Ein steter Kritikpunkt an Nagelsmann waren in den vergangenen Wochen seine bisweilen schwer nachvollziehbaren Wechsel während der Spiele. Die spannenden Nachwuchshoffnungen Mathys Tel und Ryan Gravenberch bekamen beispielsweise erstaunlich wenig Einsatzzeiten, während formlose, aber prominentere Kollegen spielen durften. Auch in Dortmund funktionierten Nagelsmanns Wechsel nicht, wobei man ihm das diesmal nur teilweise vorwerfen kann.

Die angeschlagenen Alphonso Davies und Matthijs de Ligt musste er rausnehmen, auch die Auswechslungen von Marcel Sabitzer (Gelb-vorbelastet) und Serge Gnabry (enttäuschend) waren für sich nachvollziehbar. Zumindest zu hinterfragen ist aber die Notwendigkeit, ein durchaus stabiles Mannschafts-Gebilde bereits zur Halbzeit mit einem Dreifach-Wechsel durcheinanderzuwirbeln. Diese Maßnahme fruchtete sogar noch, wild wurde es erst nach der erzwungenen Auswechslung von De Ligt.

Generell hatten die Neuen einen großen Anteil daran, dass der FC Bayern seine Führung verspielte: Josip Stanisic patzte bei beiden Gegentoren, Noussair Mazraoui beim zweiten und Kingsley Coman sah Gelb-Rot. Auf der anderen Seite wechselte Edin Terzic mit Anthony Modeste den entscheidenden Mann ein.

Kahn mahnte bei seiner anschließenden Analyse, dass der FC Bayern Verletzungen wie die von Davies und de Ligt "kompensieren können muss". Generell forderte der Vorstandsvorsitzende eine "Ergebnis-Stabilität" und sagte: "Wir müssen jetzt schnell in die Puschen kommen. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Mannschaften über uns immer nur unentschieden spielen oder verlieren. Wir müssen schnell auf Platz eins." Ruhe wird beim FC Bayern erst einkehren, wenn Union Berlin und der SC Freiburg überholt sind.

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