Julian Nagelsmann und der Konkurrenzkampf beim FC Bayern München: Zu 90 Prozent unbegründet

FC Bayern München, SC Freiburg
© Getty

Beim Tabellenführer FC Bayern München gibt es aktuell mehr Spieler mit unbedingtem Startelf-Potenzial als Startelfplätze: Trainer Julian Nagelsmann stellt sich somit eine schwierige Aufgabe, die ihm durchaus zuzusetzen scheint.

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Erst leckte sich Julian Nagelsmann mit der Zunge über die Lippe, dann strich er sich mit der Hand über sein Gesicht. Man spürte förmlich, wie es bei der Pressekonferenz nach dem 2:1-Sieg gegen den bis dahin ungeschlagenen SC Freiburg in ihm ratterte, wie er nach den richtigen Worten suchte und Nachdenkzeit gewinnen wollte. Das Thema: Konkurrenzkampf. Die Frage: Wer warum auf der Bank saß und wer warum auf dem Platz stand.

"Es gibt keinen Leistungsgrund. Es gibt den Grund, dass wir viele Spieler im Kader haben, die alle den Anspruch haben zu spielen", sagte Nagelsmann schließlich. Es seien keine Entscheidungen gegen einen Spieler gewesen, sondern immer für einen anderen. "Die Spieler, die auf der Bank sitzen, sind heute zu 90 Prozent unbegründet auf der Bank gesessen, was ihre eigene Leistung angeht." Immer wieder unterbrach Nagelsmann seine Ausführungen kurz, atmete tief ein und aus. Das Thema scheint ihm durchaus zuzusetzen.

Für den FC Bayern ist der Umgang mit mehr Spielern mit unbedingtem Startelf-Potenzial als Startelfplätzen ein altbekanntes Thema, für Nagelsmann ist es dagegen eher ein neues. Von seinen bisherigen Trainerstationen bei der TSG Hoffenheim und RB Leipzig kannte er das in dieser extremen Form nicht. Auf einmal muss er Entscheidungen treffen, die er nicht plausibel erklären kann.

Nagelsmann über Gnabrys Bankplatz: "Es tut mir leid"

Das bekam man schon vor dem Freiburg-Spiel mit, als Nagelsmann nach Serge Gnabrys Bankplatz gefragt wurde. Neben Benjamin Pavard und Jamal Musiala war er einer der härtesten Härtefälle. Es gäbe "keine Begründung" dafür, Gnabrys Werte seien schließlich "total identisch" mit denen des Konkurrenten Leroy Sane: "Es tut mir leid. Es sind keine angenehmen Situationen. Es sind Luxusprobleme, aber es ist nicht angenehm."

Sane spielte in der offensiven Dreierreihe hinter Robert Lewandowski neben Kingsley Coman und Thomas Müller. Müller hatte beim 5:2-Sieg gegen Benfica Lissabon erstmals in dieser Saison eine Pause bekommen. Auf der Bank saß gegen Freiburg neben Gnabry erneut Musiala, der in der bisherigen Saison nur auf rund 35 Prozent Spielzeit kommt. Nach dem Benfica-Spiel sagte Nagelsmann, dass es "scheiße von mir ist", wenn sich dieser Wert bis zum Saisonende nicht erhöht: "Dann würden wir ihn am Ende zu wenig fördern."

Musiala dürfte das natürlich gerne gehört haben. Sollte sich seine Spielzeit nicht demnächst erhöhen, kann er Nagelsmann schließlich mit dieser Aussage konfrontieren. Gewissermaßen setzte sich der Trainer damit ohne große Not selbst unter Druck. Der öffentliche Umgang mit dem Thema Konkurrenzkampf ist vertrackt.

Nagelsmann stehen bald alle Feldspieler zur Verfügung

In Musialas Offensivbereich ist der Konkurrenzkampf aktuell wohl am härtesten. Eigentlich alle Kandidaten befinden sich in herausragender Form.

Lewandowski schießt Tor um Tor: Gegen Freiburg machte er das 2:0, insgesamt steht er in dieser Saison schon bei 23. Thomas Müller liefert Assist um Assist: Gegen Freiburg legte er Leon Goretzkas 1:0 auf, insgesamt steht er schon bei zwölf. Damit bei zwei mehr als Sane, der wiederum Lewandowskis Treffer vorbereitete. Genau wie Gnabry und Coman glänzt Sane aktuell auch mit seinen Dribblings, seinen Pässen, seinen Ideen. Und dann feierte per Einwechslung auch noch der zuletzt verletzte Eric Maxim Choupo-Moting sein Comeback.

Sobald Mittelfeldmann Marcel Sabitzer seine Magen-Darm-Grippe auskuriert hat, stehen Nagelsmann erstmals in dieser Saison alle Feldspieler zur Verfügung. Bisher wurden ihm viele Startelfentscheidungen von Verletzungen oder Erkrankungen abgenommen: Neben Choupo-Moting fielen schließlich auch schon Benjamin Pavard, Lucas Hernandez, Corentin Tolisso und Coman länger aus.

FC Bayern: Spieler mit den geringsten Einsatzzeiten in der Bundesliga 2021/2022

SpielerMinuten
Chris Richards2
Bouna Sarr45
Tanguy Nianzou113
Eric Maxim Choupo-Moting124
Corentin Tolisso125
Omar Richards152
Kingsley Coman230
Benjamin Pavard235
Marcel Sabitzer245
Jamal Musiala331

FC Bayern: Aktuell sechs unumstrittene Stammspieler

Unumstritten gesetzt sind lediglich Keeper Manuel Neuer, Linksverteidiger Alphonso Davies, die zentralen Mittelfeldspieler Joshua Kimmich und Leon Goretzka, Müller auf der Zehn und Lewandowski im Sturmzentrum. Genau wie auf den Flügeln herrscht in der Innen- und Rechtsverteidigung dagegen ein harter Konkurrenzkampf mit offenem Ausgang.

Erscheint in der Offensive aktuell Musiala als Verlierer, sind es in der Abwehr Pavard und Tanguy Nianzou. Auf die Frage nach Nianzous Reservistendasein hatte Nagelsmann neulich immerhin eine Begründung parat: Beim jungen Franzosen sei die Fehlerquote zu hoch.

Wenig später fielen aber Hernandez und Süle kurzfristig aus, weshalb Nianzou gegen Benfica unverhofft in die Startelf rutschte. So ist es im Fußball ja oft: Viele Konkurrenzkämpfe lösen sich ganz automatisch, weil sich einer der Kandidaten einfach verletzt. Besonders gerne passiert sowas bekanntlich während Länderspielpausen. Bei der anstehenden sind wie immer fast alle Spieler des FC Bayern unterwegs.

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