Ex-Bundesligaprofi Änis Ben-Hatira im Interview: "Ich saß teilweise tagelang im Dunkeln in der Wohnung"

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Sie gingen dann im Februar 2016 zu Eintracht Frankfurt. Wer hat einen größeren Anteil daran, dass die Eintracht damals nicht abgestiegen ist? Trainer Niko Kovac oder Änis Ben-Hatira?

Ben-Hatira: (zögert, lacht) Ich kam damals nach dem Aus in Berlin praktisch von der Reha nach Frankfurt und habe direkt eingeschlagen. Was mir die Frankfurter Fans und das Umfeld damals an Zuneigung und Dankbarkeit entgegengebracht haben, sagt wirklich alles aus. Ich habe mich mit Niko Kovac gut verstanden und natürlich ist der Trainer das wichtigste Glied. Er hat Struktur reingebracht und die richtige Ordnung geschaffen. Es wäre sehr egoistisch, wenn ich sagen würde, ich wäre der Garant für den Klassenerhalt gewesen. Auch wenn ich damals sicher sehr gut gespielt habe. Ich war nur sechs Monate da, die sich angefühlt haben wie sechs Jahre - und das meine ich positiv.

Wieso sind Sie damals nicht geblieben?

Ben-Hatira: Ich bin damals jeglichen Vertragsverlängerungsgesprächen bei der Eintracht aus dem Weg gegangen, weil ich nicht in die Situation kommen wollte, nicht mehr absagen zu können. Mein Gefühl hat mir damals gesagt: "Bleib da, die Eintracht passt zu dir." Frankfurt hat viele Parallelen zu Berlin, ich hatte dort viele Freunde, auch aus der Rap-Szene. Aber mein Wunsch war es, in jenem Sommer zurück nach Hamburg zu gehen. Und wenn ich mir was in den Kopf setze, dann will ich das auch durchziehen. In Hamburg war ich erwachsen geworden, dort hatte ich meine ersten Bundesligaspiele gemacht. Das war wie damals, als ich zurück zur Hertha wollte, eine Mischung aus persönlichen und emotionalen Gründen. Ich bin heute noch ein bisschen traurig, dass es letztlich nicht geklappt hat, weil ich viele andere gute Angebote für den HSV hab liegen lassen.

Hatte Ihr Snapchat-Foto während Ihrer Zeit bei der Eintracht und der daraus entstandene Doping-Wirbel etwas damit zu tun?

Ben-Hatira: Das Foto war da längst kein Thema mehr. Aber das war eine linke Nummer. Ich bin damals immer regelmäßig zum Professor an den Chiemsee geflogen, wegen meines Fußes, und habe einfach ein Foto von einem Tablett gemacht, das da lag und das Foto auf Snapchat hochgeladen. Die Medikamente auf dem Tablett waren nicht mal für mich - und selbst wenn ich sie bekommen hätte, standen sie zu der Zeit auch nicht auf einer Dopingliste. Ein Journalist hat dann wohl die Story seines Lebens gewittert und muss mit irgendeinem Spezialprogramm so nah herangezoomt haben, dass er den Namen des Mittels entziffern konnte. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, als die Geschichte mit dem Doping-Wirbel rauskam. Ich habe dann sofort angeboten, einen Bluttest zu machen und da war dann logischerweise auch alles negativ. Ich wurde komplett rehabilitiert. Aber die Sache hatte auch was Gutes.

Änis Ben-Hatira im Trikot des SC Darmstadt 98.
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Änis Ben-Hatira im Trikot des SC Darmstadt 98.

Und zwar?

Ben-Hatira: Beim Spiel nach dem Wirbel um mein Snapchat-Foto haben die DFL und die NADA um sicherzugehen ausnahmsweise Urin- und Blutproben in der ganzen Bundesliga und demnach auch bei vier Eintracht-Spielern angeordnet. Unter ihnen war auch Marco Russ. So wurde bei ihm frühzeitig sein Hodenkrebs entdeckt.

Ben-Hatira: Darum platzte der Wechsel zu Galatasaray

Sie sind dann statt beim HSV oder Eintracht Frankfurt bei Darmstadt 98 gelandet.

Ben-Hatira: Es war Ende August, alle Türen waren zu, Darmstadt hat sich sehr um mich bemüht. Davor war ich noch ein paar Tage in Istanbul, weil ich bei Galatasaray unterschreiben sollte. Aber bei meinem Glück landete Galatasaray in jenem Sommer auf der Financial-Fairplay-Liste und durfte keine Spieler mehr verpflichten. Vielleicht habe ich mein Glück herausgefordert, weil ich mir sicher war, dass sich irgendeine gute Option schon noch auftun würde. Aber als dann nichts passierte, bin ich eben nach Darmstadt. Auch wenn das in Anführungsstrichen mein "Todesurteil" war, wegen des Bundeslandes.

Sie haben damals den wegen Islamismusverdacht vom Verfassungsschutz beobachteten und später bundesweit verbotenen Verein "Ansaar International" finanziell unterstützt. Hessens Innenminister Peter Beuth hatte von Darmstadt 98 gefordert, "klare Grenzen" zu setzen. Im Januar trennte sich der Verein von Ihnen.

Ben-Hatira: Ich mache Darmstadt 98 da keinen Vorwurf, der Druck war immens. Auch wenn die Verantwortlichen genau wussten, was ich getan hatte. Egal, wo ich war: Ich habe allen Vereinen immer gezeigt, welche Projekte ich unterstütze. Ich habe meine ganze Karriere lang einen beträchtlichen Teil meines Einkommens für Wohltätigkeitsprojekte ausgegeben, habe mit meinem Projekt "MitternachtsSport e.V." den DFB-Integrationspreis, einen Bambi und den Laureus Award bekommen. "Ansaar" habe ich bei Brunnenprojekten in Ghana und bei einem Wassertank-Projekt im Gaza-Streifen unterstützt. Plötzlich hieß es, der Verein sei radikal-islamisch und salafistisch und plötzlich stand sogar der Vorwurf von Terrorfinanzierung gegen mich im Raum. Das war absurd. Ich wurde dementsprechend auch nie angeklagt, geschweige denn verurteilt wegen dieser Vorwürfe. Es gab nicht einmal ein Verfahren gegen mich.

Ben-Hatira: "Wir haben Kindersklaven befreit"

Sie haben sich nie distanziert von "Ansaar International" und den Werten, die die Organisation vertrat. Hätten Sie nicht einfach sagen können, Sie seien kein Islamist?

Ben-Hatira: Ist meine Mutter Islamistin, weil sie ein Kopftuch trägt? Bin ich Islamist, weil ich mich für ein Wasser-Projekt im Gaza-Streifen einsetze? Ich sehe mich als Deutscher, ich habe sogar bei der Bundeswehr gedient und habe mich mein ganzes Leben von jeglicher Form von Extremismus distanziert! Aber ich konnte mich nicht von meinen Projekten distanzieren, weil ich keine Lüge bestätigen wollte. Ich war in der Zwickmühle. Hätte ich mich von meinen Projekten distanziert, hätten die Leute sagen können, dass da vielleicht doch was Wahres dran gewesen wäre. Und außerdem ...

Ja, bitte?

Ben-Hatira: Ich habe sogar auf den Afrika-Cup verzichtet, um mir von den Projekten in Ghana vor Ort ein Bild zu machen. Es waren zehntausende Kinder abhängig von uns. Hätte ich mich zurückgezogen, hätten sie kein Wasser und kein Essen mehr bekommen und die Schulen wären geschlossen worden. Das war die Verantwortung, die ich hatte. Unter anderem haben wir dort sogar Kindersklaven befreit durch die Projekte! Wussten Sie, dass die Schokolade, die wir essen, zu 80 Prozent von Sklavenkindern in Westafrika verarbeitet wird? Sklavenkinder! Da waren fünf- bis zehnjährige Kinder mit so großen Macheten auf den Kakao-Plantagen. Mein Hirn konnte das damals gar nicht richtig aufnehmen. Diesen Kindern haben wir geholfen! Und dann soll ich mich hinstellen und mich von irgendwelchen Extremisten distanzieren? Und meine Projekte aufgeben?

Sie wechselten dann nach Gaziantep.

Ben-Hatira: Das mich bis heute nicht bezahlt hat. Dass die Stadt nur 200 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt liegt, habe ich auch erst später realisiert. Aber natürlich wurde es so dargestellt, dass ich zu meinen Terror-Kumpels fahren würde. Ich musste mich mit Dingen auseinandersetzen, zu denen ich gar keinen Bezug hatte vorher, und die mich eigentlich auch nicht interessieren. Wenn man es positiv betrachtet, habe ich meinen Horizont erweitert in den letzten Jahren.

Änis Ben-Hatira: Seine Karriere in Zahlen

JahreKlubSpieleToreAssists
2007 - 2011Hamburger SV3632
2009 -2010MSV Duisburg (Leihe)3134
2011 - 2016Hertha BSC771713
2016Eintracht Frankfurt1112
2016 - 2017Darmstadt 981110
2017Gaziantepspor1421
2017 - 2018Esperance Tunis810
2019Honved Budapest2762
2020Karlsruher SC1111
2021AE Larisa1201
2022Berliner AK1022

Ben-Hatira: "In Afrika wirst du mit Steinen beworfen"

War Ihnen die Karriere egal in dieser Zeit?

Ben-Hatira: Fußball ist mein Leben. Ich gehöre auch zu den Spielern, die immer für Spektakel gesorgt haben und für die man gerne das Eintrittsgeld bezahlt hat. Das macht auch mir Spaß! Es ist schon etwas anderes, wenn du plötzlich in Ländern und Ligen spielen musst, in die du einfach nicht hingehörst. Aber ich habe auch viel gelernt in dieser Zeit. In Afrika Fußball zu spielen war für mich anstrengender, als in der Bundesliga zu spielen. In der Bundesliga konnte ich Gegnern wegsprinten, in Tunesien gehen die Spieler körperlich ganz anders zur Sache. Dann ist da die Stimmung, du wirst mit Steinen beworfen. Ich halte mich jetzt beim Berliner AK in der Regionalliga fit. Auch wenn mir der Verein ans Herz gewachsen ist und die Mannschaft top ist: Glauben Sie, das ist einfach für mich? Ich bin sicher, dass ich noch in der Bundesliga und zweiten Liga mithalten könnte. Meine Fitnesswerte sind top, ich habe nichts verlernt.

Hat die Affäre Ihre Karriere zerstört?

Ben-Hatira: Natürlich! Was soll ich da drum herumreden? Wie viel Geld ich verloren habe, wie viel Geld mir noch zugestanden hätte! Ich war 27 Jahre, als das Thema losging, hatte noch einiges in mir. Ich hatte immer Angebote. Ich konnte seit der Geschichte nie mehr dahin wechseln, wohin ich wechseln wollte. Mich fragen heute noch sehr viele Leute: "Warum gehst du nicht da hin, warum gehst du nicht dort hin?" Als ob ich mir das aussuchen könnte! Das ist anstrengend. Ich war die ersten Jahre nach Darmstadt nur unterwegs, war teilweise in drei Ländern in einem Jahr. Ich war so glücklich, als ich mich im Januar 2020 der Karlsruher SC holte. Sportchef Oliver Kreutzer und ich haben uns damals per WhatsApp geeinigt! Dann bin ich da hin, habe geholfen das Ziel des Vereins zu erreichen. Und dann ging es schon wieder los: "Ansaar International" und meine Stiftungen wurden verboten, Schlagzeile: "Terror-Razzia bei Ex-Bundesligastar". Das war es dann mit dem neuen Vertrag. So geht das seit Jahren. Im letzten Januar ist wieder im letzten Moment ein Wechsel in die zweite Liga geplatzt. Das hat mir dann auch wieder den Boden unter den Füßen weggezogen.

Wie äußert sich das dann?

Ben-Hatira: Ich saß teilweise tagelang im Dunkeln in der Wohnung, wollte dann wirklich alles hinschmeißen, meine Trainerscheine machen oder auf meinen Berater Roger Wittmann hören und bei ihm in der Agentur anfangen. Nach ein paar Tagen ging es dann wieder. Ich bin insgesamt schon stabil geblieben im Kopf. Aber es ist nicht schön. Manchmal habe ich mir gewünscht: "Bitte, lass was dran sein. Dann bekomme ich eine Strafe und kann damit abschließen."

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