Lukas Hradecky von Bayer Leverkusen im Interview: "Ich wäre gerne Profi in den 1990er-Jahren gewesen"

Lukas Hradecky spielt seit 2018 für Bayer Leverkusen.
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Inwiefern fühlt man sich unter diesen Bedingungen denn eingesperrt?

Hradecky: Bei der EM fühlte ich mich nicht eingesperrt, im Alltag in der Bundesliga war das schon eher der Fall. Ich habe wie wohl alle anderen Menschen während des Lockdowns einfach die Freiheit vermisst. Man konnte zum Beispiel ein schlechtes Spiel nicht schneller vergessen, indem man sich mit anderen Dingen ablenkt, sondern hing ja ständig nur daheim herum. Meine Familie und meine Kumpels haben mich 15 Monate lang nicht besuchen können. Keine Ahnung, ob das Einfluss auf meine Leistungen hatte, aber es war schlicht eine völlig neue Situation für mich.

Ist denn dieses Gefühl des Eingesperrtseins als Fußballprofi ein Thema innerhalb einer Mannschaft? Denn auch ohne Corona können manche Spieler ja nicht einfach hinausgehen und sich aufhalten, wo sie wollen.

Hradecky: Ja, darüber wird schon gesprochen, denn es isoliert einen und kann sich auch auf das eigene Verhalten auswirken. Vielleicht sogar auch darauf, auf welche Weise man die Welt oder andere Menschen sieht. Als Fußballer, der in der Öffentlichkeit steht, wird man schnell auf ein Podest gehoben. Dadurch ist man oft gezwungen, ein anderes Leben zu führen als die meisten Menschen. Andererseits liebe ich ja auch meinen Beruf und damit geht eben einher, dass man einige Dinge dafür opfern muss. Das ist schade, aber ich weiß auch, dass ich nach meiner Karriere die Möglichkeit habe, mich dem sozusagen normalen Status wieder angleichen zu können.

Sie sollen zu Beginn Ihrer Karriere bei Esbjerg fB, wo Sie im Juli 2009 Ihr Profidebüt feierten, ziemlich nervös gewesen sein und beinahe Angst davor gehabt haben, den Ball zu berühren. Das kann man sich angesichts Ihrer heutigen Lockerheit gar nicht vorstellen. Was war damals los?

Hradecky: Ich habe mich durch den öffentlichen Fokus auf meine Person dazu verleiten lassen, zu sehr darüber nachzudenken, wie ich bei anderen ankomme und wie andere mich sehen. Deren Meinungen hatten bei mir zu viel Gewicht und das hat mich behindert. Ich habe mich auf dem Platz nicht wohlgefühlt. Das war einfach meinem mangelnden Selbstbewusstsein geschuldet. Ich hatte die Befürchtung, dass es vielleicht nicht reicht, um mich dort durchzusetzen und auf Profiniveau zu etablieren.

Stimmt es, dass es dann zu diesen Themen ein langes Gespräch mit Ihren besten Freunden in einem finnischen Sommerhaus gab, das für Sie den Wendepunkt bedeutete?

Hradecky: Ja. Wir nahmen uns dieses Haus, gingen zwischendurch segeln und hatten genug Bier dabei. An einem Abend haben wir dann mal richtig was getrunken und uns offen über diese Dinge unterhalten. Ich habe das nicht bewusst gemacht, aber mir war ja auch klar, dass es so nicht weitergehen kann. Am Ende dieses Trips stand für mich fest: Jetzt reicht's - wenn es als Profi klappt, klappt es und wenn nicht, dann eben nicht. Wichtig ist nur, wie ich damit umgehe und dass ich mich auf meinem Weg nicht von außen beeinflussen lasse. Auch die vielen Gespräche mit meinem Vater haben mir da sehr geholfen.

Sie konnten Ihr Vorhaben direkt gut umsetzen: In der darauffolgenden Saison, Ihrer zweiten Saison als Stammtorhüter, haben Sie stark gehalten und sind mit Esbjerg 2013 Pokalsieger geworden.

Hradecky: Genau. Ich muss zugeben, dass ich in dieser Hinsicht bis heute vor manchen Spielen oder während einer Saison Selbstgespräche mit mir führe und mich daran erinnere, was wir damals besprochen und entschieden haben. Und ich habe auch daraus mitgenommen, dass man immer vorsichtig sein muss, bevor man Urteile über andere Menschen fällt, da man nie wissen kann, ob jemand einen inneren Kampf mit sich austrägt.

Lukas Hradecky im Jahr 2013, als er in Dänemark für Esbjerg fB im Tor stand.
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Lukas Hradecky im Jahr 2013, als er in Dänemark für Esbjerg fB im Tor stand.

Sie standen 2006 bei Turku PS erstmals im Kader einer Profimannschaft, sind also schon seit 15 Jahren in diesem Geschäft dabei. In dieser Zeit hat sich der Fußball, aber auch die Gesellschaft enorm verändert. Wie blicken Sie darauf?

Hradecky: Was mir wirklich ein Dorn im Auge ist, ist der enorme Einfluss der sozialen Medien. Auf all diesen Kanälen wird viel zu viel Diffamierendes erlaubt, und so vieles dann auch noch anonym. Ich würde niemanden dafür persönlich kritisieren, aber ich finde, dass es darüber hinaus viele Fußballprofis und auch andere Prominente mit ihren Social-Media-Aktivitäten einfach übertreiben. So wie sie sich dort teilweise darstellen, entfernen sie sich immer weiter von der normalen Welt und dem normalen Leben. Da wird einem oft ein Paralleluniversum vorgespielt. Da frage ich mich oft: Wann sind die eigentlich mal privat, wollen die gar nicht in Ruhe gelassen werden? Am Ende muss das natürlich jeder für sich selbst entscheiden und damit umgehen.

Sie selbst sind ja auch aktiv und haben Ihre Accounts.

Hradecky: Natürlich, ich spiele das Spiel mit - nur eben auf meine Weise. Mir gefällt es durchaus, mich bei Twitter durch meine Timeline zu scrollen oder mir Bilder auf Instagram anzuschauen. Ich selbst poste aber nichts aus meinem Urlaub oder grundsätzlich von meinem Privatleben. Ich will auch gar nicht, dass sich überhaupt jemand dafür interessiert. Für mich sind Postings im Zusammenhang mit meinem Verein und Beruf oder auch mal ein lockerer Spruch in Ordnung. Alles darüber hinaus braucht es in meinen Augen nicht. In der Hinsicht wäre ich gerne Profi in den 1990er-Jahren gewesen, als es all diese Dimensionen und Entwicklungen noch nicht gab und man größere Freiheiten nicht nur als Profi, sondern auch als Mensch genießen konnte.

Inwiefern sind Sie denn froh, noch zu einer Zeit aufgewachsen zu sein, in der es kein Smartphone gab?

Hradecky: Dafür bin ich sehr dankbar. Ich denke häufig, dass der enorme technische Fortschritt bei aller Erleichterung, die er für den Menschen auch mit sich bringt, in Zukunft zu einem immer größeren Problem werden kann. Man sieht doch heute zum Beispiel kaum noch Kinder, die draußen auf dem Bolzplatz kicken oder einen anderen Sport an der frischen Luft betreiben. Wo sollen also neue Talente herkommen, wenn sich nur noch die wenigsten sportlich betätigen? Die digitale Welt übt eine solch große Anziehungskraft aus, dass der Sport an sich in Zukunft immer mehr durch Dinge wie eSport ersetzt werden könnte.

Was sich in all diesen Jahren auch verändert hat: Sie sind bekannter geworden und haben deutlich mehr Geld verdient. Wie sind Sie persönlich damit umgegangen?

Hradecky: Ich hatte zum Glück eine gesunde Gehaltsentwicklung. Bei Turku habe ich 100 Euro im Monat bekommen. Da war ich einfach nur überglücklich, dass ich mit meinem liebsten Hobby Geld verdient habe. Auch das Gehalt in Dänemark war weit weg davon, mir alles leisten zu können. Dass ich nun mehr bekomme als vor zehn Jahren, hat mich als Menschen nicht verändert, würde ich behaupten wollen.

Haben Sie sich nicht einmal einen Lustkauf gegönnt, als Sie sich so etwas leisten konnten?

Hradecky: Nein. Ich bin ohnehin kein Materialist, ich brauche keine Uhren oder ein dickes Auto. Wie beim Thema Social Media respektiere ich aber jeden, der da anders tickt. Es ist doch wunderschön, wie unterschiedlich die Menschen sein können. Für mich ist entscheidend, dass man sich gegenseitig mit Respekt behandelt und sich normal verhält und benimmt.

Was würde denn passieren, wenn Sie plötzlich mit einem Tattoo aufkreuzen oder sich ein Gold-Steak gönnen würden?

Hradecky: Das wird nicht geschehen, denn das wäre nicht ich. Und ich würde für den Rest meines Lebens von meinen Brüdern und meinem Vater ausgelacht. Darauf kann ich getrost verzichten. (lacht)

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