Tony Mamodaly von der TSG Hoffenheim im Interview: "Du fällst in ein Loch und weißt nicht, woran du dich festhalten sollst"

Von Louis Loeser
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© TSG Hoffenheim
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In Miami lebten Sie erstmals tausende Kilometer von daheim entfernt und waren auf sich allein gestellt. Wie sahen Ihre ersten Tage dort aus?

Mamodaly: Die USA boten mir die Möglichkeit, mit einem weißen Blatt Papier anzufangen. Meine Teamkollegen wussten von meinem Trainer nur, dass ich aus Hoffenheim komme und Ex-Nationalspieler bin. Alles andere hat niemanden interessiert. Ich kam in ein neues Land, eine neue Mannschaft und eine neue Kultur. Dieser Neuanfang war für mich Gold wert. Zudem konnte ich sehen, wie unterschiedlich die Lebenseinstellungen der Deutschen und der Amerikaner sind. Gerade wenn man im Fußballsystem groß wird, merkt man, wie eindimensional alles ist. Du bist jede Woche mit der Anzeigetafel verbunden; wenn du verloren hast, ist alles schlecht. Die Amerikaner gehen das Leben viel bereiter an und lassen auch Platz zum Scheitern. Es wird eine Scheiterkultur gefeiert, die ich so aus Deutschland nicht kannte. Dadurch lernte ich, dass die Rückschläge, die ich erlitten hatte, für meine Entwicklung womöglich das Beste waren, das mir passieren konnte.

In Ihrem Team trafen Sie auf Menschen aus verschiedensten Ländern mit unterschiedlichsten Hintergründen. Wie veränderten diese neuen Perspektiven Ihre Weltsicht?

Mamodaly: Ich hatte schon als Kind das Glück, dass ich zwischen Deutschland und Madagaskar aufgewachsen bin und dementsprechend den Wohlstand, den wir in Deutschland genießen, im Verhältnis zur Armut in Madagaskar gesehen habe. Deswegen bin ich ohnehin mit einer Perspektive groß geworden, die es mir ermöglicht hat, zu verstehen, wie privilegiert wir leben. Was ich in den USA spannend fand, waren die verschiedenen Leute in meinem Umfeld und welchen Einfluss sie auf meine persönliche Entwicklung nahmen. Es gibt dazu den Spruch: "You become the average of the five people you spend the most time with."

Was bedeutete das für Sie?

Mamodaly: Der Kapitän meiner Mannschaft in Miami war Schotte. An meinem ersten Tag fragte ich ihn nach seinem Notenschnitt und er antwortete völlig trocken, als sei alles andere keine Option: "1,0." Für mich war das komplett neu. Ich hatte mein Abi mit Ach und Krach mit 2,9 abgeschlossen und das auch nur, weil meine Mutter darauf bestanden hatte. Ich war immer davon ausgegangen, dass ich ohnehin Profi werde, weshalb mir die Schule nie sonderlich wichtig war. Der zweite Teamkollege, auf den ich traf, war Mexikaner und hatte an seiner vorherigen Uni in den USA nach vier Tagen sein Stipendium verloren, weil er Beifahrer von jemandem gewesen war, der betrunken Auto gefahren war. Er wusste selbst nicht, dass sein Kumpel etwas getrunken hatte, aber sein neuer Trainer statuierte an ihm ein Exempel und warf ihn raus, sodass er sein Stipendium verlor und zurück nach Mexiko musste. An meiner Uni bekam er eine zweite Chance und er war deshalb unfassbar besessen davon, erfolgreich zu sein und der Uni das Vertrauen in Form von guten Noten zurückzuzahlen.

Und die anderen?

Mamodaly: Der Dritte im Bunde war ein Schwede, Hitch, der auch mein Trauzeuge wurde. Er kam aus Schweden ins Silicon Valley und ging dort zwei Jahre lang zur Uni. Dort wurde er mit diesem Start-Up-Spirit ausgestattet. Er war der Erste, der zu mir sagte, er werde niemals für jemanden arbeiten - das kannte ich vorher gar nicht. Wenn du in einem NLZ groß wirst, zählt nur, ob du am Wochenende spielst - wir waren jetzt nicht unbedingt überdurchschnittlich belesen oder sprachen über Weltpolitik. Der Vierte war ein Italiener, der aus der Jugend von Sampdoria kam und nach meinem ersten Jahr für seinen Master an die Columbia University ging. Als er mir davon erzählte, war ich völlig baff, da ich die Columbia nur aus dem Fernsehen kannte. Es war für mich nicht greifbar, dass ich jemanden kenne, der dort studiert. Doch wenn man meinen Werdegang von dort aus 2,5 Jahre vorspult, habe ich meinen Bachelor mit 1,0 abgeschlossen, meine eigene Firma gegründet und meinen Master an der Columbia absolviert. Das wäre nie passiert, hätte es nicht diese einzelnen Begegnungen gegeben, die mich in irgendeiner Art und Weise geprägt haben. Daraus habe ich gelernt, dass es extrem wichtig ist, in was für einem Umfeld du dich bewegst und mit wem du dich abgibst.

Wie muss man sich die Spiele an der STU und das Drumherum vorstellen?

Mamodaly: Ich ging das College damals mit dem Ziel an, mich akademisch und beruflich weiterzubilden - und das mithilfe des Fußballs. Ich sah meine Zukunft nicht mehr auf Spielerseite. Deswegen war das für mich nicht mehr elementar wichtig, aber durch diese Lockerheit liefen die Dinge auf dem Platz plötzlich besser. Bei den Spielen hatten wir vielleicht 500 Zuschauer. In Florida kann es im Sommer bis zu 45 Grad warm werden und die Leute gingen deshalb lieber in klimatisierte Hallen und sahen sich Basketball oder Volleyball an. Es war trotzdem eine wahnsinnige Erfahrung, da ich meine Leidenschaft weiter ausleben und mir mit zwei Trainings am Tag ein Studium im Wert von 50.000 Dollar pro Jahr finanzieren konnte.

Bei Ihrem Start in Dresden wurden Sie in den sozialen Medien aufgrund Ihrer Hautfarbe mit Hassnachrichten konfrontiert. Haben Sie ähnliche Erfahrungen auch in den USA machen müssen?

Mamodaly: Wenn ich in Madagaskar gespielt habe, war ich immer der "Vazaha", also der Weiße, und in Deutschland galt ich immer als der Schwarze. In den USA war es dann etwas paradox, weil die Leute mich immer auf Spanisch ansprachen und dachten, ich sei Hispanic. Ich habe Rassismus auf allen drei Kontinenten erlebt. Für mich war das immer ein Ansporn und gleichzeitig die Verpflichtung, mehr zu machen und zu beweisen, dass die Leute in ihrer vereinfachten Weltanschauung falsch liegen. Dabei habe ich als Gemeinsamkeit aller drei Kontinente gemerkt, dass der Aufschrei immer dort am lautesten war, wo der Bildungsgrad am niedrigsten war. Solche Erlebnisse sind nie schön, aber sie prägen dich. Gerade in Bezug auf Black Lives Matter kann ich nicht nachvollziehen, dass wir im 21. Jahrhundert immer noch Rassismus in der Form erleben.

Viele Profisportler in den USA und auch in Europa solidarisierten sich mit der Black-Lives-Matter-Bewegung. Auch die TSG Hoffenheim setzte im vergangenen Jahr ein Zeichen, nachdem Ryan Sessegnon in den sozialen Netzwerken rassistisch angefeindet worden war.

Mamodaly: Dieses Engagement finde ich elementar wichtig. Der Sport nimmt in der Gesellschaft eine Rolle ein, in der er Werte vermitteln und diese in die Mitte der Gesellschaft weitergeben kann. Wenn man zum Beispiel die Auseinandersetzung zwischen LeBron James und Zlatan Ibrahimovic betrachtet, kann ich mich nur auf die Seite von LeBron schlagen. Er versteht seine Rolle in der Gesellschaft und weiß, dass er als Vorbild eine gesellschaftliche Verantwortung trägt. Deswegen finde ich es unfassbar wichtig, dass sich Sportler und Vereine engagieren. Ich denke aber auch, dass es von den großen Social-Media-Konzernen oder auch von Regierungsseite viel härtere Strafen geben muss. Ich verstehe nicht, warum ich auf Twitter, Instagram oder Facebook ungestraft einen Fake-Account erstellen und querbeet Leute beleidigen kann. Wenn ich in den Supermarkt gehe und Leute beleidige, bekomme ich dafür auch eine Strafe. Die Regulierungen müssten dahingehend deutlich verschärft werden.

Sie sind durch Ihre Arbeit auf mehreren Kontinenten unterwegs. Welche Rolle spielt dabei der Abbau von Vorurteilen?

Mamodaly: Das Schöne ist, dass wir dazu gar nichts kommunizieren müssen, weil wir es vorleben. Wir sind in Afrika und den USA unterwegs, wir haben eine Mannschaft mit Spielern aus verschiedensten Kulturen und man sieht, dass diese Diversität das Kollektiv fördert. In meinem Bereich versuchen wir, mit gutem Beispiel voranzugehen, damit Vorurteile oder Rassismus gar nicht erst Teil der Konversation werden können.

Zurück zu Ihrem Studium: Sie bekamen am College nur eine Spielgenehmigung und somit auch nur ein Vollstipendium für zwei Jahre, wodurch Sie dazu gezwungen wurden, Ihr Studium an der STU in Rekordzeit abzuschließen. Das taten Sie dann auch in 2,5 Jahren und mit einem Schnitt von 1,0. Was war dabei die größte Herausforderung?

Mamodaly: Am Anfang war es vor allem die Sprache. Es war nicht ohne, in einer neuen Sprache denken, schreiben und funktionieren zu müssen. Im Vergleich zu den Rückschlägen und Hindernissen, die ich im Fußball erlebt habe, war das Studium jedoch relativ einfach, weil ich klare Aufgaben hatte und wusste, welche Note ich zu erwarten habe, wenn ich sie erledige. Ich war zum ersten Mal zu 100 Prozent der Herr meiner eigenen Handlungen und konnte selbst darüber bestimmen, wo es mich am Ende hinführt. Als Leistungssportler muss man Eigeninitiative, Selbstdisziplin und Leidenschaft entwickeln, um in seinem Sport erfolgreich zu sein. Ich glaube, ein Studium ist dadurch für die meisten Sportler eher einfach zu handhaben, wenn sie die Inhalte interessieren.

Nach ihrem Bachelor-Studium in Miami hatten sie Angebote von der Columbia University und von Harvard. Was gab den Ausschlag für die Columbia University?

Mamodaly: Zu diesem Zeitpunkt war ich noch in der Marketing-Welt verankert und wollte unbedingt in das Zentrum der Business-Welt - und das ist New York. Das war eine Frage des Bauchgefühls.

Wie hat sich Ihr Leben in New York von dem in Miami unterschieden?

Mamodaly: Es war deutlich hektischer. In New York geht alles unglaublich schnell zu und man wird sofort in den Trubel hereingezogen. Ich habe manchmal am Wochenende gemerkt, dass ich durch diese Hektik gestresst war, obwohl ich selbst nichts zu tun hatte. Gleichzeitig ist das Renommee der Leute, die sich dort bewegen, außergewöhnlich. Ich traf Menschen, die an der Wall Street arbeiten, andere zogen gerade ihre Tech-Unternehmen hoch und jeder hat sein Ding gemacht. Das war schon inspirierend, wenn man selbst aus Mannheim kommt und bis dato nur den Fußball kannte.