Tony Mamodaly von der TSG Hoffenheim im Interview: "Du fällst in ein Loch und weißt nicht, woran du dich festhalten sollst"

Von Louis Loeser
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© TSG Hoffenheim
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In den USA spielten Sie am College weiter, heute führen Sie eine Beratungsagentur und arbeiten bei der TSG Hoffenheim. War es nie eine Option, dem Fußball gänzlich den Rücken zu kehren?

Mamodaly: Als ich in die USA kam, fing ich an, die TV-Show "Mad Men" anzusehen. Ich war damals sehr sensibel für neue Impulse und "Mad Men" hat mich gepackt. Deshalb wollte ich unbedingt in die Werbung. Es dauerte bestimmt sieben Jahre, bis ich den Schmerz darüber loslassen konnte, dass ich den Durchbruch im Fußball nicht geschafft hatte. Es ist extrem, wie lange das an dir nagt. In der Werbung habe ich meine Flucht gesucht und unter anderem in New York und in Frankfurt Praktika in Werbeagenturen gemacht. Dort habe ich aber schnell gemerkt, dass diese Arbeit für mich nicht erfüllend war. Ich wollte niemandem irgendwelche Produkte verkaufen, die er sich nicht leisten kann und mit denen er nur Menschen beeindrucken will, die er selbst nicht leiden kann. Danach war mir klar, dass ich etwas machen muss, wo ich meine - bis dahin ausschließlich negativen - Erfahrungen an junge Leute weitergeben kann. Deshalb gründete ich eine Agentur, die sich mit Spielern befasst, die den Sprung in Deutschland nicht schaffen und ihnen die Möglichkeit gibt, aus der Eindimensionalität des Profifußballs auszubrechen. Eigentlich war ich schon vom Fußball weg, aber dann hat es mich wieder zu meiner Leidenschaft hingezogen.

Was macht Ihre Agentur so besonders?

Mamodaly: Das erste Mal kam ich mit dem College-Sportsystem in Berührung, als mich vier der großen College-Vermittlungs-Agenturen über Facebook anschrieben. Die Nachrichten waren vorgefertigte Templates, die in dieser Form an alle Spieler in der Bundesliga, aber wahrscheinlich auch in der Oberliga, Landesliga und Kreisliga geschickt wurden. Gleichzeitig habe ich geschaut, welche Arbeit die guten Beratungsagenturen im Profifußball machten und wie individuell dort gearbeitet wurde. Ich habe mir damals beide Seiten angesehen und mir überlegt, was die College-Vermittler und die Berater jeweils gut oder schlecht machen. Letztlich haben wir einen Hybrid geformt, der in dieser Form noch heute einzigartig ist, was mich manchmal wundert, da es keine hohe Hürde gibt, um in diesem Bereich einzusteigen.

Einige Ihrer Spieler landeten bereits in der MLS. Auf welchen Werdegang sind Sie besonders stolz?

Mamodaly: Mich interessiert vor allem das Unbekannte hinter dem Bekannten. Jeder Spieler, mit dem wir arbeiten, hat zu irgendeinem Zeitpunkt seiner Karriere einen Knackpunkt erlitten. Eine der schönsten Geschichten ist Jan Engels, der aus der Akademie des KSC stammt und bis zur U17 Nationalspieler des DFB war. Jan hat sich vier Monate vor der U17-Weltmeisterschaft das Syndesmoseband gerissen und wurde in der Nacht versehentlich am falschen Fuß operiert, da alles schnell gehen musste. Plötzlich fiel er acht statt vier Monate aus und musste wieder das Laufen lernen. Sein Jugendtrainer Tim Walter ist zu diesem Zeitpunkt zum FC Bayern gewechselt und hätte ihn wohl mitgenommen, wäre er gesund gewesen. Der neue Trainer kannte Jan kaum und baute nicht mehr auf ihn. Für einen Spieler in diesem Alter ist das eigentlich gleichbedeutend mit dem Karriereende. Mittlerweile ist Jan seit fast drei Jahren am College. Wir haben aber auch mit Alexander Nitzl einen Spieler aus der TSG-Akademie, bei dem es mich freut zu sehen, wie er in den USA aufgeht. Es ist sehr erfüllend, dass wir Spielern, die am Boden sind und bei denen niemand hinterfragt, was schiefgelaufen ist, eine Perspektive bieten können. Ob wir sie dann in die MLS begleiten oder ihnen ermöglichen, mithilfe des Fußballs einen Abschluss zu machen und einen schönen Beruf auszuüben, ist sekundär.

Ihre Agentur führen Sie parallel zu Ihrer Aufgabe bei der TSG weiterhin. Wie ergänzen sich diese Rollen gegenseitig?

Mamodaly: Erstmal sind es zwei unterschiedliche Aufgaben und natürlich beziehen wir das auch intern in der Struktur mit ein. Wir haben in Hoffenheim momentan eine Durchlässigkeit in den Profibereich von 23 Prozent. Wenn man das mit allen anderen Nachwuchsleistungszentren vergleicht, die laut einer Umfrage der ARD im Schnitt auf 1,5 bis zwei Prozent kommen, ist das herausragend. 23 Prozent bedeuten aber auch, dass auf jeden Spieler, der den Sprung schafft, drei kommen, die ihn nicht schaffen. Deshalb bieten wir von innen heraus die Möglichkeit an, ans College zu gehen. Das ist etwas, das kein anderer Bundesligist bisher macht. Wir haben mit Paul Ehmann einen PHD-Kandidaten, der heute bei der TSG im Research Lab arbeitet und damals von unserer Akademie an die UC Santa Barbara gewechselt ist. Hendrik Hilpert, der auch bei uns in der Akademie war, ist an die Syracuse University gegangen und arbeitet heute an der Wall Street. Natürlich haben wir als Verein das primäre Ziel, Spieler für den Profibereich zu entwickeln. Wir haben auf diesem Weg aber auch die Verantwortung übernommen, andere Möglichkeiten aufzuzeigen. An dieser Stelle können sich meine beiden Rollen überschneiden.

Als Sie in der Jugend der TSG spielten, blockte der Klub Einladungen des DFB ab, weil die Verantwortlichen Ihnen übelnahmen, dass Sie parallel bei den Rhein-Neckar-Löwen Handball spielten. Hatten Sie das noch im Hinterkopf, als Sie 2017 über Ihr damaliges Praktikum bei der Agentur Wasserman wieder mit der TSG in Kontakt kamen?

Mamodaly: Überhaupt nicht, dazwischen sind Jahre vergangen und gefühlt weiß auch niemand mehr so genau, was damals alles passiert ist. Ich sehe das so. In Hoffenheim hat alles gepasst: In der Bundesliga Fuß zu fassen, zuhause bei einem Verein, den ich bereits kannte, als er noch Jahre von dem entfernt war, was er heute ist. Ich gehe immer noch mit Staunen durch die Geschäftsstelle oder das Research Lab und bin jedes Mal aufs Neue begeistert, was dort für Innovationen auf die Beine gestellt werden.

Nach drei Jahren in regem Austausch kehrten Sie Anfang 2020 als Head of International Operations zurück nach Hoffenheim. Was muss man sich unter Ihrer Rolle vorstellen?

Mamodaly: Es ist eine komplexe und vielfältige Aufgabe. Zum einen befasst sich mein Job mit Strategie, zum anderen mit Innovation. In Anlehnung an das Kredo unseres Geschäftsführers Dr. Peter Görlich dreht sich alles um die Frage: Was müssen wir tun, um in fünf Jahren erfolgreich zu sein? Die Rolle knüpft an alle übergeordneten Bereiche des Vereins an - also an die Akademie, die Profis, ans Marketing, an die CSR-Abteilung oder auch ans Research Lab. Ich bin nicht an eine dieser Abteilungen gebunden, sondern kann differenziert auf Basis meiner Erfahrungen und Motivationen entscheiden, wie wir den Verein langfristig weiterbringen wollen. Dabei genieße ich den Luxus, dass meine Leistung nicht daran gemessen wird, ob wir am Wochenende gewinnen oder verlieren. Dadurch kann ich ergebnisunabhängig arbeiten.

Welche Schnittstellen bestehen dabei mit der sportlichen Abteilung? Sind Sie ins Scouting eingebunden?

Mamodaly: Gerade was die USA anbelangt ergänzen sich einige Sachen. Ich bin in sehr engem Austausch mit unserem Chefscout Basti Huber und der sportlichen Leitung sowie der Akademie. Dank der Partnerschaft mit dem FC Cincinnati haben wir die Möglichkeit, das Ganze auf vielen Ebenen voranzutreiben. Und zwar nicht nur im Scouting, sondern auch im Bereich Innovationen, Nachhaltigkeit oder CSR.

Sie sprechen die Kooperation mit dem MLS-Klub FC Cincinnati, die im vergangenen Jahr verkündet wurde, bereits an. Wie kam der Kontakt zustande?

Mamodaly: Die USA, als Land der Innovationen, sind für uns als Innovationsführer in der Bundesliga ein hochspannendes Thema. Deshalb ist es für die TSG wichtig, unsere Perspektiven in dem Markt zu erweitern. Dazu suchten wir einen Partner in der MLS, da die Liga in Hinblick auf die WM 2026 sowie ihre neu strukturierte Jugendarbeit - die sogenannte MLS Next Academy - momentan an einem Wendepunkt ist. An Alphonso Davies, Tyler Adams, Weston McKennie, Josh Sargent oder Giovanni Reyna sieht man bereits, wie viele Top-Spieler aus den USA in der Bundesliga spielen. Also wollten wir Zugang zu diesem Markt im Bereich der Talente und Innovationen, aber auch um uns als Marke präsentieren zu können und unser Know-How zu erweitern. Mit Cincinnati haben wir nun einen Partner, dessen Akademie-Direktor Larry Sunderland U17-Nationaltrainer der USA ist. Ein großes Plus. Unsere sportliche Leitung um Alexander Rosen ist hier im regelmäßigen Austausch mit Cincinnati GM Gerard Nijkamp. Dazu haben wir wöchentliche sogenannte Task-Force Meetings in den wir uns zu Spielern, aber auch über Innovationen und anderen Inhalten austauschen. Das ist für uns ein riesiger Mehrwert.

Tony Mamodaly arbeitet als Head of International Operations bei der TSG Hoffenheim.
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Tony Mamodaly arbeitet als Head of International Operations bei der TSG Hoffenheim.

Das größte internationale Handlungsfeld der TSG ist Afrika, wo man verschiedenste Projekte zur Entwicklungshilfe betreut und mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) kooperiert. Welche Rolle nehmen Sie dabei ein?

Mamodaly: Auch hier sind wir im wöchentlichen Austausch mit unseren Partnern vor Ort. Da ist beispielhaft das Bundesliga Youth Ambassador Projekt in Kenia und Südafrika zu nennen, wo wir die universelle Kraft des Fußballs nutzen, um junge Menschen auszubilden und sozialen Wandel herbeizuführen. Meine persönlichen Erfahrungen in Afrika spielen dabei eine große Rolle. Als Verein sind wir trotz der aktuellen Lage immer noch jede Woche aktiv im Austausch und haben dazu die Projekte in die digitale Landschaft verfrachtet. Unsere Trainer aus der Fußballschule machen hier einen sensationellen Job. Sie geben den Teilnehmern viele wertvolle Inhalte mit, können dabei aber gleichzeitig auch für sich selbst viel mitnehmen, was sie wiederum bei uns vor Ort wieder einbringen.

Die TSG hat ihre internationalen Handlungsfelder in den vergangenen Jahren stetig erweitert. Wie soll es weitergehen?

Mamodaly: Ich sehe unsere Strategie weiterhin in Afrika und Nordamerika. Afrika ist für uns aber kein klassisches Internationalisierungsthema, da wir dort nicht mit der Absicht hingehen, Trikots zu verkaufen. Für uns geht es darum, etwas zu bewirken und Menschen zu helfen. In den USA möchten wir hingegen eine stärkere Handschrift im Markt hinterlassen und Wissen erlangen, das uns in Hoffenheim in verschiedenen Bereichen weiterhilft. Gleichzeitig wollen wir für unsere Talente aus der Akademie und punktuell auch bei den Profis zusätzliche Entwicklungsopportunitäten schaffen. So sehen wir zum Beispiel bei Franko Kovacevic aus unserer U23, der aktuell die Möglichkeit hat beim FC Cincinnati zu reifen, eine positive Entwicklung. Wie können wir das Thema Bildung stärker integrieren? Was können wir von anderen Sportarten, wie dem American Football oder Baseball, lernen? Was können wir aus anderen Systemen wie der NCAA lernen, in der die Spielgenehmigung junger Talente direkt an das Erreichen akademischer Ziele geknüpft ist? Wie können wir auch die Frauen stärker einbringen? All das sind Fragen, die uns beschäftigen. In den USA geht es also vor allem in die Richtung, Universitäten stärker einzubinden, das Ökosystem um die Partnerschaft mit Cincinnati auszubauen und uns stärker zu positionieren. Auch die Themen Nachhaltigkeit und Ökologie werden hier zukünftig eine noch größere Rolle spielen.