BVB - Ex-Torhüter Johannes Focher vom RSV Meinerzhagen im Interview: "Was wir gespielt haben, war eindeutig Nuris Handschrift"

Johannes Focher (3.v.l.) stand insgesamt dreimal im Spieltagskader der BVB-Profis.
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Wie sieht es denn finanziell aus, verdienen Sie beim RSV mehr als eine Liga höher in Essen?

Focher: Nein. In Meinerzhagen erhält man die für den Amateursport ganz normalen Durchschnittsbeträge. Daher kann es auch bei keinem Spieler die finanzielle Motivation sein, sich dem Klub anzuschließen.

Der Verein ist in der Region aufgrund des Namens Sahin und der ambitionierten Transfers ein großes Gesprächsthema. Wird man als RSV-Spieler besonders kritisch von den Gegnern beäugt?

Focher: Überhaupt nicht. Der Verein ist sehr familiär und die Strukturen teils noch dieselben wie einst in der Bezirksliga. Jeder packt mit an, viele der Fans gibt es seit Ewigkeiten und die haben selbst für den Verein gekickt. Sie helfen auch gerade, das Vereinsheim zu renovieren. Wer einmal auf unserem Platz gespielt hat weiß, dass wir sehr bodenständig sind. (lacht)

Wie ursprünglich ist denn der Fußball in der Westfalen- oder Oberliga, Stichwort Kasten Bier in der Kabine?

Focher: Da es nicht wie im Profibereich um viel Geld geht, steht vor allem die Kameradschaft und der Mannschaftserfolg im Vordergrund. Genau deshalb hat ja auch jeder von uns einmal mit dem Fußball begonnen, wir sind nicht umsonst Team- statt Individualsportler geworden. Ich musste die Ursprünglichkeit wieder neu kennenlernen, weil ich mich zuvor immer weiter von ihr entfernt hatte. Ich habe sie auch vermisst und nun glücklicherweise wiedergefunden. Und den Kasten Bier gibt's auch manchmal.

Johannes Focher stand in 71 Pflichtspielen im Kasten der U23 des BVB.
© IMAGO / DeFodi
Johannes Focher stand in 71 Pflichtspielen im Kasten der U23 des BVB.

Die Zeit beim RSV fing bitter für Sie an: Im Oktober 2018 zogen Sie sich beim Auswärtsspiel in Hassel einen Riss des hinteren Kreuzbandes zu, auch Innen- und Außenband waren betroffen. Eine OP konnten Sie umgehen, doch es war die schwerste Verletzung Ihrer Karriere.

Focher: Definitiv. Die Ärzte sagten, ich müsse mit neun Monaten Pause rechnen. Das habe ich erst nicht geglaubt, aber sie hatten recht. Es hat lange gedauert, bis ich wieder Stabilität in das Knie bekam. Ich merke es auch immer noch, das Kreuzband ist etwas ausgeleiert und wird nie wieder so sein wie zuvor. Ich hätte dann theoretisch in den beiden letzten Saisonspielen wieder auflaufen können, aber da unser Aufstieg bereits feststand, habe ich das gelassen.

Auch ohne Verletzung wären Sie damals nicht einsatzfähig gewesen, da Sie von November bis Februar ein Auslandssemester in Melbourne einlegten. Blödes Timing, oder?

Focher: Schon, der Kreuzbandriss geschah zwei Wochen vor Abflug. Ich saß dann 21 Stunden mit Schiene und Krücken recht unbeweglich im Flugzeug, aber ich wollte mir das trotz meiner 28 Jahre nicht nehmen lassen. Vor Ort habe ich mir einen Physiotherapeuten gesucht und hatte Glück, dass ich einen sehr professionellen fand, der im Australian Football unterwegs war und Knieverletzungen in- und auswendig kannte.

Wie war's denn in Australien?

Focher: Ich wohnte im Studentenwohnheim und habe Kurse in der Business School belegt, die ich mir in Deutschland anrechnen lassen konnte. Melbourne ist eine tolle Stadt, ich konnte auch mein Englisch weiter verfeinern. Rund um den Jahreswechsel bin ich durchs Land gereist und habe mir die touristischen Klassiker angeschaut. Es war eine sehr wertvolle Erfahrung und tat mir zu dem Zeitpunkt auch wirklich gut, denn ich hatte wegen der Verletzung definitiv meine Zweifel.

Ob das mit dem Fußball noch Sinn ergibt?

Focher: Genau. Nach der Rückkehr habe ich die Reha fortgesetzt und mich schon gefragt, ob ich noch einmal so Fußball spielen kann wie zuvor und das alles überhaupt sinnvoll ist - gerade, weil sich meine Prioritäten verschoben hatten und das Studium klar an erster Stelle steht. Auch das Laufen ging eher schlecht als Recht. Ich habe dann sehr viel Krafttraining für das Knie gemacht. Als ich es wieder mit dem Training versuchte, lief es überraschenderweise ziemlich gut. Das Knie hielt und es fühlte sich vernünftig an, so dass ich richtig Lust auf die Oberliga bekam.

Dort lief es für Meinerzhagen als Aufsteiger super, doch als die Saison im März 2020 coronabedingt abgebrochen wurde, kam es sehr bitter für den Verein. Erzählen Sie!

Focher: Wir haben an unserem Fußball festgehalten und standen auf dem zweiten Platz, der zum Aufstieg geführt hätte. Er wurde uns aber durch die mehr als ärgerliche Quotientenregelung des westfälischen Fußballverbands am grünen Tisch verwehrt. Rot Weiss Ahlen war zum Zeitpunkt des Abbruchs Dritter, hatte drei Punkte und zwei Spiele weniger auf dem Konto als wir. Das ergab letztlich den besseren Quotienten, sie durften dann aufsteigen. Als uns Nuri darüber informiert hat, war die gesamte Mannschaft niedergeschlagen und sauer.

Immerhin wurde im August der Westfalenpokal gewonnen, wodurch sich der RSV die Teilnahme an der 1. Runde des DFB-Pokals erspielte.

Focher: Das war unsere Wiedergutmachung für den Nichtaufstieg und auch mehr als beachtlich, denn wir hatten auf dem Weg zum Sieg ein wahnsinniges Programm. Wir warfen die Regionalligisten SC Verl, Sportfreunde Lotte und Rödinghausen raus und bezwangen auch den SC Wiedenbrück, der in unserer Liga Tabellenführer war. Leider verloren wir dann im DFB-Pokal gegen Greuther Fürth in der Verlängerung.

Auch die aktuelle Saison war nur von kurzer Dauer, Meinerzhagens letztes Spiel fand am 18. Oktober in Sprockhövel statt. Derzeit darf nur zu zweit auf einer Spielfeldhälfte trainiert werden. Mannschaftstraining könnte Anfang April wieder erlaubt sein, die Meisterschaft am ersten Maiwochenende weitergehen. Wie verbringen Sie die Zeit im Lockdown?

Focher: Ich stand seit Oktober nicht mehr auf einem Fußballplatz. Ich mache Lauf- und Krafttraining und konzentriere mich auf das Studium. Da wir mit mir insgesamt drei Torhüter sind und ich das Torwarttraining leite, fiel es bisher aus. Zu zweit wäre das Quatsch. Die eine Spielhälfte überlassen wir daher den Feldspielern.

"Ich habe den Fußball nie richtig geliebt, aber ich finde es schwer zu erklären, weshalb das so ist. Vielleicht gelingt mir das mit 60 Jahren besser", sagten Sie 2016. Wie sieht es bereits jetzt, fünf Jahre später, mit einer Erklärung aus?

Focher: Dieses Gefühl hat sich mit ein wenig Abstand relativiert. Damals hatte ich zum Profifußball, wie ich ihn kennenlernte, den Bezug verloren und einfach Lust auf eine Veränderung. Ich wollte damit vor allem sagen, dass ich nicht nur als Fußballtorwart gesehen werden, sondern mir ein anderes Profil verschaffen wollte. In erster Linie war ich auch geistig unterfordert, weil es irgendwo immer dasselbe war und mir die Qualität und letzte Leidenschaft fehlten, um als Fußballer erfolgreicher zu sein. Diese radikale Schlagzeile dürfte der Reichweite des Interviews bestimmt nicht geschadet haben. (lacht)

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