Ich stehe am Fenster und blicke hinaus.
Es regnet. Die Tropfen fallen leise auf die Straße, die vor mir zu einem grauen Schleier verschwimmt.
Es regnet schon seit Tagen. Ohne Unterlass.
Als würde der Himmel weinen.
Ich spüre, wie leise eine Träne an meiner Wange herabläuft. Sie schmeckt salzig zwischen meinen Lippen. Salzig und kalt.
Erst jetzt bemerke ich, dass ich zittere. Meine Hände, einst kraftvoll und stark, wirken klein und eingefallen. Ich hebe den Kopf und suche mein Spiegelbild.
Es blickt mich vom Fenster aus an, aschfahlen und grau.
Er ist das Spiegelbild meiner Seele. Leer. Verlassen. Und hoffnungslos.
Es ist trüb draußen, ein grauer, verregneter Herbst. Die letzten Blätter hat der Wind längst von den Bäumen geholt. Sie sind leer und kahl.
Ich atme tief ein und wende meinen Blick vom Regen ab. Es fällt mir schwer.
Der Regen hat etwas Friedliches, Beruhigendes.
Das Hier und Jetzt hat jedoch nichts Friedliches.
Immer, wenn ich an den Moment denke, wird mir schwarz vor Augen. Alles kommt wieder hoch. Die Schmach, der Hass, die Kälte.
Ich bin allein.
Ich war in dem Moment allein.
Alleingelassen von allen. Von Freunden, von Familie, vom Verein. Als ich sie am meisten brauchte, war ich allein.
Zitternd setze ich mich an meinen Schreibtisch und nehme ein Blatt Papier. Die alte Feder habe ich seit Jahren nicht mehr benutzt. Sie ist eingetrocknet. Vorsichtig tunke ich sie in die Tinte und setzte an.
Ich bin
Das Blatt verschwimmt vor meinen Augen.
Ja wer bin ich eigentlich? Der Mann davor oder danach? Der erfolgreiche Torjäger oder der geschmähte Mann?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts mehr. Ich habe den Halt verloren, den Glauben, die Hoffnung. Was mir passiert ist, war kein Schicksal. Kein Unglück.
Es waren die Menschen.
Ich konnte nicht mehr. Das Versteckspiel, die Lügen, die Geheimnisse.
Ich wollte es nicht mehr. Ich wollte die Wahrheit sagen. Offen sein. Wollte sagen, wer ich wirklich bin.
Dass ich schwul bin.
Meine Hand zittert, als ich die Feder über das Papier führe. Die Buchstaben sind kaum lesbar.
Es war ein Fehler. Ein schwerer Fehler.
Nach außen gab es Zustimmung, Verständnis, Glückwünsche. Wie mutig ich doch sei. Ein Vorbild. Ein gesellschaftlicher Vorreiter.
Lügen und Phrasen.
Es fing an bei den Spielen. Die Verachtung, der Hass von den Rängen. Wie ein Tier fühlte ich mich, von Scheinwerfern beleuchtet, von allen bewertet, von allen beurteilt. Ausgestellt. Nackt und wehrlos.
Ein Spießrutenlauf.
Ah da kommt er. Ach der. Der Schwule.
Nach außen waren sie verständnisvoll, lobend.
Aber die Blicke sagten anderes. Die Blicke der Vereinskameraden. Der Fans. Der Journalisten. Sie behandelten mich freundlich, aber ich spürte es. Ich war keiner mehr von ihnen. Ich war nun ein Außenseiter. Ich gehörte nicht mehr dazu. Ich war gebrandmarkt.
Und dann kam der Moment, der alles veränderte.
89. Minute des großen Finales. Monate herbeigesehnt, das Spiel der Spiele.
Die Luft vibriert. Ich höre die Schreie, die Gesänge, das Rufen und Bitten. Es ist ein riesiger Chor aus tausenden Sängern und er trägt mich.
Der Ball kommt scharf, aber ich nehme ihn blind an.
So wie ich es früh gelernt habe. Lasse ihn abtropfen und renne. Renne in die Lücke.
Der Verteidiger reagiert zu spät, er sieht mich nicht in seinem Rücken verschwinden.
Ein Fehler.
Der Pass kommt messerscharf. Perfekt in den Lauf.
Die Verteidiger drehen sich, aber es ist zu spät.
Ich laufe allein auf den Torwart zu, täusche links an und gehe rechts vorbei.
Das Tor ist frei. Frei und leer.
Der Ball muss nur noch rein.
Der Verteidiger ist hinter mir, aber er kann mich nicht mehr stoppen. Ich muss den Ball nur noch über die Linie schieben.
"Du schwule Sau!.
Es ist nur ein Ruf des Verteidigers, aber er trifft mich. Trifft mich tief.
Ich setze zum Schuss an, doch ich bin aus dem Gleichgewicht, habe einen falschen Schritt gemacht. Die Konzentration ist weg. Mein Körperschwerpunkt verlagert sich. Es ist zu spät. Ich muss schießen.
Der Ball hebt sich wie in Zeitlupe, hebt sich vor meinem Blick langsam empor.
Atemlose Stille. Die Stille vor der Eruption.
Die Zuschauer springen auf, Triumph in ihren Augen.
Der Ball touchiert die Latte und ist vorbei.
Vorbei.
Ich spüre tausende Augen auf mir.
Es ist still.
Totenstill.
Ungläubiges Schweigen. Leere. Enttäuschung.
Am Ende verlieren wir das Spiel, das Finale, den Pokal.
Und es ist meine Schuld.
Allein meine Schuld.
Ich habe es nicht ausgehalten. Die Beleidigungen, die Sprüche. Ich schaffte es nicht. Ich dachte ich könnte es. Aber es war zu viel. Und ich habe versagt.
Das große Finale. Die einmalige Chance. Ich habe sie vertan. Es war meine Schuld, mein Fehler. Die Erwartungen eines ganzen Vereins.
Die leeren Blicke meiner Mitspieler. Wie ich diesen Ball danebenschießen konnte? Ich, der bisher doch immer getroffen haben. Es ist, als ob sie sagen wollten: Liegt es daran, dass du schwul bist?
Die bohrenden Fragen der Presse? Wie ich mich fühle? Wie es ist, so zu versagen? Ob das Outing Schuld sei?
Die enttäuschten Blicke meiner Familie. Die Tränen meines Vaters.
Die Briefe. Voller Verachtung, voller Hass. Die Menschen auf der Straße, die leeren Blicke.
Die Scham ist grenzenlos.
Die Zeitungen überschlagen sich in Meldungen. In Artikeln. Ich habe verschossen weil ich damit nicht umgehen könne. Den Druck nicht ertragen könne, der erste zu sein, der sich geoutet habe. Dass ich im Kopf zu schwach sei.
Es ist wie ein Trommelfeuer, unaufhörlich, gnadenlos.
Ich halte es nicht mehr aus. Wochenlang habe ich es gelesen, es gehört, es gesehen. Versucht zu ertragen. Versucht zu akzeptieren.
Aber nun kann ich nicht mehr.
Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Wie ich meinen Freunden, meiner Familie, die Fans, alles weiter ertragen soll. Jeden Tag habe ich das Gefühl, dass ich mich rechtfertigen muss. Dass ich erklären muss, wieso ich so bin. Dass es meine Leistung nicht beeinträchtigt. Ich weiß nicht, wie ich je wieder ein Spielfeld betreten soll. Ich habe keine Kraft mehr, keine Zuversicht.
Meine Knie zittern als ich das Haus verlasse, in den strömenden Regen trete. Kalt sind die Tropfen auf meiner Haut. Meine Schritte sind ziellos, taumelnd. Die Straße verschwimmt vor mir, als ich mich in das Auto setze und den Schlüssel drehe.
Leise Tränen laufen über meine Wangen. Zitternd lege ich den Brief in das Handschuhfach.
Sie sollen es alle wissen, es war kein Schicksal, was mir widerfuhr, es waren die Menschen.
Ich finde Deine Sichtweise interessant - und sogar nachvollziehbar ... aber:
Wie hätte ein Blogger die Stimmung konditionierter, normaler, abgeklärter und trotzdem zum Leser transportierbar darstellen sollen?
Keine Frage, das ist genau das, was BEATspoxer in der ersten Runde auf den Punkt gelungen ist. Für einen Star völlig normale Situationen zu beschreiben und dann mit wenigen Worten alles umzudrehen, macht BEATspoxer's Beitrag unantastbar gut - und für mich persönlich nach wie vor zum besten im bisherigen Wettbewerb.
Gnanag hat aber einen anderen Ansatz gewählt: er hat sehr früh das "schwul sein" in seinem Text geoutet und musste daran dann entlang balancieren.
Der Text hätte auch die Wendung nehmen können, dass die Zeile "Du schwule Sau!" spurlos an dem Protagonisten vorbeigeht - oder dass die eigenen Mitspieler den rufenden Verteidiger verprügeln, es zu einer Reihe von roten Karten und dadurch zur Niederlage der eigenen Mannschaft kommt - oder, oder, oder ...
Ansätze und Ideen gibt es für dieses Thema unglaublich viele.
... und wenn sich Gnanag auf Soap-Serien-Niveau bewegt hat, dann passt das ja quasi schon wieder perfekt zu SPOX ...
Und überlegt, ob ich (für eine Bewertung zu spät) jetzt kommentieren soll...
Dann mal los:
Zunächst einmal:
Ich finde es gut, dass das Thema noch einmal aufgegriffen wird - warum denn auch nicht?
Emotional geschrieben und auf eine eigene Art, sicher stilistisch nicht schlecht.
Aber....
Es ist zu viel von allem. Nein, nicht zu viel Emotion (sowieso subjektiv), sondern zu melodramatisch. Zu viel Klischée!
Totenstille nach dem Lattenschuss? Ok, aus der Schützen-Perspektive mag das vorkommen.
Böse Blicke, Enttäuchung überall? Das auch. Aber doch ziemlich sicher auch, wenn da ein heterosexueller Spieler an die Latte getreten hätte?
Daneben geschossen, weil der Verteidiger ihn verbal getroffen hat?
Mit einer fiesen, aber abgedroschenen 0815-Provokation?
Unglaubwürdig.
Ich glaube, wer sich als Profi outen würde, überlegt sich das extrem gut. Das erfordert so viel Stärke, man muss innerlich gelassener sein, fast abgeklärt. Das kann offensichtlich momentan kaum einer.
Wieso sollte ihn dann ein ganz sicher vorher mehrfach gehörter Spruch so aus der Bahn werfen?
Die Situation an sich ist zweifellos tragisch und traurig. Aber die Umsetzung klingt einfach nach letzter Soap-Serien-Folge....
*aufreg-Modus-aus*
Du hälst wohl noch Winterschlaf
Wenn die reiche Ente wieder im BP schreiben sollte, dann bekommst Du von der BP-Jury rechtzeitig Post um werten zu können.
Ob Scheiße oder nicht.
Aber nun isses zu spät.
Danke danke, endlich mal eine ehrliche Kritik, die auch von Herzen kommt und ausspricht was alle denken
Grandios schlecht!
Was ist das denn bitte für ein weinerlicher Scheißdreck?
Es reicht ja schon, dass du mich im rl jeden Tag mit deinem Leiden als missverstandener Homosexueller nervst.
Hattest du Diarrhoe oder wieso hast du den Scheiß so flüssig runter geschrieben?
Ich weiß ich bin zu spät für die 0 Punkte, aber das ist ja einfach nur Scheiße!
0 Punkte gehen an Dreihundertsechzig
Platz 3 stand leider schon etwas früher für mich fest, obwohl die Geschichte toll begann. Das abrupte Ende störte mich dann einfach zu sehr und es wurde mir zu wenig/gar nicht über das Fussballspiel selbst geschrieben (von mir aus auch nur die Reaktionen bei einem Tor). War dennoch ne tolle Idee.
1 Punkt geht an Gnanag
Da weiß ich nicht wie ich den einen Punkt erklären kann ausser mit Vetternwirtschaft.
Nee, im Ernst: Gefiel mir richtig gut und das ganze Szenario ist auch stark geschrieben, aber ich hab gedanklich ne Münze geworfen und mich so entschieden.
2 Punkte für Karrramba
Begründung steht unter seinem Blog.
Zur Zeit:
Ente 10
Fohlen 8
360 3
Sehr schön geschrieben und man kann sich wirklich richtig reinversetzen in die Angst.
Punktebewertung unter dem Blog von 360.
Lies doch mal genauer...
"Abgeklärter" usw. bezog sich auf die Verfassung des Fussballers, der sich geoutet hat - und auf dessen Reaktion auf die Provokation.
Nicht um die Art, wie das Thema dargestellt werden kann.