Von Ulrike Weinrich aus Melbourne
Die größte Sorge von Tennys Sandgren galt erst einmal Mama Lia. Die gute Frau hatte im fernen Tennessee beim Jubeln über einen der überraschenden Siege des Sohnemanns bei den Australian Open einen Rippenbruch und eine Beule am Kopf davongetragen. "Sie ist auf den Tisch gefallen. Whoops! Es war wirklich Besorgnis erregend", berichtete der 26-Jährige: "Ich bin froh, dass sie sich im Krankenhaus behandeln ließ."
Es war allerdings nicht die einzige Sache, die den Überraschungs-Viertelfinalisten aus den USA in den vergangenen Tagen beschäftigt haben dürfte. Sandgren, die Nummer 97 im ATP-Ranking, ist durch seine traumhafte Erfolgsserie Down Under ins Rampenlicht gerückt. Was immer bedeutet, dass plötzlich auch die Aktivitäten der Protagonisten außerhalb des Courts unter die Lupe genommen werden. Zum Beispiel in Sachen Social Media. Und deshalb geriet der stämmige College-Spieler mit den Powerschlägen nach seinem 6:2, 4:6, 7:6 (7:4), 6:7 (7:9), 6:3 im Achtelfinale gegen den an Position fünf gesetzten Dominic Thiem (Österreich) auch ins Kreuzfeuer der Kritik.
Sandgren wehrt sich: "Wem man bei Twitter folgt, spielt keine Rolle"
Der Grund: Das Twitterprofil von Sandgren, der zum Beispiel seinem Landsmann Nicholas Fuentes folgt, einem nachgewiesenen Nationalisten. Dieser war einst für einen Podcast namens "America First" verantwortlich. Der Tennisprofi wollte sich auf der Pressekonferenz im Anschluss an den Thiem-Triumph aber nicht in die rechte Ecke drängen lassen. "Wem man bei Twitter folgt, spielt doch gar keine Rolle", beteuerte der bekennende Donald-Trump-Wähler Sandgren und meinte: "Die Dinge, die du siehst, bestimmen nicht, was du denkst oder glaubst. Das ist doch verrückt, so etwas anzunehmen." Punkt"
Den Vorwurf, dass er mit dem radikalen rechten Spektrum sympathisiere, konnte der 26-Jährige allerdings nur ansatzweise entkräften. Zwar erklärte der passionierte Videospieler Sandgren, dass er kein Unterstützer der sogenannten Alt-Right-Bewegung sei, aber er meinte auch: "Ich finde einige Inhalte interessant." Viel wichtiger sei aber, dass er ein "strenggläubiger Christ" sei und Christus folge.
Folgt die nächste interessante Gesprächsrunde?
Am Tag darauf waren in Sandgrens Account dann rund 2000 Tweets gelöscht worden. Sollte der Rechtshänder aus Gallatin, dessen Vorname Tennys schon sein schwedisch-stämmiger Urgroßvater trug, am Mittwoch allerdings auch gegen Djokovic-Bezwinger Hyeon Chung (Südkorea) gewinnen und ins Halbfinale von Melbourne einziehen, wäre die nächste interessante Fragerunde eröffnet.
Rein sportlich betrachtet ist der Durchmarsch von Sandgren beeindruckend. Bei 13 Versuchen war er in der Qualifikation für ein Major-Turnier gescheitert. Ins Hauptfeld der French Open und US Open 2017 schaffte es "Sang", so sein Spitzname, nur mit Wildcards. Nach seinem ersten Sieg bei einem Grand Slam überhaupt schaltete der Melbourne-Debütant in der zweiten Runde den einstigen Turniersieger Stan Wawrinka (Nr. 9) aus. Der Schweizer war nach einer Knie-OP allerdings noch nicht wieder der alte "Stan, the Man".
Seine Glückssträhne Down Under bezeichnet die "Tennys-Überraschung" als "pretty cool". 2014 war Sandgrens Karriere wegen einer Hüft-Verletzung noch stark gefährdet. Knapp vier Jahre später glückte dem Amerikaner jetzt der Durchbruch auf der ganz großen Bühne - mit all seinen Begleiterscheinungen...!!!